Polizei stoppt Demonstranten vor dem Reichstag

  30 Auqust 2020    Gelesen: 921
Polizei stoppt Demonstranten vor dem Reichstag

Fast 40.000 Menschen protestieren in Berlin gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung und der Länder. Dabei liefern sich Rechtsextreme auch Auseinandersetzungen mit der Polizei. Vor dem Reichstagsgebäude gerät die Lage fast außer Kontrolle.

Am Rande der Großkundgebungen gegen die Corona-Politik von Bund und Ländern ist es am Sitz des Bundestages, dem historischen Reichstagsgebäude, zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen. Mehrere hundert Teilnehmer einer Versammlung hätten am Abend Absperrungen durchbrochen und seien auf die Treppe des Reichstagsgebäudes gestürmt, sagte eine Sprecherin der Berliner Polizei. Die Beamten vor Ort hätten die Demonstranten abgedrängt und dabei auch Pfefferspray eingesetzt. Zu möglichen Festnahmen konnte die Sprecherin zunächst keine Angaben machen.

Mittlerweile sei vor dem Sitz des Bundestags Ruhe eingekehrt, sagte die Polizeisprecherin am späten Abend. Die Bühne einer Kundgebung vor dem Parlament werde abgebaut, Demonstranten seien aber nicht mehr zu sehen.

Im Internet kursieren Videos auf denen die zeitweise turbulenten Szenen vor der Räumung zu sehen sind. Einzelne Demonstranten schwenkten vor dem Hauptportal des Gebäudes auch die von Reichsbürgern verwendeten schwarz-weiß-roten Reichsflaggen. Zu erkennen ist, dass eine ganze Gruppe an Demonstranten die Absperrungen überwand und bis unmittelbar vor die Glasfront des Parlamentssitzes gelangte. Nur drei einzelne Polizeibeamte standen der Menge noch im Weg, bevor eintreffende Verstärkung sie zurückdrängen konnte. Dabei wurden die Beamten vereinzelt auch mit Glasflaschen beworfen.

Die Polizei löste die Demonstration daraufhin auf. Einsatzkräfte räumten den Platz vor dem Reichstagsgebäude und schoben die Demonstranten weg. Polizeisprecher Thilo Cablitz erklärte dazu: "Wir können nicht immer überall präsent sein, genau diese Lücke wurde genutzt, um hier die Absperrung zu übersteigen, zu durchbrechen, um dann auf die Treppe vor dem Reichstag zu kommen."

Seehofer: "null Toleranz"

Mehrere Politiker äußerten sich bestürzt über die Ereignisse vor dem Reichstag. "Das Reichstagsgebäude ist die Wirkungsstätte unseres Parlaments und damit das symbolische Zentrum unserer freiheitlichen Demokratie. Dass Chaoten und Extremisten es für ihre Zwecke missbrauchen, ist unerträglich", sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer der "Bild am Sonntag". "Ich danke der Polizei, dass sie uns heute schnell und konsequent davor bewahrt hat. Der Staat muss gegenüber solchen Leuten mit null Toleranz und konsequenter Härte durchgreifen."

Seehofer verwies auf die bereits im Vorfeld intensiv diskutierte Abwägungen rund um das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. "Meinungsvielfalt ist ein Markenzeichen einer gesunden Gesellschaft", betonte der CSU-Politiker. "Die Versammlungsfreiheit hat aber dort ihre Grenzen, wo staatliche Regeln mit Füßen getreten werden."

"Reichsflaggen vor dem Parlament"

Zuvor hatte sich bereits Bundesaußenminister Heiko Maas empört über das Verhalten der Demonstranten geäußert. "Alle haben Recht, über Umgang mit Corona zu streiten & natürlich für Ihre Meinung zu demonstrieren", twitterte der SPD-Politiker. "Niemand sollte dafür Rechtsextremen hinterherlaufen, PolizistInnen gefährden & viele einem Infektionsrisiko aussetzen. Reichsflaggen vorm Parlament sind beschämend."

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz schrieb: "Unser Grundgesetz garantiert Meinungsfreiheit und das Demonstrationsrecht. Es ist die Antwort auf das Scheitern der Weimarer Republik und den Schrecken der NS-Zeit. Nazisymbole, Reichsbürger- & Kaiserreichflaggen haben vor dem Deutschen Bundestag rein gar nichts verloren."

Der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz erklärte: "Teilnehmer einer Demonstration zu der auch AfD und NPD mobilisierten, haben versucht den Reichstag zu stürmen. Reichskriegsflaggen bestimmen das Bild vor dem Gebäude. #Sommer2020 Es ist einfach nur ekelhaft und zum schämen."

Geisel: "Es war erwartbar"

An den Protesten gegen die staatlichen Corona-Schutzmaßnahmen hatten nach Angaben der Berliner Polizei zuvor bis zu 38.000 Menschen teilgenommen. Eine Großkundgebung wurde bereits am Mittag wegen Verstößen gegen die Abstandsregeln aufgelöst. Vor der russischen Botschaft in Berlin warfen Demonstranten mit Flaschen und Steinen auf Polizisten. Berlins Innensenator Andreas Geisel meldete am Abend insgesamt rund 300 Festnahmen, darunter auch den Koch und Verschwörungstheoretiker Attila Hildmann.

"Es war erwartbar, was heute passiert ist", sagte er am Samstagabend in den ARD-"Tagesthemen". Abstandsregeln waren meist nicht eingehalten worden, die Demonstration habe daher aufgelöst werden müssen. An einigen Stellen in der Stadt kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Geisel bedauerte, dass "erwartungsgemäß" besonders bei der später aufgelösten Demonstration am Vormittag der Mindestabstand nicht eingehalten wurde. "Eine Situation, die ich insgesamt gerne vermieden hätte", sagte er.

Der Berliner Innensenator hatte die Protestkundgebung im Vorfeld verboten, Gerichte kippten die Entscheidung aber. Geisel erklärte am Abend nach den Ausschreitungen am Rande der Demonstrationen, er sei der Meinung, "dass ich eine klare politische Haltung haben muss". Denn es hätten sich am Samstag nicht Menschen versammelt, die an einzelnen Entscheidungen der Regierung in Corona-Sachen Kritik übten, sondern die an "unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung insgesamt Zweifel hegen und sie angreifen wollen". Die Menschen seien radikalisiert. Er glaube nicht, "dass es der Demokratie dient, wenn wir uns wegducken und keine Haltung zeigen".

Quelle: ntv.de, jpe/AFP


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