Joe Biden, der überraschende Favorit

  06 März 2020    Gelesen: 597
Joe Biden, der überraschende Favorit

Biden führt vor Bernie Sanders im Vorwahlrennen der Demokraten. Seiner Präsidentschaftskandidatur ging ein bewegtes Leben voran, mit fast vier Jahrzehnten in der Politik und harten Schicksalsschlägen.

Da waren's nur noch zwei. Na gut, theoretisch hält auch Tulsi Gabbard, die Kongressabgeordnete aus Hawaii, ihre Kandidatur noch am Leben. Aber es ist klar, dass sich das Vorwahlrennen der Demokraten zwischen Joe Biden und Bernie Sanders entscheiden wird. Und aktuell die Nase vorn hat: Joe Biden.

Mit dem ehemaligen Vizepräsidenten als Frontrunner hätte bis vor kurzem noch niemand gerechnet. Aber dann kam die Vorwahl in South Carolina, die Unterstützungvon wichtigen moderaten Kandidaten und der Super Tuesday, an dem Biden die meisten Staaten für sich entscheiden konnte.

"Noch vor zwei Wochen war Bernie Sanders der vielversprechendste Kandidat", sagt Brandon Conradis, Journalist bei The Hill, einer Washingtoner Zeitung und Nachrichtenwebsite. "Jetzt ist er sicherlich noch nicht aus dem Rennen. Aber Biden ist der Favorit. Er ist der Kandidat, den es zu schlagen gilt."

Mit der Unterstützung von Afroamerikanern und Wählern aus den Vororten hat es Biden zumindest für den Moment an die Spitze des Feldes derer geschafft, die für die Demokraten im November gegen Donald Trump antreten möchten. Der Weg dorthin war kein leichter.

Mehrere familiäre Schicksalsschläge

Joseph Robinette Biden Jr. wurde 1942 in Pennsylvania geboren und wuchs in einer katholischen Arbeiterfamilie auf. Von 1973 bis 2009 vertrat er den Bundesstaat Delaware im US Senat, wo er mehrere Jahre lang dem Außenpolitik-Ausschuss vorsaß. In diesem Rahmen reiste er in eine Vielzahl verschiedene Länder und traf sich mit führenden Politikern aus aller Welt.

Privat erlitt der studierte Jurist mehrere Schicksalsschläge. Im Dezember 1972 starben seine erste Ehefrau Neilia und seine einjährige Tochter Naomi bei einem Autounfall. Im Mai 2015 erlag sein älterer Sohn Beau mit 46 Jahren einem Hirntumor.

Joe Biden selbst musste sich 1988 zwei Operationen wegen Gehirnaneurysmen unterziehen. Der Doktor, der ihn operierte, bestätigte 2019, dass die OPs Bidens geistige Gesundheit in keinem Maße beeinflusst hätten. "Joe Biden ist der einzige Politiker, von dem ich sicher sein kann, dass er was im Kopf hat, weil ich es gesehen habe", sagte Neurochirurg Dr. Neal Kassell im Gespräch mit der Zeitung Washington Examiner.

Vizepräsident mit Auszeichnung

Im Sommer 2008 ernannte der damalige demokratische Kandidat Barack Obama Biden zu seinem "running mate". Nach Obamas Wahlsieg war Biden ab 2009 Vizepräsident der Vereinigten Staaten. Dabei hatte er sich 2007 noch einen ziemlichen Patzer geleistet, als er im Rahmen der eigenen Präsidentschaftskandidatur seinen Konkurrenten Obama als den "ersten mainstream Afroamerikaner, der artikuliert, clever, sauber und ein nett aussehender Kerl ist" beschrieb.

In den acht Jahren der Obama-Administration machten der Präsident und sein Vize dann aber den Eindruck, sie seien gute Freunde geworden. Biden war auch dafür bekannt, gut mit Republikanern zusammenarbeiten zu können. Unter seiner Führung konnte die Regierung Einigungen mit Republikanern im Kongress erzielen, zum Beispiel über Programme, die den USA aus der Wirtschaftskrise halfen.

Im Januar 2017, kurz vor Ende seiner Präsidentschaft, verlieh Obama Biden die Presidential Medal of Freedom, eine der höchsten Auszeichnungen für Zivilisten. Der Präsident sagte, er verleihe Biden die Auszeichnung aufgrund "des Glaubens, den du an unsere amerikanischen Mitbürger hast, deiner Liebe für unser Land und deines lebenslangen Dienstes [für dieses Land], der noch Generationen lang nachwirken wird."

Kein begnadeter Debattierer

Seine Verbindung zu Obama stellte Biden auch bei den TV-Debatten mit den anderen demokratischen Kandidaten immer wieder in den Vordergrund, genauso wie seine jahrzehntelange politische Erfahrung. Trotzdem kam er bei den Zuschauern – und Wählern – nicht immer gut an. Er verhaspelte sich viel und zog viel Spott und Kritik auf sich, weil er Sätze nicht sinnvoll zu Ende bringen konnte.

"Er ist nicht mehr der Kandidat, der er vor fünf oder sechs Jahren oder 2012 war", sagt J. Miles Coleman von "Sabato's Crystal Ball", dem politischen Analyse-Newsletter der Virginia University. "Ich muss da an die Vizepräsidenten-Debatte 2012 denken, wo hinterher gesagt wurde, dass er [seinen republikanischen Gegner] Paul Ryan in Grund und Boden debattiert hat."

Heute ist eher das Gegenteil der Fall. Gegner fragen belustig, ob seine Patzer vielleicht von Demenz kommen. Biden ist 77 Jahre alt, bei einer Amtseinführung im Januar 2021 wäre er 78 und damit der bei Arbeitsantritt älteste US-Präsident aller Zeiten. Diesen Rekord hält aktuell noch Donald Trump, der bei seiner Inauguration 70 Jahre alt war.

"Sichere Zuflucht für ehemalige Republikaner"

Bei jüngeren Wählern hat Biden dann auch einen schweren Stand – im Gegensatz zu Sanders, der sie trotz seiner 78 Jahre in Scharen zu seinen Wahlveranstaltungen zieht. Dafür könnte Biden eine andere Wählergruppe für sich gewinnen.

"Bidens größter Vorteil ist, dass er eine sichere Zuflucht wäre für Wähler in den Vororten", die Trump nicht mögen, aber sich auch nicht vorstellen können, für Sanders zu stimmen, sagt Coleman. "Und für ehemalige Republikaner, die erst seit kurzem für die Demokraten sind."

Mit der Unterstützung dieser Bevölkerungsgruppen hätte Biden möglicherweise eine Chance gegen Trump. Aber um das zu testen, müsste er erstmal die Vorwahlen der Demokraten gewinnen. Im Juli findet der demokratische Parteitag statt, bei dem der Präsidentschaftskandidat offiziell ernannt wird. So lange könnte es schlimmstenfalls noch dauern, bis das Duell Biden gegen Sanders entschieden ist.

Focus.de


Tags:


Newsticker