In der Corona-Pandemie gibt es viele Menschen, die sich mit dem Coronavirus anstecken, aber nicht am dadurch ausgelösten Covid-19 erkranken. Die genauen Infiziertenzahlen zu erfassen, ist somit unmöglich, es bleibt immer eine Dunkelziffer. Forschende am Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock und der Universität Helsinki haben deshalb ein demografisches Skalierungsmodell entwickelt, dass es ermöglicht, die tatsächliche Zahl der Infektionen aufgrund weniger Daten abzuschätzen.
Für ihr Modell haben die Wissenschaftler die zehn am stärksten von der Pandemie betroffenen Länder berücksichtigt. Die Grundlage bilden Angaben zu Covid-19-Todesfällen und zur Infektionssterblichkeit. Weil für die meisten Länder die Covid-19-Sterblichkeit noch nicht bekannt ist, haben die Forscher sie mithilfe der sogenannten Restlebenserwartung von einem Referenzland auf andere Länder übertragen. Diese demografische Größe erlaube es, Unterschiede in der Altersstruktur, den Vorerkrankungen in der Bevölkerung und im Gesundheitssystem der Länder zu berücksichtigen, heißt es in der vorab veröffentlichten Studie.
Die Wissenschaftler gehen von zwei Annahmen aus: Die erste ist, dass die Zahl der Menschen, die an oder mit Covid-19 gestorben sind, überall recht genau erfasst wird. Die zweite ist, dass die Infektionssterblichkeit aus der chinesischen Region Hubei, nach einer mathematisch-demografischen Anpassung, auch auf andere Länder übertragbar ist. In der Provinz Hubei war das Virus zuerst bei Menschen nachgewiesen worden.
Hilfe bei Feststellung der Herdenimmunität
Aufgrund dieser Annahmen kommen sie zu dem Schluss, dass in den zehn Ländern mit den weltweit meisten Corona-Toten die offiziellen Infiziertenzahlen wahrscheinlich zu niedrig angesetzt sind. Für Italien schätzen die Forscher, dass sechsmal so viele Menschen infiziert sind, wie gemeldet. Das wären insgesamt etwa 1,4 Millionen Infizierte. In den USA mit 3,1 Millionen Erkrankten gehen die Wissenschaftler von mehr als doppelt so vielen Infizierten aus. In Deutschland hingegen ist die Fallzahl demnach nur 1,8 Mal höher als die bestätigte Zahl.
"Allerdings ist die Unsicherheit für unsere Modellschätzungen groß", sagt die Mitautorin der Studie, Christina Bohk-Ewald, in einer Mitteilung des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung. Denn die Dunkelziffern lägen im Bereich zwischen doppelt und elfmal so hoch. Auch die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern seien groß. Trotzdem sind die Forscher überzeugt, ein breit einsetzbares Modell entwickelt zu haben, das mit leicht verfügbaren Daten nützliche Schätzungen der tatsächlichen Infiziertenzahl liefert.
Das Modell sei auch geeignet, "die geschätzten Infektionszahlen anderer Ansätze und Studien, die zum Beispiel die Verbreitung von Antikörpern in der Bevölkerung messen, vorläufig auf Plausibilität zu prüfen", sagt der an der Studie beteiligte Sozialwissenschaftler Christian Dudel. Demnach seien die nur regional durchgeführten Antikörpertests und die daraus gewonnen Daten häufig nicht repräsentativ für die ganze Bevölkerung eines Landes. Die Infektionszahlen recht genau abschätzen zu können, ist unter anderem wichtig, um die Herdenimmunität abschätzen zu können, also den Prozentsatz der Bevölkerung, der die Infektion vermutlich bereits durchlaufen hat und nun immun ist.
n-tv
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