An seiner Mission lässt Lewis Hamilton keinen Zweifel. Zu hämmernden Rap-Bässen stemmt der Formel-1-Weltmeister im Fitnessstudio frei hängend immer wieder seine Beine in die Höhe, dann stählt er unermüdlich seinen Nacken. Ganz klar: Wenn die neue Saison am Wochenende in Österreich beginnt, dann will Hamilton diesen siebten WM-Titel, den Rekord von Michael Schumacher. Das macht der 35-Jährige mit solchen Video-Einblicken seit Wochen deutlich.
Doch der Mercedes-Pilot fährt längst für ein noch größeres Ziel. "Wir möchten gemeinsam ein Vermächtnis aufbauen, das über den Sport hinausgeht", sagte der Brite vor dem Neustart der Rennserie. Der Superstar des Motorsports bespielt die Grand-Prix-Bühne schon länger nicht mehr nur mit sportlichen Themen. In der Corona-Pause aber hat Hamilton sein Engagement gegen gesellschaftliche Probleme noch einmal extrem beschleunigt. Zuletzt ergriff er fast täglich das Wort im Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung, für mehr Diversität und Chancengleichheit. Bei mehr als 17 Millionen Abonnenten auf Instagram und 5,7 Millionen Followern auf Twitter hat Hamiltons Stimme enorme Reichweite.
Rennserie beteuert Chancengleichheit
Dieser Wucht konnte sich die Formel 1 nicht entziehen. Kurz nachdem Hamilton die Rennserie als einen "von Weißen dominierten Sport" kritisiert und mangelnde Unterstützung aus ihrem Kreis festgestellt hatte, warfen die Bosse die PR-Maschine an. Eine Taskforce und eine Stiftung sollen die Formel 1 nachhaltig verändern. "Wir wollen sicherstellen, dass wir Menschen aus allen Schichten die beste Chance geben, in der Formel 1 zu arbeiten, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrer sexuellen Ausrichtung und ihren körperlichen Fähigkeiten", beteuerte Geschäftsführer Chase Carey.
Seine Herkunft und seine Lebensgeschichte als erster schwarzer Weltmeister der Formel 1 machen Hamilton zum perfekten Botschafter einer Bewegung, die seit Wochen weltweit an Kraft gewinnt. "Black lives matter" (Schwarze Leben zählen) - diesem Grundsatz hat Hamilton sich verschrieben, dafür geht er auch mit Maske bei einer Demonstration im Londoner Hyde Park auf die Straße. "Wir haben viel zu tun, aber ich bin zuversichtlich, dass wir gemeinsam helfen können, diesen Sport zu verändern", schrieb Hamilton. Vater Anthony macht dieses Engagement stolz. "Ich dachte nur, was für ein ikonisches Vorbild er ist, indem er die Dinge ausspricht, an die er glaubt", sagte er über Sohn Lewis, der einst von Mitschülern schikaniert wurde und an der Rennstrecke häufiger Rassismus erlebte.
"Für mehr Vielfalt"
Wenn Hamilton nun am Sonntag (15.10 Uhr/RTL sowie im ntv.de-Liveticker) beim Grand Prix in Spielberg seine Titelverteidigung beginnt, wird er in einem schwarz lackierten Silberpfeil sitzen. "Beendet Rassismus" wird auf dem Cockpitschutz des Mercedes stehen. Dies solle ein Signal "für mehr Vielfalt in unserem Team und unserem Sport" setzen, betonte Teamchef Toto Wolff. Hamilton spürt den Hauch des Wandels und mahnte: "Es ist so wichtig, dass wir diesen Moment nutzen." Beim Fahrer-Meeting am Freitag soll auch diskutiert werden, ob alle 20 Piloten vor dem Rennstart symbolisch auf ein Knie gehen, wie es einst Football-Star Colin Kaepernick bei seinem Protest gegen Polizeigewalt und Rassismus tat.
Keine Frage, der Druck von Hamilton hat das Bewusstsein der Formel 1 verändert. Der sechsmalige Champion weiß um sein Gewicht und seine Bedeutung, entzieht sich schon länger den PR-Zwängen der global operierenden Vollgas-Branche. "Geld regiert die Welt", sagte Hamilton im März auf die Frage, warum die Formel 1 trotz der um sich greifenden Corona-Pandemie zum Saisonauftakt nach Australien gereist war. Kurz darauf musste das Rennen in Melbourne wegen einer Infektion im McLaren-Team abgesagt werden.
Knapp vier Monate später wagt die Formel 1 den Neustart in der Steiermark. Und wer denkt, Hamilton könnten die vielen Debatten und Projekte den Fokus geraubt haben, sah sich zumindest in der Vergangenheit fast immer getäuscht. Auch wenn sich der Mercedes-Fahrer an einer eigenen Modelinie versuchte, für bessere Bildungschancen kämpfte, sich als Musiker austestete oder zu Roten Teppichen um die Welt jettete, blieb er doch das Maß der Dinge auf dem Asphalt. Hamilton viele Freiheiten zu geben und ihn wachsen zu lassen - das ist das Erfolgsrezept von Teamchef Wolff.
So könnte der Ausnahmefahrer in dieser Saison Schumachers Titel-Bestmarke egalisieren und bei der Zahl der Grand-Prix-Siege sogar am Deutschen vorbeiziehen. Sieben Siege fehlen ihm noch auf Schumachers 91 Erfolge - wohl nur eine Frage der Zeit. Doch seine Rolle in der Formel-1-Geschichte bemisst dieser Hamilton nicht mehr allein in Statistiken.
Quelle: ntv.de, Christian Hollmann, dpa
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