Wer Fleisch isst, steigert das Pandemie-Risiko

  28 März 2020    Gelesen: 665
Wer Fleisch isst, steigert das Pandemie-Risiko

Weil in China exotische Wildtiere gegessen werden, warnten Forscher schon vor Jahren vor einem erneuten Corona-Ausbruch. Doch auch europäische Gewohnheiten vergrößern die Gefahr.

Der Satz klingt wie ein Corona-Orakel: "Das Vorkommen eines großen Reservoirs an Sars-CoV-ähnlichen Viren in Hufeisennasen-Fledermäusen, zusammen mit der Tradition in Südchina exotische Säugetiere zu essen, ist eine Zeitbombe", heißt es in einer Studie aus dem Fachblatt "Clinical Microbiology Reviews", die im Jahr 2007 veröffentlicht wurde und derzeit durch soziale Netze geistert. In vielen Posts ist das Publikationsjahr umkringelt.

In der Studie hatten Forscher aus Hongkong die Sars-Pandemie aus den Jahren 2002 und 2003 analysiert. Der damalige Erreger ist eng mit dem aktuell kursierenden Coronavirus verwandt, das deshalb den Namen Sars-CoV-2 trägt und auch damals ging die Krankheit offenbar von einem Markt in China aus.

Die Warnung der Forscher befeuert nun eine Debatte, die von rassistischen und pseudowissenschaftlichen Fehlschlüssen geprägt ist. "Ich wünsche mir, dass bestimmte Volksgruppen mal aufhören Fledermäuse, Gürteltiere, Affenschädel und anderen Scheiß zu essen", schrieb ein CDU-Lokalpolitiker bei Twitter, dazu postete er das Bild von Essstäbchen. Der Tweet ist inzwischen gelöscht, der Rassismus bleibt.

Ob Gürteltier oder Schwein - Fleischkonsum steigert das Pandemierisiko
Dabei verrät ein Blick in die jüngste Pandemie-Geschichte, dass längst nicht nur chinesische Essgewohnheiten Pandemien entfesselt haben. Selbst wer nur Tiere isst, die auf europäischen Speisekarten stehen, ist nicht sicher vor Krankheiten. Im Gegenteil: Eines der verheerendsten Viren sprang wahrscheinlich vom beliebtesten Speisetier der Deutschen auf den Menschen über, dem Schwein.  

Anfang 1918 dokumentierte ein Arzt im US-Bundesstaat Kansas eine Krankheit, die hohes Fieber und Husten verursachte und sich in den kommenden Jahren weltweit ausbreitete. 50 Millionen Menschen starben an der Seuche, bekannt als Spanische Grippe. Inzwischen konnten Forscher den wahrscheinlichen Ursprung im Mittleren Westen der USA lokalisieren, wo das Virus vom Schwein auf den Menschen übergesprungen war.

Auch in den darauffolgenden Jahrzehnten schlummerten die Viren vom Typ H1N1 weiter in Schweinen und lösten im Jahr 2009 eine weitere Pandemie aus: Die Schweinegrippe.

Wie bei der Schweinegrippe steckte sich der erste Mensch mit dem Coronavirus wahrscheinlich durch Kontakt zu einem infizierten Tier an. Nicht aber durch den Verzehr kontaminierter Nahrung, schon gar nicht durch das Verspeisen einer Fledermaussuppe, die in China alles andere als ein typisches Gericht ist.

Der am engsten mit dem aktuellen Coronavirus verwandte Erreger, den Forscher kennen, stammt aus einer Probe Fledermauskot. Sie wurde im Jahr 2014 in einer Höhle in der südwestchinesischen Provinz Yunnan gefunden, Hunderte Kilometer entfernt von Wuhan. Das Genom dieses Erregers und das von Sars-CoV-2 trennen etwa tausend Mutationen. Daraus schließen Wissenschaftler, dass der letzte gemeinsame Vorfahre der beiden Erreger vor etwa 20 bis 70 Jahren kursierte. Wo sich das Virus in dieser Zeit aufgehalten hat, weiß niemand genau.

Laut chinesischen Behörden wurden auf dem Markt in Wuhan, wo das Virus erstmals dokumentiert wurde, keine Fledermäuse angeboten. Auch wildlebende Exemplare kommen als Überträger kaum in Frage: Die meisten Arten hielten Winterschlaf, als die Pandemie ausbrach.

Wissenschaftler gehen auch deshalb davon aus, dass das Virus von Fledermäusen zuvor auf ein anderes Säugetier übersprang, ehe es Menschen infizierte. Welches Tier der Zwischenwirt war, ist noch unklar. Forscher versuchen nun, das Virengenom in Säugetieren aufzuspüren, die in Frage kommen. Spuren des Erregers sollen im westlichen Teil des Marktes gefunden worden sein, wo Wildtiere verkauft wurden. Auch Schuppentiere werden als mögliche Überträger gehandelt.

Bisher ist jedoch kein Virengenom aus einem Tier bekannt, das die Lücke zwischen Fledermäusen und Menschen schließen könnte. Es ist nicht einmal klar, ob der Markt in Wuhan wirklich der Ursprung der Pandemie war oder ob vielleicht ein bereits infizierter Besucher weitere Menschen ansteckte.

spiegel


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