Das sind die Gefangenen von Guantánamo
Weitere 35 sollen in den kommenden Monaten entlassen werden, falls sich Aufnahmeländer zur Verfügung stellen. Nach dieser Rechnung bleiben 56 Insassen übrig, bei denen es sich um besonders schwere Fälle handelt. Sie sollen entweder vor Militärgerichten angeklagt werden oder ohne Prozess dauerhaft inhaftiert bleiben, falls die gegen sie vorliegenden Beweise nicht öffentlich zugänglich gemacht werden sollen.
Nach den Vorstellungen Obamas würden sie von Guantánamo in Hochsicherheitsgefängnissen in den USA verlegt. Der Kongress müsste dem Konzept allerdings zustimmen, was derzeit ausgesprochen unwahrscheinlich ist. Dies sind fünf der Gefangenen in Guantánamo:
Mahmud al-Mudschahid: von der Windelfabrik zum Bodyguard Bin Ladens
Der im August 1980 geborene Jemenit reiste um den Jahreswechsel 1999/2000 mit dem Ziel des Dschihad nach Afghanistan. Er trainierte in einem Al-Qaida-Lager und diente ein Jahr als Bodyguard von Osama Bin Laden, dem Chef des Terrornetzwerkes. Mudschahid war an den Kämpfen gegen die US- und Koalitionstruppen in Tora Bora beteiligt. In Gefangenschaft geriet er mit einer Gruppe von arabischen Terroristen, die als die "Dreckigen 30" bezeichnet werden. Das Pentagon stuft ihn in einem ursprünglich als "geheim" klassifizierten Dokument aus dem März 2008 als "hohes Risiko" ein, weil er "mutmaßlich eine Bedrohung für die USA, ihre Interessen und ihre Verbündeten" darstelle.
Auch in Guantánamo habe er in Gesprächen mit anderen Gefangenen zum Dschihad aufgerufen, Wärter bespuckt und auf ein Sportfeld uriniert. Mudschahid widmete sich früh religiösen Studien, erreichte seinen Schulabschluss erst mit 22 Jahren, arbeitete drei Monate in einer Windelfabrik und unterwies später ohne Bezahlung Kinder in einer Moschee im Koran-Verständnis. Das Pentagon empfiehlt seine dauerhafte Internierung.
Khaled Scheich Mohammed: der Kopf hinter dem "9/11"-Anschlag
Der 50-jährige Pakistaner gehört zu den 17 prominentesten Insassen von Guantánamo. "Der Gefangene war das Gehirn der Terrorattacken vom 11. September 2001 auf das World Trade Center, auf das Pentagon und zur Entführung von United Airlines Flug 93, der in Pennsylvania abstürzte", heißt es in einem Pentagon-Dokument aus dem Dezember 2006. Khaled Scheich Mohammed gehört auch zu jenen drei Gefangenen, die in Guantánamo der inzwischen als Folter definierten Verhörmethode des Waterboarding unterzogen wurden. Er beschaffte Geld und Nachwuchskämpfer für al-Qaida, stand in engem Kontakt mit Osama Bin Laden und bezeichnete sich selbst als Chef des Al-Qaida-Militär-Komitees.
Scheich Mohammes wuchs in Kuwait auf und verschrieb sich schon mit elf oder zwölf Jahren dem Dschihad. Mit 16 Jahren schloss er sich der Muslim-Bruderschaft in Kuwait an, die er aber bald verließ, weil sie den Einsatz von Gewalt nicht unterstützte. Scheich Mohammed studierte von 1983 bis 1986 Ingenieurwissenschaften im US-Bundesstaat North Carolina. Nach dem Auslaufen seines Studentenvisums reiste er nach Afghanistan, um gegen die sowjetische Besatzung zu kämpfen. Ende der 90er-Jahre traf er in Afghanistan Osama Bin Laden, dem er seine Pläne für den "9/11"-Terrorangriff unterbreitete. Eine ähnliche Attacke wollte er auf den Heathrow Airport in London ausführen. Im März 2003 wurde er mit weiteren Al-Qaida-Kadern in Pakistan gefangen genommen. In Guantánamo läuft inzwischen ein Militärtribunal gegen Khaled Scheich Mohammed und vier weitere hochrangige Terroristen. Ein Ende des Verfahrens ist derzeit nicht in Sicht.
Umar Bin Hamza Abdallahyiv: Er übte den Giftgasterror an Kaninchen
Der Tadschike, geboren am 11. Oktober 1978 in Duschanbe, war aktiv in der Islamischen Bewegung von Tadschikistan (IMT) und mutmaßlich auch in deren usbekischer Bruderorganisation (IMU). Als 13-Jähriger floh er 1992 mit seiner Familie vor bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen zusammen mit rund 1000 weiteren Tadschiken in ein Flüchtlingslager nahe dem afghanischen Kundus.
