Wiederholt sich der Albtraum von 2000?

  05 November 2020    Gelesen: 427
Wiederholt sich der Albtraum von 2000?

Die US-Wahl ist ein enges Rennen: Präsident Trump versucht in mehreren Bundesstaaten, die Auszählung gerichtlich zu stoppen. Die Demokraten werben schon um Spenden für Prozesse.

Nach einem chaotischen Monat des Wartens und voller Betrugsvorwürfe gewinnt einer der beiden Kandidaten dank eines Gerichtsurteils die US-Präsidentschaftswahl. Das ist der Albtraum, der gerade manche Amerikaner umtreibt: Nach einer knappen Wahl mit Rekordbeteiligung könnten letztlich Richter entscheiden.

Es gibt zwei Gründe, wieso dieser böse Traum nicht als Fantasie abgelegt werden kann: Erstens ist es bei der Wahl im Jahr 2000 genauso gewesen; und zweitens bereiten sich die Anwälte angesichts des absehbar knappen Ergebnisses bereits auf dieses Szenario vor.

Wilde Betrugsvorwürfe, Drohungen mit Klagen und Forderungen nach Neuauszählung - all das passierte schon wenige Stunden nach Schließung der letzten Wahllokale, noch bevor überall die Stimmen ausgezählt waren. US-Präsident Donald Trump hat sich bereits selbst zum Sieger erklärt, auch sein demokratischer Herausforderer Joe Biden zeigte sich siegessicher, mahnte aber, die Auszählung abzuwarten. Angesichts des knappen Ergebnisses scheint in den kommenden Wochen ein zähes Hickhack fast unvermeidbar.

Die Macht der Gerichte
Gerichte können nicht über den Ausgang der Wahl an sich befinden, auch nicht der Supreme Court in Washington. Richter sind nicht für eine Überprüfung der Ergebnisse zuständig. Örtliche Gerichte oder übergeordnete Instanzen können aber über die Rechtmäßigkeit von Fristen, Auszählungsregeln oder die Gültigkeit von Ergebnissen entscheiden.

Geklagt wird in den USA schnell und viel. In den allermeisten Wahljahren könnten, wenn ein Kandidat einen großen Vorsprung hat, ein oder zwei Klagen den Wahlausgang nicht beeinflussen. Angesichts der absehbar knappen Ergebnisse in Staaten wie Wisconsin, Michigan und Pennsylvania könnte das in diesem Jahr anders sein. Wegen des Mehrheitswahlrechts kann sich ein Kandidat einen Bundesstaat theoretisch schon mit einer Stimme Vorsprung sichern.

Trump sprach am Mittwoch mit Blick auf die noch laufende Auszählung bereits von massivem Betrug. "Sie finden überall Stimmen für Biden - in Pennsylvania, in Wisconsin und in Michigan. So schlecht für unser Land", schrieb er auf Twitter:

Experten und Studien zufolge ist Wahlbetrug in den USA aber extrem selten. Twitter versah mehrere Nachrichten Trumps umgehend mit einem Warnhinweis und schränkte damit auch die Möglichkeit der Weiterverbreitung der Tweets ein.

Trumps Wahlkampfteam kündigte an, in Wisconsin eine Neuauszählung der Stimmen zu beantragen. In Michigan reichte es eine Klage ein, um die Auszählung zu stoppen. Genauso in Pennsylvania. In den drei Staaten werden zusammen die Stimmen von 46 Wahlleuten vergeben. Ein Kandidat braucht zum Sieg 270 Stimmen. Biden scheint vorn zu liegen, aber es dürfte knapp werden. Auch im Bundesstaat Georgia reichten die Republikaner Klage ein.

Der Mehrheitsführer der Republikaner im Senat, Mitch McConnell, erklärte, dass er Trumps Ankündigung, den Kampf um die Wahl vor Gericht fortzusetzen, für unproblematisch halte. Bei einem knappen Wahlergebnis "ist das schon früher passiert und könnte auch dieses Mal passieren", sagte der Trump-Vertraute. "Vor Gericht zu gehen, ist der Weg, wie wir Unsicherheiten auflösen."

Die Demokraten warben sogleich um Spenden für Prozesskosten. Sie seien nach Trumps Drohungen "bereit, zurückzuschlagen", schrieb Bidens Vizekandidatin Kamala Harris auf Twitter. "Unsere Arbeit könnte sich über Wochen hinziehen, und wir brauchen Ihre Hilfe", hieß es in dem Spendenaufruf.

Demokraten und Republikaner hatten schon vor der Wahl zahlreiche Anwälte engagiert. Manche Klagen dürften durch alle Instanzen ausgefochten werden und könnten letztlich beim Obersten Gerichtshof in Washington, dem Supreme Court, landen. Dort hat Trump einen Heimvorteil: Sechs der neun auf Lebenszeit ernannten Richter gelten als konservativ, drei davon hat der Republikaner selbst nominiert.

Einige Klagen rund um die Wahl waren schon vor der Abstimmung bei den Richtern gelandet, dabei ging es zumeist um recht technische Fragen. Ein Streitthema war zum Beispiel die Frage, ob eine Frist zur Annahme von Stimmzetteln von einem Gericht geändert werden kann oder nur vom Parlament des betroffenen Bundesstaats.

Bei den Entscheidungen der Richter ließ sich in der Summe keine klare parteiliche Tendenz erkennen. Die erst Ende Oktober ernannte konservative Richterin Amy Coney Barrett enthielt sich bei mehreren Entscheidungen. Bei einer Entscheidung zur Annahme von Briefwahlunterlagen in Pennsylvania nach dem Wahltag behielten sich die Richter aber ausdrücklich vor, sich der Frage nach der Abstimmung möglicherweise noch mal zu widmen.

spiegel


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