Städtebund warnt vor sozialen Konflikten durch Corona

  22 Juni 2020    Gelesen: 450
Städtebund warnt vor sozialen Konflikten durch Corona

Bei Tönnies und anderen Fleischfabriken brach Corona aus. Man dürfe den Beschäftigten, die in beengten Verhältnissen wohnen, keinen Vorwurf machen, warnt der Städtebund. Grünenpolitiker Hofreiter schlägt einen Boykott vor.

Der Corona-Ausbruch bei Deutschlands größtem Fleischproduzenten Tönnies in Nordrhein-Westfalen droht, außer Kontrolle zu geraten. Angesicht der teils heftigen Ausbrüche und einhergehenden Einschnitten im Alltag warnt der Deutsche Städte- und Gemeindebund nun vor möglichen sozialen Konflikten.

"Wir dürfen Menschen nicht diskriminieren oder benachteiligen, die zum Beispiel im Niedriglohnbereich unter schlechten Wohnverhältnissen die preiswerte Fleischproduktion in bestimmten Betrieben gewährleistet haben", sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Er hob hervor, man dürfe Menschen, die in beengten Verhältnissen wohnen, keinen Vorwurf machen, weil es dort eher zu Infektionen kommen kann.

Bundesregierung besorgt
Es seien insbesondere die Betriebe gefordert, für anständige Löhne und Arbeitsbedingungen zu sorgen, aber insbesondere auch für Wohnverhältnisse, in denen ausreichende Hygienestandards gewährleistet werden können.

Bei Tönnies im ostwestfälischen Rheda-Wiedenbrück wurden bereits mehr als 1300 Menschen positiv auf das Virus getestet. Die komplette Belegschaft steht derzeit unter Quarantäne. Allgemeine Ausgangsbeschränkungen für den Kreis Gütersloh werden nicht ausgeschlossen.

Die Bundesregierung äußerte sich besorgt über den "massiven Ausbruch". Man setze auf umfassende Maßnahmen vor Ort, um die Ausbreitung von Infektionen einzugrenzen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Für die Region bestehe ein hohes Infektionsrisiko.

Lauterbach warnt vor Reisen aus der Region
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach warnt vor einem freien Reiseverkehr der Menschen aus der Region. "Ich bin sicher, dass deutlich mehr Menschen außerhalb der Mitarbeiterschaft inzwischen infiziert sind", sagte Lauterbach der "Rheinischen Post". Das Virus könnte sich so potenziell sehr weit verteilen, sagte der studierte Epidemiologe.

Einige Mitarbeiter könnten der Gewerkschaft NGG zufolge bereits in ihre Heimatländer zurückgekehrt sein. "Es ist davon auszugehen, dass einige reisen", sagte der NGG-Landesvorsitzende Mohamed Boudih. Noch nicht alle Mitarbeiter mit rund 7000 Beschäftigten hätten die schriftliche Quarantäne-Aufforderung erhalten. In dem Schlachthof sind unter anderem auch Menschen aus Rumänien, Bulgarien oder Polen beschäftigt.

Tönnies zivilrechtlich haftbar?
Ein Sprecher des Kreises sagte, es habe mündliche Aufforderungen an die Mitarbeiter gegeben, sich in Quarantäne zu begeben. Zudem hatte der Kreis eine Allgemeinverfügung erlassen, dass alle auf dem Betriebsgelände tätigen Personen und Personen, die in Gemeinschaftsunterkünften wohnen, sich bis zum 2. Juli in häusliche Quarantäne begeben müssen. Es hieß: "Es ist diesen Personen in dieser Zeit untersagt, ihre Unterkünfte oder sonstigen Wohnstätten ohne ausdrückliche Zustimmung des Gesundheitsamtes zu verlassen."

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil kündigte an, den Betrieb für die Folgen des Corona-Ausbruchs möglicherweise haftbar zu machen. "Ich glaube, dass wir prüfen müssen, welche zivilrechtlichen Haftungsmöglichkeiten es gibt in diesem Bereich", sagte der SPD-Politiker im ARD-"Morgenmagazin".

Es entstünden erhebliche Kosten für die gesundheitliche Behandlung der Menschen, "aber auch für das, was da in der Region los ist". Das Unternehmen müsse alles tun, um den Schaden zu begrenzen und dafür einstehen, "was da angerichtet wurde". Im Wesentlichen gehe es um den Begriff der Verantwortung.

Heil gegen Boykott
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter rief die Supermarktketten zu einem Boykott von Produkten des Konzerns auf. "Das Gebaren der Fleischbarone, die nur auf Profit setzen, und meinen, sich an keine Regeln halten zu müssen, ist ein Skandal", sagte Hofreiter der "Bild am Sonntag". Es sei an der Zeit, dass sich die großen Supermarktketten "nicht länger mitschuldig machen", sagte Hofreiter. "Sie sollten die Tönnies-Produkte aus ihrem Angebot nehmen."

Von einem Boykott riet Heil jedoch ab: "Ich bin nicht für Boykottaufrufe. Ich bin dafür, dass wir Regeln einhalten, weil wir reden nicht über dieses eine Unternehmen nur." Er sei auch die Personalisierung ein bisschen leid, auch in anderen Fleischfabriken habe es Fälle gegeben. "Es ist insgesamt in dieser Branche etwas umzukrempeln und aufzuräumen."

Heil will im Sommer einen Gesetzentwurf vorlegen, um von 2021 an Werkverträge in der Branche weitgehend zu verbieten - also dass die komplette Ausführung von Schlachtarbeiten bei Subunternehmern eingekauft wird. Auch jetzt schon würde verstärkt kontrolliert, sagte Heil.

spiegel


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