Wie die Corona-Krise Lebensglück vernichtet

  08 Juni 2020    Gelesen: 1201
Wie die Corona-Krise Lebensglück vernichtet

Die Pandemie zehrt nicht nur an der Wirtschaft, sondern auch an der Psyche. Forscher ziehen Vergleiche zu harten Schicksalsschlägen. Junge trifft es besonders.

Die Corona-Krise und die wochenlange Beeinträchtigung des beruflichen, öffentlichen und sozialen Lebens hat nicht nur viele Milliarden Euro Wirtschaftskraft, sondern auch einen erheblichen Teil der Lebenszufriedenheit zerstört. Darauf lassen Umfragen aus Großbritannien schließen, die in der letzten Aprilwoche erhoben wurden. Sie offenbaren bei vielen Menschen psychische Beeinträchtigungen, Konzentrationsschwächen und das zunehmende Gefühl, nicht gebraucht zu werden. „Zusammengefasst lässt sich sagen, dass der Effekt auf die psychische Gesundheit so schlimm ist wie der Effekt, wenn man arbeitslos wird“, sagt der Marburger Soziologie-Professor Martin Schröder, der die Daten ausgewertet hat, der F.A.Z. Auf einer Skala, die im besten Fall hundert Punkte anzeigt, sank die Lebensqualität dem Forscher zufolge um rund drei Punkte auf 65.

Der Wissenschaftler, der gerade ein Buch über die Zufriedenheit der Deutschen geschrieben hat, geht davon aus, dass die Ergebnisse weitgehend auf Deutschland übertragen werden können. Das Ausmaß der Beeinträchtigung sei überraschend groß, sagt er. Aus früheren Studien ist bekannt, dass Arbeitslosigkeit die Lebenszufriedenheit stärker als andere Schicksalsschläge – wie etwa die Scheidung vom Partner – mindert. Während von der Arbeitslosigkeit immer nur ein geringer Teil der Bevölkerung betroffen sei, handle es sich bei den Corona-Beschränkungen um einen Effekt, der die gesamte Bevölkerung beeinträchtige, betont Schröder. „Man sollte das also sehr ernst nehmen“.

Besonders häufig litten die Menschen in Großbritannien der Umfrage „Understanding Society” zufolge darunter, den normalen täglichen Aktivitäten nicht nachgehen zu können. Aber auch das Gefühl nutzlos zu sein, Schlaflosigkeit, depressive Verstimmungen und andere unangenehme Gefühle schlugen auf das Gemüt. Überraschend für Schröder war, dass Ältere, die vom Virus besonders gefährdet sind, der Umfrage zufolge weniger litten als Jüngere. Diese hätten mit Abstand die größten psychischen Beeinträchtigungen hinzunehmen. Die wirtschaftliche Situation der Befragten habe hingegen kaum Einfluss gehabt.

Insbesondere die Frauen betroffen

Erste Befragungen hierzulande zeigen zwar auch teils erhebliche Beeinträchtigungen, allerdings noch kein so klares Bild wie in Großbritannien. Auf Grundlage einer eigenen Befragung hatte Jutta Allmendinger, die Präsidentin des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), der F.A.Z. im Mai gesagt, dass zwei gesellschaftliche Gruppen in ihrer Lebenszufriedenheit „extrem abgesackt“ seien: „Eltern mit kleinen Kindern, und wenn man da nochmal nach Männern und Frauen unterscheidet, sind es insbesondere die Frauen.“ Die zweite Gruppe seien die Selbständigen, die in ihrer wirtschaftlichen Existenz besonders bedroht seien.

Eine kürzlich veröffentlichte Auswertung, die auf jüngsten Befragungen des Sozio-ökonomischen Panels (Soep) beruht, zeigt dagegen ein ambivalentes Bild. Die Zufriedenheit mit dem Familienleben hat demnach im Vergleich zum Vorjahr gelitten. Während der Mittelwert im Jahr 2019 auf einer Skala von 0 bis 10 bei 7,8 gelegen habe, liege er im April 2020 bei 7,5. „Dass dies ein bemerkenswerter Unterschied ist, kann man durch einen Vergleich der Schwankungen über die letzten Jahre (...) sehen: Die Werte seit 2015 waren weitgehend konstant und variierten eher auf der zweiten Nachkommastelle“, schreibt Soep-Direktor Stefan Liebig, der am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) arbeitet. In derselben Auswertung bewerteten die Befragten ihre allgemeine Lebenszufriedenheit aber etwa so gut wie im Vorjahr.

Abzuwarten bleibt, ob mit dem Ende des Lockdowns auch die psychischen Beeinträchtigungen wieder verschwinden werden. Soziologe Schröder ist grundsätzlich optimistisch, schränkt aber ein: „Falls die Arbeitslosigkeit deutlich wächst, werden sich Belastungen verfestigen.“

FAZ.net


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