„Schuldig macht sich nur, wer nicht handelt“

  16 März 2020    Gelesen: 593
„Schuldig macht sich nur, wer nicht handelt“

Mit dem Kleinklein der Juristen will sich Seehofer nicht aufhalten. Es geht ihm bei den Grenzschließungen um Bevölkerungsschutz. Er stellt eine europäische Lösung für die kommenden Tage in Aussicht.

Für Horst Seehofer sind die Kontrollen an den Grenzen zu fünf europäischen Nachbarn alternativlos. „Schuldig macht sich nur, wer nicht handelt“, sagte der Bundesinnenminister am Sonntagabend. Von Montagmorgen an kontrollieren Bundespolizisten die Grenzen zu Frankreich, Schweiz, Österreich, Luxemburg, Dänemark. Reisende ohne triftigen Reisegrund dürfen nicht mehr ein- und ausreisen. „Ich bitte alle Bürgerinnen und Bürger, nicht zwingende Reise unbedingt zu unterlassen.“ Berufspendler dürften die Grenzen weiter passieren, müssten aber Nachweise mitführen. Auch der Warenverkehr sei nicht betroffen. Reisende mit Krankheitssymptomen dürften ebenfalls nicht einreisen, für sie würden die erforderlichen Maßnahmen in Absprache mit den Gesundheitsämtern eingeleitet. Die Kontrollen gelten nach Angaben des Innenminister „vorübergehend“, so lange wie erforderlich. Was das konkret bedeutet, sagte Seehofer nicht.

Es gehe darum, Infektionsketten zu unterbrechen. Da könne man nicht nur Veranstaltungen und soziale Kontakte beschränken, sondern auch Reisebewegungen. Das Argument, dass das Virus ja schon in Deutschland ist, lässt Seehofer nicht gelten. Der Auftrag sei: vorbeugen, Infektionen erkennen und ihre Weiterverbreitung verhindern. Der Bundesinnenminister verwies darauf, dass die französische Region Elsass-Lothringen seit Freitag als Risikogebiet ausgewiesen ist. Diese und ähnliche Situationen an anderen Grenzabschnitten seien Anlass gewesen, von deutscher Seite darauf zu reagieren.

Unabgestimmt mit den Nachbarn ist das nicht geschehen, wie eine Mitteilung des französischen Innenministeriums Christophe Castaner vom Abend bestätigte. Auch mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der Innen-Kommissarin Ylva Johansson habe er gesprochen, so Seehofer. Noch am Abend werde ein Notifizierungsschreiben an die Innenminister der EU-Staaten geschickt.

Seehofer bezeichnete die Lage als „sehr ernst“. Der Höhepunkt der Krise sei noch nicht erreicht. „Das ist die mit Abstand größte Herausforderung unter allen Krisen, die ich je erlebt habe“, sagte er. Doch auch in dieser Ausnahmesituation blieb Seehofer sich treu. Auf die Frage, aus welcher Rechtsgrundlage die Kontrollen angeordnet werden, verwies er, leicht stockend, zunächst auf Artikel 28 des Schengener Grenzkodex. Dann setzte er hinzu: „Jetzt muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen: Es ist schön, wenn man so eine Grundlage hat. Aber im Moment geht mir der Gesundheitsschutz der Bevölkerung über alles. Es gibt auch Notsituationen, wo ein Staat, selbst wenn so ein Artikel nicht vorhanden wäre, handeln müsste.“ Vom Kleinklein der Juristen hat Seehofer noch nie viel gehalten. Für ihn zählt, dass die Bevölkerung Angst hat und von der Regierung Antworten erwartet.

Zwei Krisenstäbe arbeiten gleichzeitig in Berlin

Natürlich könne und müsse man die Antworten auch auf europäischer Ebene suchen, so Seehofer. Doch das Virus gebe es in Deutschland seit Januar. „Wenn es keine europäische Lösung gibt, darf man sich jetzt nicht wundern, dass einzelne Staaten zum Schutz der Bevölkerung handeln“, sagte Seehofer. „Ich kann doch nicht sagen: Wir haben keine europäische Lösung, deshalb tun wir nichts.“ Es gebe in Brüssel das Bemühen, so Seehofer. Aus dem Kanzleramt sei zu hören, dass der Vorschlag an diesem Montag „das Licht der Welt erblicken“ werde. In Berlin gibt es von diesem Montag an zwei Krisenstäbe. Die Kanzlerin leitet den Stab auf Ministerebene, Seehofer, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, Vizekanzler Olaf Scholz und bei Bedarf andere Minister nehmen an den Sitzungen teil. Dazu gibt es den bisherigen Stab, der sich um die operativen Belange kümmert.

Seehofer hat sich kürzlich testen lassen. Beim Innenministerrat in Brüssel habe er einen Austausch mit der Kontaktperson eines Infizierten gehabt. Doch sein Test sei negativ ausgefallen, berichtete er. Die Ärzte hätten ihm aber empfohlen, die Öffentlichkeit zu meiden. „Meine Erfahrung: Sie können ein Ministerium auch von Zuhause aus führen“, so Seehofer. Er lachte, und fügte hinzu, dass das nicht ironisch gemeint sei. Er sprach von seinen „guten Staatssekretären und dem hochmotivierten Haus“. „Ich konnte das befolgen, was wir den Menschen auch empfehlen.“

faz.de


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