Aus den Trümmern eines äthiopischen Restaurants steigen Rauchschwaden auf, ein paar Blocks weiter qualmen die Überreste einer Bar. In Richtung Innenstadt sind dunkle Rauchwolken zu sehen. Und es ist erst früher Abend.
Wer gehofft hatte, die Mordanklage gegen den Polizisten, der für den Tod des Afroamerikaners George Floyd in Minneapolis verantwortlich ist, würde die Situation in der Stadt beruhigen, sieht sich getäuscht. Die Proteste sind noch massiver als in den Tagen zuvor. Die Wut über den weiteren Tod eines Schwarzen durch die Hand eines Polizeibeamten ist ungebremst. Von Versöhnung sind die Demonstranten sehr weit entfernt.
Floyd war am Montag bei einem Polizeieinsatz in der Stadt ums Leben gekommen. Ein weißer Polizist hatte sein Knie minutenlang gegen seinen Hals gedrückt. Drei Kollegen hatten zugeschaut.
Der Gouverneur von Minnesota, Tim Walz, hatte am Freitag eine Ausgangssperre für Minneapolis und die Nachbarstadt St. Paul verkündet und die Nationalgarde zu Hilfe gerufen. Das beeindruckte nur die wenigsten. Als die Ausgangssperre um 20 Uhr begann, zogen wieder zahlreiche Menschen los, um gegen die Polizeigewalt zu demonstrieren. Vor der Polizeiwache, die am Vorabend ausgebrannt war, sammelten sich friedliche Demonstranten, Schaulustige und militante Gruppen. Ein nahe gelegener Drogeriemarkt wurde geplündert, Milch und Wasser an die Umstehenden verteilt.
Polizei und die Nationalgarde - stundenlang nicht zu sehen
Ein junger Schwarzer drosch mit seinem Baseballschläger auf die Scheiben der lokalen Bücherei ein. Auf die Frage, ob er damit nicht seiner eigenen Nachbarschaft schade, antwortete er nur: "Mit dir rede ich nicht."
Die Polizei und die Nationalgarde, die eigentlich die Ausgangssperre überwachen sollten, waren stundenlang nicht zu sehen.
Gegen 23 Uhr wurden die Proteste radikaler. Der Schwerpunkt spielte sich nun vor einer weiteren Polizeiwache ab, die etwa vier Kilometer entfernt liegt. Zunächst setzten Demonstranten eine benachbarte Bank in Brand, dann schlugen Feuerwerkskörper auch in der Polizeiwache ein.
Erst zu diesem Zeitpunkt griff die Staatspolizei ein und drängte die Menge mit Tränengas und Gummigeschossen zurück.
Ein Afroamerikaner in einem dunklen Sweatshirt sagte, er finde die Gewalt nicht gut, aber ohne sie ändere sich nichts. Ein paar Umstehende pflichteten ihm bei. An den Hauswänden forderten Graffitis "Gerechtigkeit für Floyd".
Die Demonstranten sind eine ziemlich gemischte Gesellschaft. Neben Schwarzen sind auch viele Weiße dabei. Einige scheinen eher ein touristisches Interesse zu haben und fotografieren die Ausschreitungen mit ihren Handys. Die Radikalen sind dem Augenschein nach eine Minderheit, aber es stellt sich ihnen auch keiner der Demonstranten entgegen.
Der Appell des Gouverneurs - ungehört
Gouverneur Walz hatte die Demonstranten am Freitag zu Gewaltverzicht aufgerufen. Solange Anarchie auf den Straßen herrsche, könnten Probleme wie systematischer Rassismus nicht angegangen werden, sagte er. Sein Appell blieb ungehört.
Die Gemüter haben sich auch deshalb nicht beruhigt, weil der Polizist wegen "third degree murder" angeklagt wird, da der Staatsanwaltschaft keinen Vorsatz erkennen konnte. Die Höchststrafe dafür beträgt 25 Jahre. Die Familie des Opfers verlange eine Anklage wegen "first degree murder", sagte deren Anwältin. Darauf steht eine lebenslange Freiheitsstrafe.
Was mit den anderen drei Polizisten, die nicht eingeschritten waren, geschieht, war zunächst offen.
Laut Haftbefehl hat der Polizist sein Knie acht Minuten und 46 Sekunden auf den Nacken Floyds gedrückt. Die letzten zwei Minuten und 53 Sekunden habe Floyd keine Lebenszeichen mehr gezeigt. Polizisten müssten auf Basis ihrer Ausbildung wissen, dass diese Art des Festhaltens gefährlich sei.
Der Gerichtsmediziner geht nach ersten Erkenntnissen davon aus, dass Floyd nicht erstickt ist. Der 46-Jährige habe unter gesundheitlichen Problemen gelitten, die gemeinsam mit der Festnahme und möglichen Rauschmitteln in seinem Blut vermutlich zu seinem Tod geführt hätten.
Der Rassismus in den USA - wieder einmal offenkundig
Auch in anderen Städten kam es in der vierten Nacht in Folge zu teilweise gewalttätigen Protesten. Vor dem Weißen Haus in Washington versammelten sich Demonstranten. Einige griffen die Barrikaden an und rangelten mit Polizisten. Aus New York, Los Angeles, Dallas, Louisville und anderen Orten wurden ebenfalls Proteste gemeldet.
Die Demonstrationen sind das Ergebnis eines anhaltenden Rassismus in den USA. In der Coronakrise wurde die Benachteiligung der schwarzen Bevölkerung wieder offenkundig. Afroamerikaner gehören überproportional zu den Opfern des Virus. Gleichzeitig müssen viele von ihnen in den schlecht bezahlten Jobs arbeiten, in denen eine Ansteckungsgefahr groß ist.
spiegel
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