Erling Haaland ließ sich entkräftet auf einen Stuhl plumpsen. Der Doppeltorschütze mochte die Fragen nach dem überzeugenden 2:0 (1:0)-Erfolg des BVB im Spitzenspiel bei RB Leipzig lieber im Sitzen beantworten. "Es war heiß heute, ich bin müde, weil ich viel gelaufen bin", erklärte der 19-jährige Matchwinner.
Kurz zuvor hatte er eine Hereingabe von Julian Brandt von der rechten Seite, die zentimetergenau vorbei an den Handschuhen von Leipzigs Keeper Peter Gulacsi zu dem Norweger gelangt war, im Rutschduell mit Amadou Haidara zum Endstand verwandelt (90.+3). Sein 13. Bundesligatreffer im 14. Spiel für den BVB. "Ich hätte heute fünf Tore schießen können, aber ich habe zwei geschossen, und wir haben gewonnen", sagte Haaland ungerührt. Und schob hinterher: "Wir haben Leipzig im Wettbewerb um den zweiten Platz geschlagen. Aber zufrieden bin ich nicht. Ich hätte gern die Bundesliga gewonnen."
So lässt sich dieser Dortmunder Sieg und vor allem die Art und Weise, wie er zustande gekommen ist, in doppelter Hinsicht interpretieren. Zunächst als deutliches Zeichen nach unten an Verfolger RB Leipzig, dem der BVB wie bereits beim 3:3 im Hinspiel spielerische Grenzen aufzeigte. Nach zehn abwartenden Minuten in der ersten Hälfte zwangen die Dortmunder den körperlich und mental ausgelaugten Leipzigern ihr kunstvolles Kombinationsspiel auf. RB stand in den ersten 45 Minuten nur Spalier, während sich die Gäste Dreieck für Dreieck nach vorn passten. RB ließ von den Abläufen nach Balleroberung bis zur nötigen Zweikampfhärte alles vermissen, lief nicht aggressiv an, sondern gewährte den Dortmundern Zeit und Raum, um ihre Spielkunst zu demonstrieren.
"Es ist nach dem Spiel gegen Mainz auch eine Reaktion nötig gewesen. Da will man zeigen, dass man es kann", sagte Regisseur Brandt, der zu einem der Köpfe des Teams gereift ist. Von den viel zitierten Mentalitätsproblemen, an denen die BVB-Akteure angeblich in dieser Saison litten, war in Leipzig nichts zu sehen.
"Auch körperlich total unterlegen"
Leipzig, das nur eines der acht Spitzenspiele (3:1 in Gladbach) gewann, musste einsehen, dass Dortmund in den ersten Spielhälften jeweils eine Klasse besser war und nun im Rückspiel in der zweiten Hälfte auch kompakt verteidigte. "Das haben wir in allen Spitzenspielen gesehen, dass wir eine Halbzeit nicht präsent waren. Wir waren gerade im Mittelfeld auch körperlich total unterlegen", sagte Trainer Julian Nagelsmann. Die Champions-League-Qualifikation erreichte der abgestürzte Herbstmeister nach dem sechsten Heimspiel ohne Sieg nur, weil Hertha BSC gegen Verfolger Leverkusen gewann. "Wir - die Mannschaft ebenso wie der gesamte Klub - haben einige Schritte zu gehen. Die sind zäh und anstrengend", weiß Nagelsmann.
Dieses Spiel darf man auch als Verheißung für die kommende Saison betrachten. Das Zusammenspiel erfahrener Leitwölfe wie Axel Witsel und dem überaus präsenten Abwehrchef Mats Hummels, der als Spieleröffner glänzte, sowie heranwachsenden Dortmunder Toptalenten wie eben Haaland und dem jungen Giovanni Reyna, war überaus stimmig. Exemplarisch dafür war die Entstehung des 1:0, als sich Mats Hummels in der eigenen Hälfte gegen vier gegenpressende Leipziger behauptete und Brandt auf der rechten Seite in die Tiefe schickte. Dessen Hereingabe landete auf den Füßen des erst 17-Jährigen Giovanni Reyna, der bei seinem ersten Startelfeinsatz die Ruhe hatte, mit dem linken Fuß direkt auf Haaland weiterzuleiten. Nach zwei zuvor vergebenen Topchancen traf der Sturmtank gegen die überrumpelte Leipziger Abwehr (30.). Eine Traumkombination im Dortmunder Viel-Generationenteam (Durchschnittsalter gegen RB: 26,4 Jahre).
"Ich habe ihn zuvor bereits als amerikanischen Traum bezeichnet und das ist wahr. Er ist 17 Jahre, und was er heute auf dem Feld gezeigt hat, war unglaublich. Er hat eine große Zukunft vor sich", lobte der nur zwei Jahre ältere Haaland den designierten US-Nationalspieler Reyna. Der U19-Spieler war mit allen Freiheiten in der BVB-Offensive ausgestattet und war überall zu finden, wo sich Lücken boten. Mal holte er sich auf der Sechs den Ball, mal lief er wie vor dem 1:0 von der Zehnerposition aus in die Spitze, mal war er Rechts zu finden. Dabei wirkte er kein Stück nervös oder wie ein Jugendspieler, der plötzlich bei den Stars mitspielen darf. Sein Spiel absolut stimmig.
"Er ist ein riesiges Talent"
BVB-Trainer Lucien Favre hatte den Mann mit amerikanischer und portugiesischer Staatsbürgerschaft bereits vor dem Spiel als "sehr, sehr clever" gelobt: "Seine Bewegung ist sehr gut. Er ist ein riesiges Talent. Er versteht den Fußball, sowohl in der Offensive als auch in der Defensive. Was er im Alter von 17 Jahren macht, ist fantastisch."
Nach der Partie sagte der zufriedene Schweizer nur knapp: "Es war ihr erstes Spiel von Beginn an - sie haben hervorragend gespielt." Neben Reyna meinte Favre auch Hakimi-Vertreter Mateu Morey, der als Rechtsverteidiger ebenfalls sicher agierte und zu Beginn der zweiten Hälfte freigespielt von Haaland das 2:0 auf dem Fuß hatte, aber allein vor Keeper Gulacsi scheiterte (47.).
So war dieses Spiel auch ein Statement der Mannschaft für eine weitere Zusammenarbeit mit Trainer Lucien Favre. "Wir haben in dieser Saison bisher 69 Punkte geholt, viele Tore geschossen - wir müssen zufrieden sein." Haalands Treffer waren die Saisontore 83 und 84 - neuer Rekord für den BVB. Glücklich waren die Dortmunder mit dem Erreichen des Mindestziels dennoch nicht - verständlich bei zehn Punkten Rückstand auf den Meister aus München. "Vize-Meister ist nichts Besonderes. Wir haben keinen Grund zu feiern", sagte Brandt. Vielmehr platzierte der Zweite Kampfansagen nach München. "Wir wollen nächste Saison einen Rang nach oben rutschen, das nehmen wir uns vor. Der Titel muss immer das Ziel sein", sagte Hummels.
Und Haaland, der noch immer in seinem Stuhl saß, formulierte mit all der Naturgewalt, die ihn auch auf dem Spielfeld ausmacht: "Es ist natürlich scheiße, dass Bayern die Meisterschaft gewonnen hat, aber wir mussten das Beste daraus machen. Wir versuchen, ihnen so nahezukommen wir nur möglich." Einen körperlichen, spielerischen und mentalen Hünen wie ihn, der alle Mittelstürmer-Probleme beim BVB vergessen macht, hätten sie auch in Leipzig gern gehabt.
Quelle: ntv.de
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