Der Hintergrund: Nachdem sich die ehemalige Sowjet-Republik 1991 für unabhängig erklärt hatte, starteten islamistische Fundamentalisten einen Bürgerkrieg. In einem Pentagon-Dossier über Abdallahyiv wird angegeben, dessen Vater sei 1994 nach Tadschikistan zurückgekehrt und "von sowjetischen (sic!) Soldaten hingerichtet" worden. In dem von einem militanten Islamisten geleiteten Flüchtlingslager in Afghanistan erhielt Abdallahyiv eine Ausbildung an Sturmgewehren wie der AK-47. Er knüpfte enge Kontakte zu hochrangigen Al-Qaida-Kadern, darunter der Bomben- und Gift-Experte Abu Khabab al-Masri.
Abdallahyiv durchlief nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 Al-Qaida-Trainingslager. Unter anderem übte er das Töten mittels Giftgas im Labor an Kaninchen. Bei seiner Verhaftung in Pakistan führte er zahlreiche Dokumente über die Produktion von Gift und von C-Waffen mit sich. Er stelle ein hohes Risiko für die USA, ihre Interessen und ihre Verbündeten dar, so das Pentagon 2009. Dennoch wird inzwischen die Überstellung des Gefangenen in ein Drittland befürwortet.
Ramsi Binalschibh: Koordinator der Hamburger Al-Qaida-Zelle
Der Jemenit, geboren am 1. Mai 1972, sollte nach Erkenntnissen des Pentagon die Terroraktivitäten am 11. September 2001 koordinieren. Der aus einer religiösen Familie stammende Ramsi Binalshibh bewarb sich 1995 vergeblich um ein Visum für die USA. Stattdessen flog er nach München und beantragte dort Asyl. Er reiste weiter nach Hamburg, wo er unter dem Namen Umar al-Yemeni lebte. Als 1997 sein Asylantrag abgelehnt wurde, kehrte er zurück in den Jemen und verschaffte sich über die dortige deutsche Botschaft ein Studentenvisum. Wieder in Hamburg, lernte er Mohammed Atta kennen. Gemeinsam reisten sie Ende 1999 nach Afghanistan zu Osama Bin Laden. Der Al-Qaida-Chef ließ die Männer Treue bis zum Tod schwören und beauftragte sie mit der streng geheimen "9/11"-Mission unter Leitung von Atta.
Binalschibh wollte eine Flugausbildung in den USA absolvieren, bekam aber trotz wiederholter Versuche kein Visum. Deswegen sollte er aus Deutschland heraus als Koordinator die Terrorattacken vorbereiten. Dies geschah in Abstimmung mit Khaled Scheich Mohammed. Unmittelbar vor der Tat setzte er sich über Spanien nach Pakistan ab. Exakt ein Jahr nach "9/11", am 11. September 2002, wurde Binalschibh von pakistanischen Sicherheitskräften bei der Stürmung einer konspirativen Wohnung in Karachi festgenommen.
In Guantánamo wurde im Mai 2012 ein Militärtribunal gegen Binalschibh, Scheich Mohammed und drei weitere Häftlinge eröffnet. Die Pflichtanwälte von Binalschibh stellen seine Zurechnungsfähigkeit infrage, während sich der Angeklagte selbst als geistig gesund bezeichnet. Er will sich in dem Verfahren selbst verteidigen.
Omar Said Salem Adayn: seit einem Monat frei
Geboren 1976 (das genaue Datum ist unbekannt) im Jemen, musste Omar Said Salem Adayn bereits nach sechs Jahren die Schule verlassen. Weil der Vater gestorben war, musste der Jugendliche Geld verdienen, um die Familie zu ernähren. Er arbeitete in einem Fotogeschäft, als Taxifahrer und als Mechaniker. Der verheiratete Vater von drei Kindern ließ sich im August 2001 von Islamisten für den Dschihad in Afghanistan anwerben.
Ausgestattet mit einem Flugticket und 500 Dollar für Reiseausgaben, reiste Adayn über Pakistan nach Afghanistan. Dort wurde er am AK-47, an Mörserwaffen und Flugabwehrraketen ausgebildet und einer Gruppe arabischer Kämpfer zugeteilt. Ob Adayn aktiv kämpfte oder sich bei der Annäherung feindlicher Flugzeuge in die Höhlengänge von Tora Bora zurückzog, wie er selbst behauptet, ist ungeklärt. Bei einem der Luftangriffe zog sich er sich mehrere Knochenbrüche an einem Bein zu.
Im Dezember 2001 geriet er in Gefangenschaft. Während seines Aufenthaltes in Guantánamo hielt er nach dem Eindruck seiner Vernehmer wichtige Informationen zurück und beklagte sich über die unzureichende Versorgung seiner Knochenbrüche – aber er wurde "beobachtet bei Sportübungen, Laufen, das Erklettern eines Zaunes und dem Kicken eines Fußballs mit seinem verletzten Bein", heißt es in einem Pentagon-Dossier aus dem Jahr 2008. Omar wird lediglich als "mittleres" Risiko für die USA und deren Verbündete eingestuft. Am 13. Januar wurde er nach Oman überstellt.