Der Online-Einkauf bei der amerikanischen Supermarktkette Giant beginnt mit einem Warnhinweis. Wegen der hohen Nachfrage und um der anderen Kunden willen müsse man leider eine Reihe von Produkten rationieren. Das gilt für Toilettenpapier, Küchentücher, Kosmetikartikel, Putzmittel - und neuerdings auch für Rindersteaks, Chicken Wings oder Truthahn. Maximal zwei Packungen jeder Kategorie darf der Kunde in den Einkaufswagen legen. Lieferfrist: zweieinhalb Wochen.
Das macht aber nichts, denn die meisten Fleischwaren sind ohnehin ausverkauft.
Wie überall auf der Welt hatten sich zu Beginn der Coronakrise in den Läden zunächst die Regale mit Klopapier und Nudeln geleert. Aber auch verderbliche Ware wurde in Amerikas Haushalten gehortet. Die Google-Suche nach "Bananenbrot" erreichte Rekordniveau, als viele Konsumenten realisierten, dass ihre Kriegsvorräte zu faulen begannen.
Wendy's ohne Fleischnachschub
Inzwischen aber kommt es ständig auch zu Engpässen bei Waren, die nicht gerade existenziell erscheinen. So verschwanden nicht nur Desinfektionsmittel und Masken aus dem Giant-Sortiment, sondern zwischenzeitlich auch Ameisenfallen, Badreiniger und Vollmilchjoghurt.
Und nun wird im Land des Burgers auch noch das Fleisch knapp. Beim Stopp in der Wendy's-Filiale stand mancher Amerikaner diese Woche vor der Frage, die die Kette einst berühmt machte: Where's the Beef? Nach einer Erhebung des Finanzdienstleisters Stephens ging fast jedem fünften Wendy's-Restaurant das Rindfleisch aus. Pech für die Kette: Im Gegensatz zu den Rivalen Burger King und McDonald's verwendet sie kein Gefriergut, sondern rühmt sich, nur Frischfleisch zu braten. Der Nachschub des Rohmaterials ist aber ins Stocken geraten. Denn das Schlachtvolumen ist in der letzten Aprilwoche um 35 Prozent eingebrochen.
Rund 20 Fleischfabriken mussten in den vergangenen Wochen wegen des Coronavirus zwischenzeitlich schließen. Allein in einer davon, der Smithfield-Produktion in South Dakota, werden rund fünf Prozent des US-Bedarfs an Schweinefleisch portioniert. Der Fleischmarkt wird von einer Handvoll Konzerne dominiert, zu denen Tyson Foods und die US-Tochter des brasilianischen Multis JBS gehören. Bei diesem Produkt ist Amerika autark: Millionen Schweine, Kühe und Schafe werden in landesweit 800 Fabriken getötet und verarbeitet.
Diese Mammutanlagen allerdings sind zu Hotspots der Pandemie geworden.
Der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden bezeichnete Pflegeheime und Fleischfabriken als "die gefährlichsten Orte, die es derzeit gibt". In den Fließband-Tierverarbeitungsfabriken wird auf engstem Raum und im Akkord geschuftet – und den Gewerkschaften zufolge spielt der Schutz der Arbeiter kaum eine Rolle. In einer Tyson-Anlage in Perry im Bundesstaat Iowa wurden 730 Corona-Fälle gezählt, 58 Prozent der Beschäftigten.
"Die Nahrungsmittel-Lieferkette bricht", warnte der Fleischbaron John H. Tyson Ende April in einer ganzseitigen Zeitungsanzeige: "Während Schweine-, Rinder und Hühnerfarmen zur Schließung gezwungen werden, wenn auch nur für kurze Zeit, werden Millionen Pfund an Fleisch aus der Lieferkette verschwinden." Nach dem öffentlichen Brandbrief erklärte US-Präsident Donald Trump die Branche umgehend zum kriegswichtigen Lieferanten, um Schließungen zu verhindern.
Auch bei den Tafeln werden die Vorräte knapp
Trotzdem stockt die Produktion. So fehlen in der JBS-Fabrik in Greeley, Colorado, 30 Prozent der Belegschaft. Die Arbeiter sind krank, freigestellt – oder sie wollen ihre Gesundheit für die Versorgung der Amerikaner mit Grillgut nicht aufs Spiel setzen. Der Produktionsausfall trifft nicht nur die Verbraucher. Viele Landwirte bleiben nun auf ihrem Vieh sitzen. Nach Schätzung von Analysten müssen allein die Schweinezüchter im zweiten Quartal sieben Millionen Schweine nutzlos töten.
Adam Smith, so scheint es, hat in der Pandemie seine unsichtbare Hand vom Markt gezogen: Angebot und Nachfrage sind aus dem Gleichgewicht geraten. Die Fleischproduktion sinkt, zugleich verlangen die Kunden nach mehr. Beides schaukelt sich hoch. Einen derartigen Run auf Proteinprodukte habe er seit den Tagen der Atkins-Diät nicht mehr erlebt, sagte Jeff Lyons, Manager des Großmarktes Costco der Agentur Bloomberg. Und während im Ökosupermarkt Wholefoods die Biomilch knapp wurde, schütteten Farmer in Wisconsin und Ohio Tausende Liter Milch in die Seen. In Idaho grub ein Bauer Löcher, um rund eine halbe Million Kilo Zwiebeln zu entsorgen, die er sonst an Restaurants ausliefert.
Gleichzeitig werden bei den Tafeln, die lange Schlangen von Bedürftigen in Amerika kostenlos mit Essen versorgen, die Vorräte knapp. Im Einzelhandel ist Mehl nur mit Mühe zu ergattern, die Hersteller wiederum suchen nach Kunden für ihre 23-Kilo-Säcke.
Manche Amerikaner verbringen inzwischen ganze Nächte damit, bei den überforderten Onlinehändlern Lieferfenster zu ergattern. Giant entfernte kurz vor dem Liefertermin das Klopapier aus meinem virtuellen Einkaufswagen.
Der Komiker Larry David hat gedroht, er werde jedem Bekannten, der die Rollen fürs Geschäft zu Hause hortet, die Freundschaft aufkündigen.
David wird nach dem Ende dieser Krise wahrscheinlich nicht mehr viele Freunde haben.
spiegel
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