Die erstaunliche Meisterschaft des FC Bayern

  17 Juni 2020    Gelesen: 887
  Die erstaunliche Meisterschaft des FC Bayern

Klar, am Ende ist der FC Bayern wieder Meister. Wieder mal verdient. Wieder mal souverän. Doch die Saison war überraschend kurios - viel war los, von Hoeneß bis FC Hollywood. Doch auch all das tat dem Klub nicht weh, wegen Hansi Flick.

Man wäre ja schon überrascht, wenn man Hansi Flick in den kommenden 14 Tagen mit den Händen oben jubelnd durch die Gegend laufen sehen würde. Zutrauen würde man es ihm eher nicht. Aber was hat man ihm schon zugetraut, als er Anfang November Trainer des FC Bayern wurde. Ein, zwei Spiele waren es. Womöglich sogar drei bis vier. Keinesfalls aber 29, von denen er 26 gewann - und deshalb nun vorzeitig Deutscher Meister ist. Und Finalist des DFB-Pokals und Mit- bis Topfavorit auf den Gewinn der Champions League, wenn diese dann irgendwann irgendwie fortgesetzt wird.

Hansi Flick hat sie alle überrascht. Und das nicht wegen der Meisterschaft. Die hätte die Mannschaft vermutlich auch mit einem anderen Coach verbucht, wie es ihr bereits seit acht Jahren gelingt. Mal erdrückend dominant wie unter Josep Guardiola, mal routiniert wie unter Carlo Ancelotti, mal abgekämpft wie unter Niko Kovac oder auch mal bestens gelaunt und in unerschütterlichem Glauben an sich selbst wie unter Jupp Heynckes. Und in Tradition dieser Legende steht er nun, der Hansi Flick. Nach siebeneinhalb Monaten.

Ein Plädoyer von Heynckes

In den Vorhof der prächtig besetzten Legenden-Galerie beim FC Bayern hat sich Flick nicht selbst gesetzt. Dafür ist er viel zu demütig und zurückhaltend. Anders als ein Louis van Gaal, der vermutlich schon vor seinem ersten Spiel dort Platz genommen hätte, hätte der den Weg dorthin gefunden. Zum Platz geleitet wurde Flick von Heynckes. In seinem im "Kicker" veröffentlichten Plädoyer verriet der dem Klub (und dem Rest der Fußball-Welt), dass Flick ein echtes Juwel als Trainer sei, einer, der eine neue Epoche in München prägen könne. Eine ähnlich erfolgreiche wie jene, die am 13. März 2019 nach dem Achtelfinal-Aus in der Champions League gegen den FC Liverpool (zumindest medial) begraben wurde.

Ob nun in München tatsächlich eine neue Epoche beginnt - niemand weiß es. Nicht mal Uli Hoeneß, der ja sonst allerhand Dinge weiß, wenn auch nicht immer faktensicher. "Wir haben eine junge entwicklungsfähige Mannschaft", sagte der Klub-Patriarch vor gut zwei Wochen dem Radiosender Bayern 1. "Ich kann mir gut vorstellen, wenn alles optimal läuft, beginnt gerade eine neue Ära." Es wird eine sein, die er nicht mehr gestaltet. Nicht mehr in der ersten Reihe jedenfalls, seine eigene Ära hatte er am 15. November grantelnd abmoderiert. Ja, tatsächlich auch sein Rückzug nach über 40 Jahren war Teil dieser kuriosen Saison!

Ganz schön viel Theater

Kurios war sie indes nicht nur wegen Corona. Kurios war sie beim FC Bayern auch, weil sich zarte Ausläufer des "FC Hollywood" gegen die jahrelang erfolgreiche Immunität des Klubs widersetzt hatten. Da war im November von "Strömungen" gegen den völlig ausgelaugten und gemobbten Ex-Coach Niko Kovac die Rede. Da war das Theater um die Vertragsverlängerung von Manuel Neuer, wo Vorwürfe der Indiskretion überraschend laut formuliert wurden. Und da war gerade erst die Debatte um Thomas Müller, der das heikle Paradoxon zwischen Gehaltsverzicht in der Corona-Krise und diskutierten Mega-Ablösen offenbarte, dann aber auf den Rüffel des Klubs hin mit einer bizarren Medienattacke reagierte. In allerdings allerbester Klubtradtion.

