"Der aufrechte Gang war sein Wegbegleiter"

  27 April 2020    Gelesen: 1232
"Der aufrechte Gang war sein Wegbegleiter"

Mit Norbert Blüm ist am Freitag ein Gegner des Neoliberalismus gestorben. Im Ringen um den richtigen Weg scheute der langjährige CDU-Arbeitsminister kein verbales Gefecht. Viele lieferte er sich mit dem SPD-Arbeitsexperten Rudolf Dreßler. Der erinnert sich voller Respekt an einen Kämpfer für Solidarität.

"Der gesunde Menschenverstand hat in der professionellen Gesellschaft keinen Stellenwert mehr." Diese Kritik formulierte Norbert Blüm, als sich der Neoliberalismus parteiübergreifend um die Jahrhundertwende in den Köpfen zu vieler Politiker festgesetzt hatte und die Arbeitsergebnisse im Bundestag unübersehbar bestimmte.

Norbert Blüm und der gesunde Menschenverstand waren Mitglieder eines Teams. Sie haben große Erfolge verzeichnet und herbe Niederlagen einstecken müssen. Der aufrechte Gang aber war stets sein Wegbegleiter.

Im Jahre 2011 wurde Norbert Blüm in Trier der bedeutende Oswald-von-Nell-Breuning-Preis verliehen, benannt nach dem Begründer der katholischen Soziallehre. Mir wurde die Ehre zuteil, in der Promotionsaula des Bischöflichen Priesterseminars die Laudatio zu halten. Dem Ort, an dem Oswald von Nell-Breuning 1908 und sieben Jahrzehnte vor ihm, Karl Marx, ihr Abitur abgelegt haben.

Stärke des Volkes misst sich am Wohl der Schwachen

"Norbert Blüm hat auf dem Fundament der christlichen Soziallehre bei der praktischen Umsetzung elementarer Fragen aus der Arbeitswelt an entscheidender Stelle mitgewirkt und sich dabei vehement für die Wahrung des Solidarprinzips in den sozialen Sicherungsfragen eingesetzt." So begründete die Jury ihre Entscheidung für den Preisträger Nobert Blüm. Das von Nell-Breuning entwickelte Subsidiaritätsprinzip hat er nicht nur verstanden, sondern es in ungezählten Ämtern, in wichtigsten und einflussreichen Positionen umgesetzt, angestoßen, hat dafür gekämpft.

Bis in die schweizerische Verfassung hat es diese Lehre gebracht. In der Präambel lesen wir: " . . . , dass die Stärke des Volkes sich am Wohl der Schwachen misst." Dieser Verfassungsgrundsatz ist genauso mutig wie die Lehre eines Oswald von Nell-Breuning, weil die Stärke unseres Volkes seit vielen Jahren von einem oberflächlichen Politiktypus interessengeleitet an anderen Faktoren gemessen wird. An Faktoren wie einer 500-Milliarden-Euro-Bürgschaft der Politik im Namen des Volkes für kriminelles Versagen von Bankern oder der götzenähnlichen Glorifizierung des Titels "Exportweltmeister".

Die Wahrung des Solidarprinzips habe ich im Deutschen Bundestag öfter als ein "Stück Kitt unserer Gesellschaft" beschrieben. Für einige bedeutende Sozialgesetze liegt hier die Begründung unserer gemeinsamen Arbeit von Regierung und Opposition. Als Beispiele sind die Schaffung einer Pflegeversicherung oder die Rentengesetzgebung zu nennen. Geht die Grundlage des Zusammenhalts verloren, verliert die gesamte Gesellschaft. Sie merkt es erst dann, wenn der Zustand bereits eingetreten ist.

Blüms Sprache - von nicht wenigen gefürchtet

Nach der Bankenkrise 2008 kommentierte Norbert Blüm in einem Zeitungsaufsatz die Vorgänge in der ihm eigenen klaren Sprache. Einer Sprache, die es auf den Punkt bringt und deshalb von nicht wenigen zu Recht gefürchtet wurde: "Nun rufen die Banker den Staat um Hilfe, den sie einst außer Betrieb setzen wollten. Die ausgezogen sind als Deregulierer und Privatisierer, kehren mit zerrissenen Hosenbeinen als Verstaatlicher zurück. Die neoliberale Revolution frisst ihre Kinder."

Dass Norbert Blüm und ich unterschiedlichen Parteien angehören, ändert nicht die Tatsache, dass wir die Überzeugung haben, eine Gesellschaft die stark und gerecht sein will, muss die Gedankenwelt, die Lehren eines Oswald von Nell-Breuning in praktische Politik umsetzen. Weil es eine weit über die Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik hinausgehende, nicht nur staatsphilosophische, sondern zugleich eminent praktische Bedeutung hat.

Norbert Blüm und ich haben uns in 20 Parlamentsjahren nichts geschenkt. Manche Rededuelle wurden als Schlachten beschrieben. Trotz mancher Härte und Schärfe in der Sprache hat es nicht an Respekt gemangelt. Respekt vor den Grundsätzen, Respekt vor der Leistung und Respekt vor der Persönlichkeit.

Seine glänzende Rhetorik, verbunden mit einer außerordentlichen Beherrschung abstrakte Sachverhalte in bildhafter Sprache zu erklären, wird der politischen Auseinandersetzung schmerzlich fehlen. Fehlen, wenn es gilt Versuche abzuwehren, die Idee des Sozialstaates, wie sie in unserem Grundgesetz verankert ist, nämlich als Rechtsanspruch, nicht als caritative Geste, einem neoliberalen Zeitgeist zu opfern. Das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit, das sich in unserem System ausdrückt, darf nicht entsorgt werden. Im Sinne von Norbert Blüm halten wir fest: es ist nicht von gestern, sondern zeitlos und somit immerwährend aktuell. Gestern und auch morgen.

Norbert Blüm wird mir fehlen.

Rudolf Dreßler, 79, saß von 1980 bis 2000 für die SPD im Bundestag und debattierte ein ums andere Mal leidenschaftlich mit Blüm über Sozialfragen. Von 2000 bis 2005 war er deutscher Botschafter in Israel.

Quelle: ntv.de


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