„Das zeigt, wie krank unsere Gesellschaft ist“

  13 Juni 2020    Gelesen: 675
„Das zeigt, wie krank unsere Gesellschaft ist“

Zwischen Wut und Zuversicht: Mönchengladbach will unbedingt in die Champions League. Doch vor dem Spiel gegen den FC Bayern wachsen die Sorgen, dass die Borussia durch „Kleinigkeiten“ um den Lohn ihrer Arbeit gebracht wird.

Eine Woche der widersprüchlichen Empfindungen liegt hinter den Angehörigen von Borussia Mönchengladbach, die sich eigentlich über einen wunderbaren Erfolg freuen können. Am Mittwoch haben sie vor dem Fernseher ihr wichtigstes Saisonziel erreicht: Weil der FC Bayern und Bayer Leverkusen im Pokalfinale stehen, werden sie im kommenden Spieljahr sicher an der Gruppenphase der Europa League teilnehmen, selbst wenn sie noch auf den sechsten Tabellenplatz abstürzen. „Vier Spieltage vor Schluss ist das ein außergewöhnlich gutes Ergebnis“, sagt Max Eberl. Doch die Freude beim Tabellenvierten über diesen schönen Erfolg wurde in den Tagen vor dem großen Duell beim FC Bayern an diesem Samstag (18.30 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Bundesliga und bei Sky) durch ein paar Vorkommnisse eingetrübt, die den Sportdirektor wütend machen.

Gemeinsam mit dem 1. FC Köln, Borussia Dortmund und Schalke 04 haben die Gladbacher ein Video gedreht, in dem sie ihre klare Haltung gegen Rassismus bekunden, woraufhin ein heftiger Shitstorm über die Gladbacher hinwegfegte. „Das zeigt, wie krank unsere Gesellschaft ist, wenn wir dann eben solche Statements drunterstehen haben, die genau in die andere Richtung gehen“, sagt Eberl vor dem Spiel in München über die vielen rassistischen, hetzerischen und menschenverachtenden Kommentare, mit denen irgendwelche Leute auf die Friedensbotschaft antworteten. Er würde sich „wünschen, dass man es schafft, diese Menschen zu finden und zu bestrafen und sie aus unserer Gesellschaft zu verbannen“, verkündet Eberl. „Die haben in unserer Gesellschaft nichts verloren, die haben bei Borussia Mönchengladbach nichts verloren.“

Nicht nur wichtige Punkte verloren

Aber nicht nur diese für den Klub unerwarteten Reaktionen auf das Video verärgern die Gladbacher während dieser entscheidenden Phase der Saison. In der vergangenen Woche haben sie beim 0:1 in Freiburg nicht nur drei wichtige Punkte verloren, sondern auch noch ihren Stürmer Alassane Pléa, der zuletzt so brillant in Form war. Die Erinnerung an diese Gelb-Rote Karte lässt immer noch die blanke Wut aufsteigen in Eberl. „Es war weder ein schlimmes noch ein taktisches Foul“, aber ein Foul mit Folgen. In München müssen die Gladbacher auf die eine Hälfte ihres kongenialen Sturmduos Pléa/Marcus Thuram verzichten. Und Eberl wird ebenfalls auf der Bank fehlen, weil er nach dem Platzverweis für den Stürmer die erste Rote Karte für einen Funktionär in der Bundesligageschichte sah, die „deutlich berechtigter“ gewesen sei, wie der Sportdirektor selbst einräumt. Er habe seine spontane Schiedsrichterkritik mit einem Ausdruck aus der „Fäkalsprache“ ausgestattet.

Das Spiel in München wird daher nicht nur auf technisch-taktischer Ebene spannend. Interessant ist auch die Frage, wie das Team von Marco Rose mit den Verstimmungen dieser Tage umgeht. „Der Plan ist, mutig zu sein, selber auch zu versuchen, den Ball zu haben, konsequent gegen den Ball zu arbeiten“, sagt der Trainer. Aber eine gewisse Furcht vor einer Niederlage wäre nicht verwunderlich. Denn Borussia Mönchengladbach spielt die beste Saison seit Jahren, mit einem aufregenden Kader voller besonderer Spieler. Sie wollen dringend mehr, als nur in der Europa League spielen. Duelle mit Gegnern der Stärke des FC Bayern brauche seine Mannschaft nämlich „im Optimalfall nicht nur zweimal im Jahr, sondern acht-, zehn- oder fünfzehnmal“, sagt Rose, „weil wir uns so persönlich weiterentwickeln, jeder Spieler sich selber und wir auch als Mannschaft.“

Es geht den Gladbachern bei ihrem Wunsch nach Königsklassenfußball also weniger um Geld und Ruhm; die vielen brillanten Fußballprofis, die am Beginn ihrer internationalen Karrieren stehen, benötigen den Wettbewerb gegen die Besten der Welt, um ihre Potentiale voll zu entfalten: Thuram, 22, Breel Embolo, 23, Dennis Zakaria, 23, Florian Neuhaus, 23, oder Nico Elvedi, 23, befinden sich an Punkten ihrer Karrieren, an denen sie den Durchbruch in die Phalanx der internationalen Topspieler schaffen können. Ein weiteres Jahr in der Europa League wäre für die Profis und den Trainer nach dieser starken Saison nicht nur eine große Enttäuschung, sondern ein Rückschlag für die persönliche Entwicklung.

So erklärt sich der Ärger der Mönchengladbacher Verantwortlichen über kleine Widrigkeiten, die am Ende großen Einfluss auf die mittelfristige Zukunft des Klubs haben könnten. Pléa war schon beim Spiel beim direkten Konkurrenten RB Leipzig im Februar mit einer umstrittenen Gelb-Roten Karte vom Platz geflogen, die Borussia hatte zu diesem Zeitpunkt 2:1 geführt und musste in der 89. Minute in Unterzahl den Ausgleich verkraften. Ohne diesen Treffer wären sie nun punktgleich mit den Sachsen statt drei Zähler schlechter. Nun erlebten sie eine ähnliche Situation in Freiburg, wieder gingen nach einer brillanten Halbzeit wertvolle Punkte verloren. Das habe „schon richtig weh getan“, sagt Rose, und Eberl erklärt: „In wichtigen Spielen, wo es auf ganz kleine Kleinigkeiten ankommt, sind die Entscheidungen immer auf die andere Seite gefallen.“

Die Sorge, dass sie am Ende durch solche „Kleinigkeiten“ um den Lohn ihrer Arbeit gebracht werden, ist deutlich spürbar am Borussia-Park. Denn im Herbst stand der Klub wochenlang auf dem ersten Tabellenplatz, der Trainer passt, der Kader ist ausgewogen und hochklassig, vielleicht gab es noch nie eine Gladbacher Mannschaft, die mehr in die Champions League gehörte als diese. Entsprechend groß ist die Fallhöhe vor den Spielen in München, gegen den VfL Wolfsburg, in Paderborn und gegen Hertha BSC. Schon eine Niederlage in München könnte zum entscheidenden Rückschlag werden, wenn sich Bayer Leverkusen und RB Leipzig keine Blöße mehr geben.

FAZ.net


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