Als HSV-Star Paolo Guerrero zur Flasche griff

  04 April 2020    Gelesen: 807
Als HSV-Star Paolo Guerrero zur Flasche griff

Es war ein absolutes Novum! Bisher flogen Gegenstände in der Fußball-Bundesliga immer nur in eine Richtung: Von der Tribüne auf den Rasen. Doch der peruanische HSV-Spieler Paolo Guerrero drehte diese Regel vor genau zehn Jahren um. Sein Zorn traf einen Fan der eigenen Mannschaft!

Gerade erst war Paolo Guerrero nach mehrmaligen vergeblichen Anläufen, in den Flieger zu steigen, aus seinem Heimatland Peru nach Hamburg zurückgekehrt - schon hatte er neuen Ärger an der Backe. Wegen seiner Aviophobie (Flugangst) hatten die Hamburger sogar extra einen Betreuer nach Südamerika geschickt, um zu erkunden, auf welchen Wegen man den Kicker - außer mit dem Flugzeug - noch zurück in die Hansestadt bringen könne. Schließlich sollte Guerrero aber doch fliegen.

Heimgekehrt nach Hamburg war er nach seiner bereits sechs Monate andauernden Verletzungspause aber dennoch nicht einsatzfähig. Denn Guerrero - und das entbehrt nicht ganz einer gewissen Komik - hatte sich ausgerechnet bei einem Sprint auf dem Flugplatz, weil er seinen Flieger unbedingt noch erreichen wollte, einen Muskelfaserriss zugezogen.

Und dann kam der 29. Spieltag der Saison 2009/10. Es sollte überhaupt erst die sechste Partie des Peruaners in der laufenden Runde werden. Doch beim 0:0 gegen Hannover 96 gelang ihm, wie seinen Mitspielern und Gegnern auch, an diesem Tage nach seiner Einwechslung zur Pause herzlich wenig. Dementsprechend war die Stimmung im Stadion und beim Peruaner selbst. Und als dann beim Gang in die Katakomben auch noch ein Fan Paolo Guerrero übel beschimpfte, brannten alle Sicherungen beim HSV-Stürmer durch. Aus dem Innenraum schleuderte er eine gefüllte Trinkflasche auf die Tribüne - und traf zielsicher den pöbelnden Anhänger am Kopf.

Wer den Schaden hat ...
Der HSV reagierte sofort und brummte seinem Spieler die - angeblich bis heute höchste - vereinsinterne Strafe aller Zeiten auf. Die Rede war damals von 100.000 Euro. Doch dabei blieb es natürlich nicht. Der DFB sperrte Guerrero für den Rest der Saison und verhängte zudem eine Geldstrafe in Höhe von 20.000 Euro. Doch auch das war noch nicht alles. Denn zudem musste der Peruaner den Spott der Internetgemeinde ertragen. Und der hatte es durchaus in sich. Allerdings nicht selten auch auf eine höchst humorvolle Art und Weise. Hier einige Beispiele, die gerne auch die verspätete Heimkehr des HSV-Spielers aus seinem Heimatland aufgriffen:

• Der Arme Paolo Guerrero war so verzweifelt, dass er zur Flasche griff

• Guerrero trifft in der Nachspielzeit

• Wurde die Flasche, die Paolo Guerrero geworfen hat, eigentlich vorher gefragt, ob sie unter Flugangst leidet?

• Zur Strafe bezahlt ihn der HSV bis Vertragsende nur noch mit Bonusmeilen.

Mit dem Wurf eines Gegenstandes aus dem Innenraum auf die Tribüne stellte Paolo Guerrero ein Novum in der damals knapp 47-jährigen Historie der Bundesliga dar. Andersherum flogen und fliegen höchst unterschiedliche Dinge allerdings schon immer gerne. In der Saison 1974/75 notierten Geschichtsschreiber am 9. Spieltag: "Gladbach verliert zu Hause gegen Bayern München. Ein Hassspiel. Der Bayern-Präsident muss sich einer Ladung Kastanien erwehren, auf Manager Robert Schwan wird mit Eiern geworfen, und Trainer Udo Lattek erwischt gar eine kleine Schnapsflasche am Hinterkopf."

Drei Flaschen fühlen sich für manche wie Hagel an

Und in der Saison 1976/77 brach Schiedsrichter Rudolf Frickel am 15. Spieltag aufgrund eines Flaschenwurfs eine Begegnung der Bundesliga sogar zum ersten Mal überhaupt ab. Die Partie des 1. FC Kaiserslautern gegen Fortuna Düsseldorf wurde damals beim Stand von 0:1 beendet. "Ein Hagel von Bierflaschen", wie Beobachter später erzählten, war es schlussendlich zwar nicht, der zum Abbruch führte, aber drei Fläschchen reichten auch.

Für den Lauterer Trainer Erich Ribbeck waren die Düsseldorfer damals mitverantwortlich für den Skandal. Erbost präsentierte Ribbeck der Presse eine Boulevardzeitung aus der Rheinmetropole vom Vortag des Spiels. Die despektierlichen Äußerungen der Fortunen hätten die Atmosphäre unnötig "vergiftet", so der Coach des 1. FC Kaiserslautern. Doch das half alles nichts: Die Begegnung wurde mit 0:2 Toren und Punkten gewertet.

Dass Flaschenwürfe in diesen Tagen auf dem gefürchteten Betzenberg nicht selten waren, erzählte auch einmal die Schiedsrichterlegende Wolf-Dieter Ahlenfelder. Schon vor der Partie sei damals klar gewesen, so der Oberhausener Schiri, dass das Spiel unter keinem guten Stern stand.

"Mach doch kein Scheiß da"
Doch Ahli, wie er sich selbst gerne nannte, hatte die Lage dennoch unter Kontrolle: "Da kam dann natürlich der Einsatzleiter rein mit so 'nem Walkie-Talkie und wat nicht alles und sagte: 'Herr Ahlenfelder, wir haben heute einen Großeinsatz hier!' 'Ja, ich sag, ja und?' 'Wie wollen wir das denn händeln hier? Wie soll das denn überhaupt vonstattengehen?' Ich sag: 'Mach doch kein Scheiß da. Leere Pullen sofort, puhhff, zurück.' 'Wat?' Ich sag, sofort zurück.' 'Ja, und volle?' Ich sag: 'Einsammeln. Einsammeln. In der Halbzeit werden wir uns lecker davon einen kredenzen.'" Und dann machte Ahli eine typische Bewegung mit gespreiztem Daumen und Zeigefinger zum Mund.

Doch noch einmal zurück zu Paolo Guerrero. Zwei Jahre später stand der Spieler des HSV mit einer weiteren ganz speziellen Aktion - bei der es erneut im weitesten Sinne ums Fliegen ging - wieder einmal im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Am 3. März 2012 sprintete der Peruaner im Heimspiel gegen den VfB Stuttgart mit einem Anlauf von 56 Metern auf den VfB-Keeper Sven Ulreich zu und senste ihn aus vollem Lauf um.

Das Unglaubliche dabei: Mit 31,28 Kilometern pro Stunde war die Attacke, laut Datendienst Impire, der schnellste Sprint eines Hamburger Spielers in der ganzen Partie überhaupt. Hinterher schlich Guerrero allerdings lammfromm und mit gesenktem Haupt vom Platz.

n-tv


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