Wie der VDA eine Kehrtwende vollzog

  31 Mai 2020    Gelesen: 468
  Wie der VDA eine Kehrtwende vollzog

Deutlich weniger Emissionen, dafür mehr Klimaschutz: Dafür soll die Elektromobilität sorgen. Doch nach wie vor ist der Verbrenner das Maß der Dinge in der deutschen Autoindustrie. Der Branchenverband VDA versucht trotz oder gerade deshalb nun eine überraschende Kehrtwende.

Die Corona-Krise hat in der deutschen Automobilindustrie eingeschlagen wie eine Abrissbirne. Und dennoch kann das Virus nicht für alles verantwortlich gemacht werden. Völlig losgelöst von Corona hat sich in der Antriebsphilosophie der deutschen Automobilhersteller im Frühjahr still und leise Ungeheuerliches zugetragen. Wollen jetzt alle im Gefolge von VW nur noch E-Autos bauen und keine Verbrenner mehr? Im Gegenteil.

Was ist geschehen? Eine Revolution hat sich ereignet: Der Branchenverband VDA nahm feierlich Abschied von dem bisherigen Dogma, wonach die Elektromobilität und der Strom aus der Steckdose die alleinigen Mittel seien, um eine umweltfreundliche und grüne Mobilität zu gewährleisten. Neu justiert hat sich die Einstellung und Fixierung des VDA auf das mögliche technologische Spektrum alternativer Antriebe. Bislang war das offizielle Verbandsmantra, dass nur Elektroautos, und diese nur auf reiner Batterie-Basis, das mobile Allheilmittel gegen die Klimakrise sein würden. Von verbesserter Verbrennertechnologie, Wasserstoff oder synthetischen Treibstoffen war bislang keine Rede.

Die Meinungsführerschaft lag dabei offen beim mächtigen VW-Chefs Herbert Diess, der sogar von der Politik verlangte, alle anderen Ansätze praktisch zu verbieten. Und die staatlichen Fördermilliarden ausschließlich in die Elektromobilität und dort ausschließlich in batteriebetriebene E-Autos und keine anderen zu stecken. Ungeachtet dessen, dass gegebenenfalls mit optimierten Verbrennermotoren, Brennstoffzellen, Wasserstoff oder synthetischen Treibstoffen (E-Fuels) effizientere und klimafreundlichere Antriebe möglich wären. Nach dem Motto: Verbrenner raus, E-Autos rein. Von Technologie-Offenheit im Wolfsburg der Nach-Piech-Ära keine Spur. Dabei hatte gerade Piech den legendären Spruch getan, dass ein Drei-Liter-Diesel von VW jedem Elektroauto umweltmäßig haushoch überlegen sein kann.

Und dann kam die Wende

Und nun die Wende in der Antriebsphilosophie! Am 9. März, zu Beginn der Corona-Krise, vollzog der VDA die 180-Grad-Wende. Dazu heißt es in einem Statement zu alternativen Kraftstoffen: "Der VDA bekennt sich ausdrücklich zu den Pariser Klimazielen und zur langfristigen Dekarbonisierung des Verkehrs. Es besteht im VDA große Einigkeit darüber, dass wir die Dekarbonisierung des Individualverkehrs langfristig nur schaffen, wenn wir alle verfügbaren Technologien zur Anwendung bringen: Elektrifizierung der Fahrzeugflotten; mittel- und langfristig die Brennstoffzellentechnologie, insbesondere im Bereich der schweren Lkw; weitere Optimierung des Verbrennungsmotors und die Anwendung von erneuerbaren Kraftstoffen wie synthetischen Kraftstoffen (E-Fuels) und Wasserstoff."

Damit bekannte sich die Branche erstmals öffentlich zu Wasserstoff und E-Fuels als wichtigen Bausteinen für einen klimaneutralen Verkehr. Der Verband ging sogar so weit, die Bundesregierung für ihre Pläne für eine nationale Wasserstoffstrategie zu loben, hält die Pläne aber für zu wenig ambitioniert. Die Voraussetzung ist der zügige Aufbau von Produktionsstätten für Wasserstoff und E-Fuels. "Aber der Entwurf geht noch nicht weit genug. Es fehlen darin konkrete Maßnahmen, wie regenerative Kraftstoffe in der benötigten Menge rasch zum Einsatz kommen." Denn regenerative Kraftstoffe könnten die Elektromobilität sinnvoll ergänzen und für eine Verbesserung der Klimabilanz der Bestandsflotte sorgen.

E-Mobilität ist nicht alles

Das waren völlig neue Töne in der bisherigen Dekarbonisierungsdebatte des Verkehrs. Von den 47 Millionen Verbrenner-Altbeständen auf deutschen Straßen war bisher nie die Rede. Selbst wenn, wie von der Bundesregierung als Zwischenziel angestrebt, bis 2030 zwischen 7 und 10,5 Millionen Elektroautos in den Verkehr gebracht würden, besteht die restliche Autoflotte in Deutschland immer noch zu 75 Prozent aus Verbrennern. Die allerdings mit jedem neuen Jahrgang dank der Euro 6d-Temp-Emissionsnorm zunehmend sauberer und umweltfreundlicher werden.

Unabhängig davon treibt die deutsche Automobilindustrie laut VDA auch die Entwicklung von erneuerbaren Kraftstoffen voran: "Ohne diese Energieträger werden wir die Klimaziele nicht erreichen. Denn auch im Jahr 2030 ... werden über 30 Millionen Fahrzeuge weiterhin einen Verbrennungsmotor aufweisen. Ein wichtiger Hebel zur Senkung der Kohlendioxid-Emissionen im Bestand werden klimaneutrale E-Fuels sein ..."

Natürlich setzt sich der VDA weiterhin auch dafür ein, den Hochlauf der Elektromobilität zu beschleunigen. Er fordert aber die betreffenden Branchen gleichzeitig auf, "… schon jetzt zusätzlich die Weichen zu stellen, damit nachhaltige, regenerative Kraftstoffe rechtzeitig zur Verfügung stehen." Besser wäre wohl der Hinweis auf "recht zeitig" gewesen.

Der Vorwurf an die Automobilbranche, in der Vergangenheit einseitig nur auf Elektromobilität gesetzt zu haben, ist damit vom Eis. Eine Beerdigung erster Klasse! Die deutsche Automobilindustrie hat still und leise und von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen die entscheidenden Weichen für ihre zukünftige Wettbewerbsfähigkeit gestellt. Mit dem Plädoyer für eine sinnvolle Ergänzung der Elektromobilität durch synthetische Kraftstoffe, CO2-neutrale Treibstoffe, hat der VDA die Zukunft der Verbrennertechnologie - und von zigtausenden Arbeitsplätzen in der Branche - sichergestellt.

Quelle: ntv.de


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