Freunde von mir sind kürzlich innerhalb Frankreichs umgezogen, von Paris in ein kleines Dorf bei Bordeaux. Dort haben sie ein großes Haus gekauft, so ein halbes Château aus Sandstein, mit hohen Decken und einem Kamin. Zu sagen, es ist sehr hübsch dort und sehr luxuriös, wäre untertrieben. Es ist ein Traum à la francaise.
Kürzlich war der Schwiegervater mal wieder aus Sachsen zu Besuch. Und er staunte - oder besser - er erschrak: Als er sah, was hier alles mit Strom gemacht wird. Denn natürlich - wie in vielen französischen Haushalten - stecken hier nicht nur der Kühlschrank, der Geschirrspüler und der Wäschetrockner in der Steckdose, sondern es wird auch mit Strom geheizt. Was sie denn an Energiekosten zahlen würden, fragte der ältere Herr ängstlich.
Schulterzuckend ging mein Freund zum Aktenordner und entnahm ihm die letzte Stromrechnung eines bekannten Anbieters. Der Schwiegervater musste kein Französisch sprechen, um die entscheidende Zahl schnell zu finden: Den Preis für die Kilowattstunde. Und wieder erschrak er. Aber nicht wegen der Höhe der Kosten. Sondern darüber, wieviel mehr er drüben in Deutschland bezahlen muss.
14 Cent pro Kilowattstunde
Durch die Energiewende, die Zuschüsse für Ökoverstromung aber auch durch die Undurchschaubarkeit im deutschen Energiekartell liegt hierzulande der Preis für die Kilowattstunde Strom im Schnitt bei 30 bis 31 Cent. In Frankreich aber sind es nur rund 16 Cent - bei Discountanbietern auf dem Lande sogar nur 14 Cent.
14 Cent. Weniger als die Hälfte. Das macht im Jahr die Hälfte an Energiekosten. Und dabei verbraucht Frankreich pro genutzter Kilowattstunde deutlich weniger CO2 als Deutschland, ist also viel sauberer unterwegs. Woran das liegt? Natürlich an der alten Doktrin, dass die Grande Nation in Sachen Strom ungeachtet von Fukushima und der Abfallproblematik weiterhin voll auf Atomstrom setzt.
Daran ändert auch nichts, dass vor zwei Wochen der erste Meiler des Uralt-Kraftwerks in Fessenheim abgeschaltet wurde, noch auf Betreiben des Ex-Präsidenten Francois Hollande, der damit den Bedenken der Deutschen und Schweizer entgegenkam - schließlich liegt Fessenheim im Dreiländereck, die Kühlung des AKWs erfolgt durch den Grenzfluss Rhein.
Fährt man in die Gegend um Fessenheim, dann erwartet einen eine wirkliche Grenzerfahrung. Auf deutscher Seite etwa liegt Hartheim. Spricht man mit den Menschen dort, dann sind alle, wirklich alle, mit denen ich sprechen konnte, gegen Atomkraft. Sie fühlten sich jahrelang beunruhigt, besorgt, ängstlich, ob des alten Meilers in dem anderen Land, der dennoch in Sichtweite steht. Nun sind es nur noch drei Monate, dann wird auch der zweite Meiler abgeschaltet. Das sorgt für Beruhigung. Auch wenn Fessenheim noch eine Weile weiterstrahlt.
Alternativlos - die Atomkraft
Doch fährt man über die unscheinbare Grenze nach Frankreich, dann ändert sich das Bild und der Ton der Menschen komplett. Zur Mittagszeit in der gutbesuchten Bar in Fessenheim scheint es, als wäre es eine andere Welt: Jeder hier lobt die Atomkraft, sie sei sauber und schaffe Arbeitsplätze. Die Deutschen seien doch verrückt mit ihrer Angst. Schließlich würden sie weiter massig Kohle verbrennen und damit die Umwelt verschmutzen. Und diese gewaltigen Strompreise, drüben auf der anderen Rheinseite. Alles Argumente, die schwer zu entkräften sind - schlicht, weil sie stimmen.
So denkt auch Frankreichs Regierung. Erst kürzlich verschickte Wirtschaftsminister Bruno le Maire einen Brief an den Chef des staatseigenen Konzerns Énergie de France. Darin der deutlich formulierte Wunsch, der auch als Befehl verstanden werden konnte: Ab 2021 solle das Land bereit sein, neue Atomkraftwerke zu bauen. Fieberhaft wird auch auf der Baustelle von Flamanville in der Normandie weitergearbeitet, am modernen EPR-Druckwasserreaktor, der bisher aber nur Probleme bringt, während die Baukosten explodieren.
Der Fokus auf die strahlende Atomkraft hat einen simplen Grund: Nicht nur während der Gelbwestenproteste hat Macron verstanden, dass es keine Alternative gibt, zum günstigen und vermeintlich sauberen Strom. Der Blick über die Grenze zeigt: Deutschlands Energiewende ist nicht nur ins Stocken geraten - sie droht, gänzlich fehlzuschlagen. Strompreise wie im reichen Deutschland kann sich Frankreich nicht leisten. Da geht es nicht um die Bürger, die in einem Sandsteinschloss bei Bordeaux leben. Sondern um die, die ohnehin jeden Monat knapsen müssen - die untere Mittelschicht, die Arbeiter mit prekären Löhnen, die Arbeitslosen, von all denen gibt es zwischen Lille und Nizza viele Millionen.
Deshalb war es auf dem Höhepunkt der Gilet Jaunes eine der ersten Maßnahmen Macrons: Ein Energiegutschein für die Ärmsten, in Höhe von durchschnittlich 200 Euro im Jahr. Damit sollen die gröbsten Preissteigerungen abgefedert werden, für all jene, die aus der Steckdose eben kochen, waschen und heizen müssen.
Der Präsident hat begriffen: Der Preis der Energie entscheidet über den Fortgang seiner Präsidentschaft, steigt dieser deutlich, würden die Proteste so groß werden, dass er sie nicht überstehen könnte. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel spricht gerne von Alternativlosigkeit, für Macron ist deshalb nur eines alternativlos: Die Atomkraft.
Quelle: ntv.de
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