Sars-CoV-2 brauchte zwei Anläufe

  15 September 2020    Gelesen: 707
  Sars-CoV-2 brauchte zwei Anläufe

Um zu verstehen, wie sich das Coronavirus über die ganze Welt verbreitet, untersuchen Forscher mit verschiedenen Methoden den Beginn von Epidemien. Mit aktuell veröffentlichten Studienergebnissen werfen sie bisherige Annahmen für Europa und Nordamerika über den Haufen.

Um die Ausbreitung des Coronavirus zu stoppen, ist es wichtig, Infektionsketten nachzuvollziehen. Dabei wird stets nach dem Ursprung der Infektionen gesucht. Das gilt auch für den globalen Blick. Wie genau es zu Epidemien in Europa und Nordamerika kommen konnte und welche Rolle die ersten Sars-CoV-2-Infizierten dabei spielten, können Forscher nun nach zwei umfassenden Untersuchungen sagen.

Die Teams um Trevor Bedford von der University of Washington und Michael Worobey von der University of Arizona gehen aufgrund ihrer Untersuchungsergebnisse übereinstimmend davon aus, dass sich Sars-CoV-2 erst in einem zweiten Anlauf in Europa und Nordamerika massiv ausbreiten und zu Epidemien werden konnten. Die ersten Infektionen, die in Bayern und im US-Staat Washington registriert worden waren, konnten den Forschern zufolge hingegen erfolgreich eingedämmt und schließlich abgewehrt werden. Erst eine erneute Einschleppung der Viren aus China in den US-Staat Washington und in die Lombardei brachten schließlich die Epidemien nach Europa und Nordamerika.

Bisher hatte man angenommen, dass die Ausbreitung von den ersten beiden Infizierten, die am 19. Januar im US-Staat Washington und am 27. Januar in Bayern identifiziert worden waren, ausging. Patient "WA1" war am 15. Januar aus China in die USA eingereist. Patient "BavPat1" hatte sich bei einer aus China eingereisten Kollegin angesteckt. Von diesen beiden Patienten aus soll sich das Virus unkontrolliert und von den Gesundheitsbehörden unbemerkt ausgebreitet und sogenannte kryptische Epidemien ausgelöst haben. Tatsächlich gab es die Epidemie im US-Staat erst sechs Wochen später. Auch der Ausbruch in Europa, konkret in der Lombardei, war erst um den 20. Februar herum, schreibt das Deutsche Ärzteblatt dazu.

Andere Ausbreitungswege

Bei der bisherigen Hypothese soll sich das Virus von Bayern aus in die Lombardei ausgebreitet haben und von dort aus über Ischgl nach Deutschland zurückgekehrt sein. Für diese Annahmen sprachen zunächst auch genetische Ähnlichkeiten. Ein Vergleich der Gene von 455 Sars-CoV-2-Proben durch das Team von Bedford bestätigte diese Annahme auf den ersten Blick. Die genauere Analyse allerdings ergab, dass das Virus erst um den 2. Februar in Europa angekommen ist. Dieses Datum lässt sich aus der Annahme einer Mutationsgeschwindigkeit und den Unterschieden in den Genomsequenzen der Viren berechnen, die später isoliert wurden, schreibt das Blatt weiter.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch die Forscher, der "Seattle Flu Study". In der Untersuchung waren zwischen dem 1. Januar und dem 15. März insgesamt 10.382 Abstriche der Atemwege entnommen worden. Der erste positive Sars-CoV-2-Test wurde am 21. Februar, also mehr als einen Monat nach der Infektion bei "WA1" gefunden. In der Zeit nach dem 21. Februar hat sich das Virus dann den Studienangaben zufolge rasant ausgebreitet. Diese Zahlen sprechen gegen eine sogenannte kryptische Epidemie, also gegen vermehrte Infektionen, die von den Gesundheitsbehörden unbemerkt blieben.

Computermodelle bestätigen neue Infektionswege

Zu ähnlichen Einschätzungen kommen auch die Forscher um Worobey. Die Forschenden hatten die Ausbreitung von Sars-CoV-2 mithilfe von Computermodellen nachgestellt. Auch damit ergibt sich kein einheitliches Bild beim Infektionsgeschehen, das mit den ersten beiden Infizierten und den späteren Ausbrüchen übereinstimmt. In Bayern hatte es den Berechnungen zufolge zwischen 140 und 2847 Neuinfektionen in den ersten 36 Tagen, also nach dem 27. Januar kommen müssen. Es ist undenkbar, dass so viele Fälle von den Gesundheitsbehörden unbemerkt geblieben wären. Tatsächlich infizierten sich nachweisbar 16 weitere Personen in Bayern mit Sars-CoV-2. Hinzu kommt, dass die Viren, die von Infizierten in Italien gewonnen und untersucht worden sind, genetisch nicht identisch mit denen von "BavPat1" waren.

Die Ergebnisse der Computersimulationen sprechen dafür, dass die Epidemie in der Lombardei von einem direkt aus China importierten Virus ausgelöst wurde. Dieses soll im Zeitraum zwischen den 20. Januar und dem 6. Februar in die Region gelangt sein. Dieses Virus schaffte es ungefähr zwei Wochen später nach New York. Von hier aus breitete es sich über die gesamten USA aus. Auch ein Teil der Viren, die aktuell im US-Staat Washington nachgewiesen werden, stammt von diesem Virus aus Italien ab.

Die Ergebnisse beider Untersuchungen wurden in der Fachzeitschrift "Science" veröffentlicht.

Quelle: ntv.de


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