Der letzte Krieger Japans

  15 September 2020    Gelesen: 992
Der letzte Krieger Japans

Teruo Nakamura kam erst 1974 als letzter Soldat der japanischen Armee aus dem Zweiten Weltkrieg zurück - nach Jahrzehnten im Insel-Versteck.

Die indonesischen Soldaten stimmten die japanische Nationalhymne an, als sie in den frühen Morgenstunden des 18. Dezember 1974 auf die Lichtung mitten im Dschungel traten. Aus einer kleinen Hütte, kaum drei mal drei Meter groß, trat ein Mann, nackt und unterernährt. Beim Anblick der Fremden erstarrte er und ließ sich widerstandslos in Gewahrsam nehmen.

30 Jahre zuvor hatte die kaiserliche japanische Armee Teruo Nakamura als Soldat nach Morotai entsandt, um die indonesische Insel im Zweiten Weltkrieg gegen die Alliierten zu verteidigen. Der Kampf um Morotai war für die Japaner schnell verloren, doch Nakamura sollte sich im Inneren der Insel verstecken und den Feind als Guerilla angreifen. Für ihn endete der Einsatz erst 1974, als er, nun 55 Jahre alt, aufgespürt wurde.

Nakamura war Japans letzter Soldat, der erst Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkriegs entdeckt wurde. Wenige Monate zuvor hatte der Fall des Nachrichtenoffiziers Hiro Onoda auf der philippinischen Insel Lubang Schlagzeilen gemacht; 1972 hatten zwei Fischer den Soldaten Shoichi Yokoi auf Guam gefunden.

Die "Holdouts", wie die ausharrenden Soldaten genannt wurden, konfrontierten die wirtschaftlich aufstrebende Nation Japan mit ihrer Kriegsvergangenheit, die sie jahrzehntelang verdrängt hatte. "In den Zeitungen fand man plötzlich aufwühlende Erinnerungen von Veteranen über die Schlacht von Saipan direkt neben Anzeigen für einen Kurztrip dorthin", sagt Beatrice Trefalt, Professorin für Japanstudien an der australischen Monash University. "Die Kombination aus der Entdeckung der Holdouts und der massiven medialen Aufmerksamkeit brachte bei der Nachkriegsgeneration die Frage auf: Haben wir ausreichend Wiedergutmachung betrieben?"

Aufarbeitung gab es bis dahin kaum. Veteranen fanden bis in die Sechzigerjahre selten Gehör, viele hatten sich zunächst aus der Gesellschaft zurückgezogen. "Ein psychologischer Zusammenbruch war weit verbreitet unter wiederkehrenden Soldaten", erklären Edgar A. Porter und Ran Ying Porter in einem Buch über den japanischen Blick auf den Zweiten Weltkrieg und die Besetzung durch die USA. Sie beschreiben den Fall von Naomasa Kodama, der auch Jahrzehnte später noch Scham über die Niederlage spürt und ein Foto mit seinen militärischen Auszeichnungen ablehnt: "Ich kann kein solches Foto von mir mit Kriegsandenken machen lassen, weil Japan den Krieg verloren hat."
Das Japanische Kaiserreich schien ab Mitte des 19. Jahrhunderts in seinen Eroberungen unaufhaltsam. Zunächst unterwarf es Taiwan und Korea und siegte 1905 gegen Russland; 1931 folgte die Besetzung der Mandschurei und 1937 die Invasion in China.

Schon 1882 verlangte ein Ehrenkodex die Loyalität jedes Soldaten zum Kaiser. Dieses Selbstverständnis wurde im Zweiten Weltkrieg durch den "Senjinkun" verstärkt: ein Büchlein mit Handlungsanweisungen, das ab 1941 jeder Soldat bekam. "Im Falle einer Verteidigung bewahre immer den Geist des Angriffs […], gib niemals eine Stellung auf, sondern stirb lieber." Aufgeben war im "Senjinkun" keine Option: "Wenn du überlebst, bring nicht die Schande über dich, ein Gefangener zu werden."

Japanisches Territorium um jeden Preis zu verteidigen - mit dieser Order zog auch Nakamura in den Dschungel. Am 15. September 1944 landeten rund 57.000 alliierte Soldaten auf Morotai. 500 Japaner verteidigten die Insel und bauten falsche Camps auf, um den Gegner über ihre Truppenstärke zu täuschen. Vergebens: In nur drei Wochen eroberten die Alliierten wichtige Teile der Insel, mehr als 300 Japaner starben. Die verbliebenen Soldaten, darunter Nakamura, sollten den Kampf vom Dschungel aus in Einzelattacken fortführen. Viele starben an Unterernährung, Krankheiten oder bei Guerillaangriffen.

Nakamura schloss sich einer kleinen Gruppe an. Aus Wochen im Versteck wurden Monate und Jahre. Anfang der Fünfzigerjahre verließ er das Camp von einem Tag auf den anderen. Wenig später wurde die Gruppe gefunden – und glaubte, Nakamura sei im Dschungel gestorben.

spiegel


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