Oliver Kahn, designierter Vorstandschef des FC Bayern, gab die Richtung vor: Der Rekordmeister werde zukünftig bei Transfers nicht nur auf die spielerischen Qualitäten potenzieller Neuzugänge achten. Auch der Charakter stehe auf dem Prüfstand. "Siegermentalität, Demut, Disziplin und Durchhaltevermögen" seien gefragt, umriss der ehemalige Torwart-Titan das Münchner Anforderungsprofil gegenüber der "Sport Bild" - Charaktereigenschaften, die man Leroy Sané nicht unbedingt zuschreiben würde.
Dem Sané, der die WM 2018 angeblich auch wegen seiner Nicht-Teilnahme am Confed Cup im Jahr zuvor verpasste. Dem Sané, der einen extravaganten Lebensstil führt und schon einmal wegen eines 18.000 Euro teuren Rucksacks in die Schlagzeilen geriet. Dem Sané, dem in der Vergangenheit schon mal Lustlosigkeit vorgeworfen wurde. Die Leistungsträger der "besten Bayern der letzten 10, 15 Jahre" (O-Ton Dietmar Hamann) in diesem von der Corona-Pandemie so durcheinandergewirbelten Frühsommer heißen Leon Goretzka, Joshua Kimmich oder Thomas Müller - allesamt Musterprofis, fernab jeder Allüren. Sie führen Hansi Flicks Münchner von Sieg zu Sieg, von Rekord zu Rekord.
Nach den Vertragsverlängerungen von Flick, Müller und Kapitän Manuel Neuer dominieren sportliche Schlagzeilen das Geschehen. Abseits des Platzes passiert rund um die Säbener Straße wenig Spannendes. Ein Szenario, wie es sich die Bayern-Bosse wünschen. Der FC Hollywood hat derzeit Sendepause. Mit einem Transfer von Leroy Sané würden die Verantwortlichen womöglich nicht nur die Wohlfühl-Atmosphäre dieser Tage aufs Spiel setzen. Experten zweifeln auch am sportlichen Wert des Ex-Schalkers, dessen Marktwert auf rund 80 Millionen Euro taxiert wird.
"Wenn dieser Top-Trainer (Pep Guardiola, Anm. d. Red.) einen Spieler nicht mehr haben will und ihn im Champions-League-Viertelfinale 2019 gegen Tottenham in größter Not nur zweimal für addiert knapp zehn Minuten einwechselt, kann mit diesem Profi etwas nicht stimmen", sagte Sky-Experte Hamann schon im vergangenen Sommer, als Sané erstmals intensiv mit einer Luftveränderung gen München in Verbindung gebracht wurde.
Sané sei zwar "schnell und talentiert", schrieb DFB-Legende Jürgen Kohler in einer "Kicker"-Kolumne, müsse "aber noch den Nachweis erbringen, dass er auf absolutem Top-Niveau ein Leistungsträger ist". Auch die Bilanz von Sanés fast vier Jahren bei City fällt wechselhaft aus. Zwar ließ er seine Qualitäten immer wieder aufblitzen, erzielte in 134 Pflichtspielen 39 Tore und bereitete 45 weitere Treffer vor - eine starke Bilanz. Doch zu den unumstrittenen Stammspielern gehörte Sané unter Guardiola nicht.
Passt Leroy Sané charakterlich?
Charakterlich passe der angebliche Wunschspieler zudem "überhaupt nicht" zum FC Bayern, ätzte der frühere Münchner Profi, Co- und Interimstrainer Willy Sagnol im französischen Radio. Sané sei jemand, "dessen Form sehr inkonstant ist und der sehr zurückgezogen ist. Er hatte schon viele Probleme bei City und der Nationalmannschaft." Tatsächlich ist fraglich, ob Sanés extrovertierter Charakter zur homogenen, bodenständigen Truppe aus München passt.
Durch größere Eskapaden fällt der gebürtige Essener zwar nicht auf. Doch Sané mag es schrill, ist mit Model Candice Brook, Ex-Freundin von Rapper Chris Brown und NBA-Star Andre Drummond, liiert, trägt gerne auffällige und arg teure Markenkleidung - siehe der 18.000-Euro-Rucksack. Seinen Rücken ziert ein riesiges Tattoo - ein Selbstporträt, Leroy Sané mit ausgestreckten Armen beim Torjubel.
Klar ist außerdem: Ein Leader der Marke Kimmich oder Goretzka wird der Sohn des früheren Bundesliga-Profis Souleymane Sané nicht mehr werden. DFB-Kollege Toni Kroos bezeichnete Sané einst vielmehr als einen Spieler, der "gesagt bekommen muss, was zu tun ist". Ein trotz Corona millionenschwerer Transfer wäre aus Münchner Sicht deswegen nur dann sinnvoll, wenn sich die Verantwortlichen zutrauen, Sané erfolgreich ins sportliche Gefüge einzugliedern und ihm zu mehr Konstanz zu verhelfen.
Dann könnte er auch Serge Gnabry, ebenfalls einer der neuen Flick'schen Musterschüler, und dem zuletzt wiedererstarkten Kingsley Coman auf den Außenpositionen Konkurrenz machen. In das fußballerische Konzept jedenfalls dürfte eine Verpflichtung passen. Angesprochen auf mögliche Neuzugänge wünschte sich der Coach vor dem DFB-Pokalspiel gegen Eintracht Frankfurt (ab 20.45 Uhr im Liveticker bei ntv.de) explizit mehr "Tempo" auf den Außenbahnen in seinem Kader. Dafür steht Leroy Sané, kein Zweifel.
Für die von Oliver Kahn formulierten "Bayern-Tugenden" jedoch (noch) nicht.
Quelle: ntv.de
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