Boris Johnson hat Anfang des Monats eine klare Ansage gemacht: Sollte China seinen harten Kurs in Hongkong fortsetzen, dann "würden wir einen neuen Weg für Hongkonger mit britischem Überseepass schaffen". Der britische Premierminister gibt den Menschen in Hongkong damit eine Perspektive. Statt wie bisher sechs Monate sollen Inhaber eines britischen Überseepasses künftig Langzeitvisa für mehrere Jahre beantragen dürfen. Mit der anschließenden Chance auf Einbürgerung.
Das Angebot kommt aber nicht von ungefähr, denn Hongkong war lange Zeit eine Kronkolonie des Vereinigten Königreiches. "Das heißt, die Briten haben bestimmt, was in Hongkong passiert. Die Entscheidungen des Parlaments und der Regierung in London waren immer vorrangig. Insofern hat es in Hongkong nie eine Demokratie gegeben", erklärt Sebastian Heilmann, Professor für Politik und Wirtschaft Chinas an der Universität Trier, im ntv-Podcast "Wieder was gelernt".
Hongkong hat Sonderstatus bis 2047 - eigentlich
Im Jahr 1898 schloss Großbritannien mit China einen Pachtvertrag über Hongkong. Die Briten brauchten Hongkong als wichtige Hafenmetropole und Handelszentrum. Dieser Pachtvertrag wurde allerdings auf 99 Jahre befristet. 1997 ist der Vertrag ausgelaufen. Über die genauen Details der Rückgabe hatten die Briten und Chinesen zuvor lange verhandelt. "Dabei herausgekommen ist die sogenannte gemeinsame Erklärung zwischen dem Vereinigten Königreich und China. Das ist ein internationaler Vertrag, der bei den Vereinten Nationen hinterlegt ist. Und darum geht es im aktuellen Streit auch, denn dieser Vertrag gibt Sonderrechte bis 2047."
Das heißt: Hongkong ist seit der Rückgabe an China für 50 Jahre ein geschütztes Regime. Mit dem Schutz ist es aber de facto vorbei, denn aus chinesischer Sicht ist der Vertrag jetzt nicht mehr gültig. Peking kocht sein eigenes Süppchen in Hongkong. Das neue Sicherheitsgesetz ist seit dem 1. Juli in Kraft und gibt China die Möglichkeit, jegliche Opposition in der Sonderverwaltungszone im Keim zu ersticken. Wer sich "anti-chinesisch" verhält, dem droht Gefängnis - egal, ob Hongkonger oder Ausländer.
Sebastian Heilmann sagt, China breche damit einen internationalen Vertrag: "Aus chinesischer Sicht war diese gemeinsame Erklärung im Grunde der letzte Akt der ehemaligen Kolonialherren, der dazu diente, die Vorrechte der britischen Kronkolonie und Herrschaft in Hongkong zu beenden. Aber aus völkerrechtlicher Sicht und nach UN-Recht ist es völlig klar, dass der Vertrag bis 2047 gilt."
Der Fall scheint eindeutig zu sein, doch mit offener Kritik oder scharfen Sanktionen hält sich die internationale Gemeinschaft zurück. Dass ausgerechnet der konservative britische Premier Johnson in diesem Fall vorprescht, ist bemerkenswert. In den vergangenen Jahren hatten seine Tories nämlich viel eher versucht, mit China ein neues, goldenes Zeitalter zu begründen. "Die Regierung hat jetzt erkannt, dass Großbritannien durch Auswanderer aus Hongkong profitieren könnte", erklärt Heilmann. "In Hongkong gibt es viele Führungskräfte, Fachkräfte und Leute mit viel Kapital. Das Vorpreschen von Johnson ist also nicht nur ein Gnadenakt."
In Hongkong selbst wurde die Ankündigung des britischen Regierungschefs mit gemischten Reaktionen wahrgenommen. Während sich einige weiter in Hongkong für Hongkong aufopfern wollen, würden sich laut Sebastian Heilmann viele Hongkonger schon seit längerer Zeit in Richtung Ausland orientieren. "Viele schaffen ihr Vermögen ins Ausland, kaufen Immobilien und schicken ihre Kinder an ausländische Universitäten. Insofern rechne ich damit, dass wir auf jeden Fall zumindest einen kleinen Exodus von sehr hochrangigen Persönlichkeiten erleben werden, sobald China die ganze Härte des Sicherheitsgesetzes spüren lässt."
Zuwanderung als Druckmittel gegenüber China
Hongkong hat sieben Millionen Einwohner, die meisten leben in Hochhäusern auf engstem Raum. Natürlich können nicht alle auf die britische Insel auswandern. 20.000 bis 30.000 Einwanderer aus Hongkong könnte das Vereinigte Königreich aber locker verkraften, glaubt Heilmann.
Die Zuwanderung aus Hongkong sei nicht nur eine Chance für die Briten - die Aufnahme vieler oder aller ausreisewilliger Hongkong-Chinesen sei auch ein wichtiges außenpolitisches Signal gegen die autoritäre Machtpolitik Pekings. Bloße Diplomatie reiche gegenüber China längst nicht mehr aus. Bestes Beispiel dafür ist das zahnlose Vorgehen der EU. "Die Europäische Union schlingert und laviert hin und her und das liegt daran, dass man keine Einheitlichkeit hat gegenüber China. Das betrifft auch die deutsche Position. Berlin und das Kanzleramt sind sozusagen Zentren der Ambivalenz gegenüber China."
Quelle: ntv.de
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