Auf die Titelseite der preisgekrönten US-amerikanischen Zeitung "New York Times" schaffen es selbst die besten Bundesliga-Spieler kein einziges Mal in ihrem Leben. Jadon Sancho war am Sonntagabend allerdings ganz oben auf der Online-Seite zu sehen, nachdem er das Tor zum 2:0 in Paderborn erzielt hatte. Die Ehre wurde dem Engländer aber nicht wegen seines Treffers zuteil, sondern weil er sein Trikot ausgezogen hatte und auf seinem T-Shirt darunter auf Englisch stand: "Gerechtigkeit für George Floyd". Ein Kontrollgremium des DFB prüft das Statement und die Möglichkeit einer Strafe nun - doch was laut Verbandssatzung verboten ist, darf in diesem Fall nicht bestraft werden. Der DFB muss erkennen: Jedes Zeichen gegen Rassismus ist größer als jede Fußball-Regel.
Sanchos Teamkollege Achraf Hakimi und Schalkes Weston McKennie protestierten am Wochenende mit ähnlichen Aufschriften. Mönchengladbach Marcus Thuram ging beim Torjubel auf ein Knie, so wie es der ehemalige NFL-Quaterback Colin Kaepernick aus Protest gegen Polizeigewalt gegen Schwarze in den USA machte. Die Bundesliga-Spieler setzen damit genau das richtige Zeichen gegen Rassismus, nachdem in Minneapolis ein weißer Polizist fast neun Minuten seelenruhig auf dem Hals des schwarzen Floyds gekniet und ihn damit umgebracht hatte. Denn auch in Deutschland, im Fußball wie in der Gesellschaft, ist Rassismus ein Problem - und jeder laute und medienwirksame Aufschrei gegen diese abscheuliche Form der Diskriminierung sollte bejubelt werden.
Endlich mal mündige Profis
Laut Regularien darf die Ausrüstung der Spieler "keine politischen, religiösen oder persönlichen Slogans, Botschaften oder Bilder aufweisen". Natürlich muss der DFB nun regelkonform ermitteln. Doch so einfach ist die Situation nicht, und der DFB sollte Milde walten lassen und damit ebenfalls ein Signal senden. Auch der Schiedsrichter hätte durchaus auf die Gelbe Karte für Sancho verzichten können als starkes Zeichen gegen Rassismus, obgleich er dann später hätte sanktioniert werden können. Schließlich geht es hier um einen gesellschaftlichen Aufschrei, der von allen mitgetragen und endlich zu mehr Gerechtigkeit in den USA, aber auch in Deutschland führen sollte. Die Bundesliga-Großen um Oliver Kahn und Co. unterstützen die Floyd-Aktionen dementsprechend zu Recht.
Natürlich ist die Trennung von Sport und Politik an sich richtig. Fußball ist in erster Linie Wettbewerb und darf nicht missbraucht werden. Aber hat die Trennung jemals funktioniert? Bereits wenn zwei Menschen aufeinander treffen, wird es politisch. In einem Stadion erst recht. Immer wieder in der langen Fußballhistorie nutzen Mannschaften oder Gastgeber das Sportevent für ihre Botschaften. Wenn eine Fußball-WM im Menschenrechte missachtenden Katar stattfinden soll und Endspiele im autoritären Aserbaidschan ausgetragen werden, dann hat Sport-Washing längst gesiegt und Fußballdeutschland sollte dankbar sein für mündige Profis wie Sancho, McKennie und Co., die klare Kante zeigen. Oft genug scheuen die glatten Spieler von heute vor solchen deutlichen Statements, mit denen sie auch anecken können, zurück oder geben sie viel zu spät ab.
Botschaft der Brüderlichkeit beklatschen
Auch der DFB hat beim Thema Rassismus nicht immer eine gute Figur abgegeben und entweder zu lange geschwiegen (siehe Rassismus gegenüber Mesut Özil) oder zu zaghaft gehandelt (siehe rassistische Aussagen von Schalke-Boss Clemens Tönnies). Und vermehrt versucht der Verband gegen jede Form von Diskriminierung einzustehen, launcht Imagekampagne um Imagekampagne mit Spielern - aber wenn sich die Kicker auf dem als Bühne hochattraktiven Spielfeld für dieses zentrale Thema einsetzen, bestraft der Verband sie? Das wäre äußerst kontraproduktiv und ein falsches Signal. Schließlich handelt es sich bei den Bundesliga-Protesten nicht um eine politische Aktion, sondern um eine humanistische und egalitäre Botschaft der Brüderlichkeit.
Natürlich besteht die Gefahr, dass jeder Spieler den Rasen als Plattform für seine Zwecke nutzen könnte, wenn Sancho und seine Kollegen straffrei ausgehen - auch für nicht so wertvolle Ziele wie Gerechtigkeit, wie schon oft genug geschehen. Dieses Risiko muss man aber eingehen im Kampf gegen Rassismus. Besonders, wenn die Fifa sich mal wieder von ihrer nicht gerade werteorientierten Seite zeigt und nun in einem Tweet über die besten Scorer in Europas Top-Ligen das Bild mit Sanchos Botschaft kurz nach der Veröffentlichung durch ein neutrales austauschte.
Der DFB sollte von Sanktionen gegen Sancho, McKennie, Haikimi und Thuram absehen und lieber die Chance nutzen, sich deutlich zu positionieren: Den Kampf gegen Rassismus gilt es zu beklatschen, nicht zu bestrafen.
Quelle: ntv.de
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