Bidens Kompromissangebot heißt Harris

  12 Auqust 2020    Gelesen: 495
Bidens Kompromissangebot heißt Harris

Der designierte US-Präsidentschaftskandidat Biden wird mit Kamala Harris als Vize gegen Amtsinhaber Trump antreten. Es ist ein Signal an afroamerikanische Wähler, den linken Flügel der Demokraten, aber auch an die Aktivisten auf den Straßen.

Joe Biden hat sich entschieden. Die Vizepräsidentin des Demokraten soll Kamala Harris werden, eine Senatorin und, viel wichtiger für den Wahlkampf, eine schwarze Frau, dazu mit Erfahrung in der Justiz. Harris hatte schon länger als Favoritin gegolten. Bei den Demokraten steht sie ein bisschen zwischen den Stühlen: Harris gilt zwar als etwas linker als der gemäßigte Biden, gehört aber trotzdem nicht zum progressiven Flügel der Demokraten.

Biden hatte sich früh auf eine Frau als Vize festgelegt. In den vergangenen Wochen wurde der Kreis der möglichen Kandidatinnen nochmals, fast schon unausweichlich, auf eine Schwarze verengt. Zuletzt hatten am Montag mehr als 100 afroamerikanische Prominente in einem offenen Schreiben entsprechend an Biden appelliert. Der Tod des Afroamerikaners George Floyd, die Auseinandersetzungen um die "Black Lives Matter"-Bewegung auf den Straßen des Landes schrie nach einem starken Signal, um der afroamerikanischen Wählerbasis einen Grund zu geben, auch an den Wahlurnen oder per Briefwahl laut zu werden.

Vier Kandidatinnen waren einer wochenlangen Prüfung unterzogen worden, neben Harris waren es Val Demings, Abgeordnete und ehemalige Polizeichefin von Orlando, Susan Rice, ehemalige Nationale Sicherheitsberaterin im Weißen Haus, sowie die Abgeordnete Karen Bass. Das Rennen machte Harris, wohl auch, weil die ehemalige Staatsanwältin von San Francisco früher mit Bidens inzwischen verstorbenem Sohn Beau zusammenarbeitete. Vertrauen, das sei ein Schlüssel für seine Auswahl, hatte Biden schon vor Monaten gesagt.

Harris ist nach dem ehemaligen Präsidenten Barack Obama überhaupt erst die zweite schwarze Person, die für eines der beiden höchsten Regierungsämter in den USA antritt. Ihre politische Karriere begann sie als Staatsanwältin und danach Justizministerin von Kalifornien, bevor sie 2016 in den US-Senat gewählt wurde, als zweite schwarze Frau überhaupt. Ihre Erfahrung in der Justiz ist Fluch und Segen zugleich, mehr noch in diesem Jahr der Proteste: Für linke Aktivisten steht sie der Polizei zu nah. Sie werfen Harris vor, als Ministerin nötige Polizeireformen verschleppt zu haben. Aber eben deshalb kann Trump sie weniger als Sicherheitsrisiko darstellen.

Emotional und schlagfertig

Im Weißen Haus könnte Harris die populären Forderungen nach Polizeireformen umsetzen, ohne ihre Karriere gefährden zu müssen. "Sie erfüllt alle Anforderungen: schwarze Frau, erfahren im Wahlkampf, auch auf nationaler Ebene", hatte Mark McKinnon, ein ehemaliger Wahlkampfberater des republikanischen Ex-Präsidenten Georg W. Bush, vor mehreren Wochen zu ntv gesagt: "Harris ist absolute A-Klasse." Zu einer von Harris' Qualitäten gehören messerscharfe Fragen und überzeugende Vorwürfe, was sie häufig bei Anhörungen im Senat vorführt. Im Oktober wird dies wohl Vizepräsident Mike Pence zu spüren bekommen, wenn er sich im Fernsehen mit ihr duellieren soll.

Harris wollte selbst Präsidentschaftskandidatin der Demokraten werden und zählte nach einer überzeugenden ersten Fernsehdebatte vor rund einem Jahr sogar zum erweiterten Favoritenkreis. Denkwürdig war ihr Schlagabtausch mit Biden: "Ich will über Rassismus reden", sagte sie in dessen Richtung, und ließ emotionale Details folgen, wie sehr ihr eigenes Leben davon geprägt worden war. Sie warf Biden vor, zu Beginn seiner Zeit im Senat mit zwei Befürwortern der Rassentrennung zusammengearbeitet zu haben, und als Kind selbst davon betroffen gewesen zu sein. Harris' Umfragewerte verdoppelten sich danach, sie konnte jedoch nicht darauf aufbauen.

Ihr offener Angriff war strategisch, denn Harris hätte Biden, der wegen seiner Vizepräsidentschaft bei Obama unter Afroamerikanern beliebt ist, in dieser Wählergruppe übertrumpfen müssen. Bidens Kandidatur bei dieser Wahl wäre ohne die Afroamerikaner unmöglich gewesen. Obwohl er in Umfragen fast immer deutlich vorne lag, war er nach den ersten drei Vorwahlen schon fast abgeschrieben, feierte aber im ersten afroamerikanisch geprägten Bundesstaat der Abstimmungen, South Carolina, ein großes Comeback. Es war auch der Anfang vom langsamen Ende für seinen Hauptwidersacher Bernie Sanders, der den erstarkten linken Flügel der Partei anführt.

Tür nach links geöffnet

Biden hat von Anfang an die moralische Frage zum Kernthema seines Wahlkampfes gemacht und sich damit streng von Trump abgegrenzt. Doch er vertritt für viele eine angestaubte Politik und das vor allem von jungen Wählern als langweilig oder bremsend empfundene alte Partei-Establishment. Harris könnte eine kleine Brücke zur jungen Basis schlagen sowie schwarze Wähler in Großstädten wie Detroit, Philadelphia und Milwaukee zur Wahl animieren. Da viele 2016 zu Hause geblieben waren, hatte die Demokratin Hillary Clinton die wahlentscheidenden Bundesstaaten Michigan, Pennsylvania und Wisconsin knapp an Trump verloren.

Afroamerikaner machen 13 Prozent aller Wahlberechtigten aus, von denen die Mehrheit zu den Demokraten tendiert. Anfang des Jahres identifizierten sich 43 Prozent der Schwarzen gegenüber "Pew Research" als moderat, das war der größte Anteil. Eine schwarze Frau wie Harris, die als 55-Jährige eine Zwischengeneration vertritt, aber auch nicht zu links ist, öffnet die Tür für progressive Wähler, ohne zu viel Angriffsfläche zu bieten. Denn "radikal links", als den Trumps Wahlkampfteam den politischen Gegner gerne angreift, ist die Juristin nicht. Sie ist so etwas wie ein Kompromissangebot.

Wie sehr ein Vizekandidat die Wahlentscheidung in den USA beeinflusst, ist zwar nicht eindeutig belegt. Harris auszuwählen, ist jedoch auch eine mittelfristige Weichenstellung. Biden wäre bei Amtsantritt 78 Jahre alt, bei Auftritten unterlaufen ihm nicht selten kleine Aussetzer. Biden selbst hatte sich im März als Übergangsfigur der Demokraten bezeichnet. "Es gibt die berechtigte Erwartung, dass Biden, wenn er gewinnen würde, nur eine Amtszeit erfüllt", sagte McKinnon. Das macht die Vizekandidatin diesmal wichtiger, und damit eben Harris: "Deshalb werden die Wähler denken, dies könnte nicht nur unsere Vizepräsidentin werden, sondern auch die dann nächste Präsidentin."

Quelle: ntv.de


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