Völlig unaufgeregt hat sich Flick zwischen den ganzen Linien bewegt. So wie es sonst nur Thomas Müller konnte. Und mittlerweile wieder kann. Von Flick wurde er aus der fußballerischen Wertlosigkeit geholt und zum Unverzichtbaren gemacht. Ebenso wie Jérôme Boateng, der ja mindestens so weit von sportlicher Nützlichkeit entfernt war wie Müller. Dass Bayern nun wieder Deutscher Meister geworden ist, das liegt auch an den sieben Toren und 16 Vorlagen, die Müller dem Team unter Flicks Regie lieferte, und an Boateng, der an der Seite von David Alaba den Heldengrätscher und Diagonalball-Kaiser in sich wiederentdeckte. Und an Torphänomen Robert Lewandowski, am giftigen und bisweilen genialen Antreiber Joshua Kimmich, am wuseligen Serge Gnabry, am brutal-dynamischen und mittlerweile dauerpräsenten Leon Goretzka. Sie alle hat Flick nochmal ein bisschen besser gemacht. Es ist keine längst keine geschlossene Liste.

Und dann ist da noch Alphonso Davies, der bisher beeindruckendeste Nachweis der Flick'schen Nachwuchsförderung. Wobei zur Wahrheit gehört: Die Idee, den Kanadier auf die linken Abwehrseite zu setzen, hatte auch schon Niko Kovac. Neben Davies beeindruckt aber auch Joshua Zirkzee, der junge Niederländer, der den unverzichtbaren Lewandowski bereits gelegentlich überzeugend vertreten hatte. Sogar als Spielentscheider.

Mit Pressing zur Dominanz

Das Wichtigste aber: Flick hat den Bayern ihr Selbstverständnis zurückgeben. Das Selbstverständnis, jedes Spiel gewinnen zu können - was sie bis auf eine kleine Schwäche kurz vor Weihnachten ja auch getan haben. Er hat das mit dem Fußball getan, der die Bosse verzückt und die Spieler begeistert. Flick lässt sein Team weit in die Hälfte des Gegners aufrücken; geht der Ball verloren, greift sofort ein aggressives Pressing, das den Ball im besten aller Fälle direkt zurückbringt. Es ist der größte Unterschied zur Idee von Kovac, der auf eine tiefe Abwehr setzte. Wenn das schnelle Attackieren richtig greift, enthemmt sich zusammen mit den technischen Qualitäten der Spieler die brutale Dominanz, mit der die Guardiola-Bayern einst die Liga verzweifeln ließen.

Aber Hansi Flick kann auch anders. Er kann auch vehement. Und zwar dann, wenn er in seinem Fachbereich Probleme sieht. Im Winter, da war er gerade erst vom Mini-Interim zum Medium-Interim aufgestiegen, scheute er sich nicht davor, Sportdirektor Hasan Salihamidzic mit dem Wunsch nach Verstärkungen für seinen Rumpfkader zu bearbeiten. Erst intern, dann öffentlich. Den kleinen Machtkampf gewann er schließlich, auch wenn sich Leihspieler Álvaro Odriozola in Summe nicht als das erwies, was er sein sollte: eine Verstärkung.

Und auch als die Stimmung im Verein gegen Manuel Neuer zu kippen drohte, weil er sich fortwährend gegen eine mögliche Einsatzgarantie für seinen künftigen Herausforderer Alexander Nübel wehrte und sich daraufhin einen amtlichen Vertragspoker mit dem Klub lieferte, wurde Flick vehement: Er entscheide, wer spiele. Sagte er. Und er ließ keinen Zweifel, dass das Neuer sein wird. Zugetraut hatte man Flick das alles nicht. Gemacht hat er es trotzdem. Anders als in den kommenden 14 Tagen mit den Händen oben jubelnd durch die Gegend zu laufen. Das hat er am Montag ausgeschlossen. Vehement sogar.

Quelle: ntv.de


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