Neue deutsche Netflix-Normal

  22 Auqust 2020    Gelesen: 645
Neue deutsche Netflix-Normal

Die Serie "Biohackers" zeigt: Deutsche Produktionen kommen im Mainstream von Netflix an. Außerdem: Die Wiederkehr von Mary Poppins und Culture Clash mit dem US-Fußballtrainer Ted Lasso.

"Biohackers", Netflix
Zeitbudget: sechs Folgen à 45 Minuten
für Fans von: "Coma", "Anatomie"

Die ersten deutschen Netflix-Produktionen zogen die Aufmerksamkeit von Presse und Zuschauern auf sich, weil von ihnen fast schon ein Heilsversprechen ausging: Sie sollten die teils als rückständig wahrgenommenen deutschen Serien und Fernsehfilme in die Gegenwart holen. Das ist ihnen zum Teil tatsächlich gelungen. Klar ist mittlerweile aber auch: Nicht jede deutsche Netflix-Serie will die Fernsehwelt aus den Angeln heben. Sondern vor allem eine zahlende Kundschaft bedienen, und zwar weltweit.

Insofern ist eine Serie wie "Biohackers" das neue Netflix-Normal: Sie fällt kaum auf im Mainstream von Dutzenden Premieren, die der Unterhaltungsriese jeden Monat verfügbar macht. Serien aus Spanien und Italien, aus Brasilien und Indonesien, die sich im Look oft nur wenig unterscheiden und auch erzählerisch nicht auf Innovation, sondern auf Routine setzen.

Der Medizin-Thriller von Autor und Co-Regisseur Christian Ditter erzählt von Mia (Luna Wendler), die im Studium in Freiburg als studentische Aushilfe für die Stardozentin Tanja Lorenz (Jessica Schwarz) arbeitet. Die treibt mit undurchsichtigen Mitteln ihre Genforschung voran. Und Mia hat wegen eines Familiengeheimnisses eine Rechnung mit ihr offen.

Das klingt dann schon so konventionell, wie die ganze Serie tatsächlich arbeitet: Zwar trippeln leuchtende Mäuse durchs Bild, und auch Pflanzen glühen im Dunkeln, aber unter den geleckten Bildern, die aus einem Werbefilm für die Uni Freiburg stammen könnten, pluckert das Herz eines altmodischen Thrillers. Das ist nicht schlimm und tut auch gar nicht weh. Wer allerdings etwas Außergewöhnliches sucht, wird hier nicht fündig. "Biohackers" erfüllt eher ganz brav das alltägliche Netflix-Mittelmaß.

"Mary Poppins' Rückkehr", Disney+
Zeitbudget: 131 zuckersüße Minuten
für Fans von: "Mary Poppins", "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl"

Es ist wie so oft bei Disney: Eigentlich kann man kein Wort und kein Bild dieses Films glauben. Nicht die mit Blechspielzeug und Kaminfeuer vollgestopfte Retromanie, die mit modernster Computertechnik hergestellt ist. Nicht die behauptete Notwendigkeit, die Geschichte des Klassikers von 1964 noch einmal neu erzählen zu müssen. Und erst recht nicht die Kapitalismuskritik. Aber am Ende ist man doch verzaubert und ergriffen und dankbar, gemeinsam mit den eigenen Kindern noch einmal die Bekanntschaft des magischen Kindermädchens Mary Poppins gemacht zu haben. Zumal, da es nach Julie Andrews im Original mit Emily Blunt eine ebenbürtige neue Darstellerin gefunden hat. Ob die neue Mary es am Ende schafft, das Haus von Michael und seiner Familie vor den Bonzen zu retten? Nicht so schwer zu erraten, es ist halt ein Disney-Film.

"Ted Lasso", Apple TV+
Zeitbudget: zehn Folgen Culture Clash à 35 Minuten
für Fans von: "Match Point", "Notting Hill"

Nach zehn Minuten kommt er schon, der Gag, den man ein wenig gefürchtet hat: Der amerikanische Football-Coach Ted Lasso, neu unter Vertrag bei einem englischen Fußballverein, wünscht sich beim ersten Gespräch mit seiner neuen Chefin eine Tasse Kaffee - und bekommt Tee vorgesetzt. So weit, so erwartbar für eine Komödie, die sich um kulturelle Unterschiede zwischen den USA und Großbritannien dreht. Schon der hier laufend bespielte Gegensatz Fußball-Football strotzt ja nicht gerade vor Originalität. So sind und bleiben Amerikaner hier optimistisch, lässig und jovial, die Briten verklemmt, versnobt, verhärtet.

Die Figur des Ted Lasso war ab 2013 nur in kurzen Clips zu sehen, mit denen der US-Sender NBC Sports Werbung für seine Übertragung der britischen Premiere League machte. Die zehn Folgen der darauf basierenden Serie ziehen sich zunächst durchaus etwas. Überraschend ist aber, wie Hauptdarsteller Jason Sudeikis aus Ted Lasso mit der Zeit viel mehr formt als eine Witzfigur. Am Ende ist es nicht der vorhersehbare Witz, der "Ted Lasso" zu einer angenehmen Sitcom macht, sondern eine entwaffnende Herzenswärme. Als US-Botschafter jenseits der Hasstiraden eines Donald Trump ist Ted jedenfalls höchst willkommen.

spiegel


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