Dass es keinen Sieger geben würde, stand lange vor dem Showkampf zwischen Mike Tyson und Roy Jones junior fest. Trotzdem kam es im Staples Center von Los Angeles zu einem kurzen Moment der Verwirrung, als die acht Runden von je zwei Minuten beendet waren. Ringrichter Ray Corona bat beide Boxer in die Mitte und griff ihre Handgelenke, um im Anschluss einen Arm in die Luft zu recken, behelfsweise auch beide. So wie man das macht nach einem Boxkampf. Die Kameras warteten auf den Moment. Doch dann schaltete die Regie plötzlich weg.
Es war der Augenblick, in dem alle Beteiligten – Boxer, ihre Betreuer, Verbandsvertreter, TV-Crew und auch die Zuschauer – aus der Traumwelt in die Realität zurückgerissen wurden. Obwohl man es zwischenzeitlich glauben konnte, hatten Tyson und Jones junior eben keinen Boxkampf bestritten. Es ging nicht um irgendeinen Titel, nicht um Sieg oder Niederlage, nicht mal darum, dem anderen zu beweisen, wer der Bessere, Stärkere, Schnellere oder Geschicktere ist. Damit nahm die Veranstaltung dem Boxen seinen existenzialistischen Kern. Natürlich hätten sich die Protagonisten trotz allem schwer verletzen können, aber es ging ihnen nicht darum, für die Hoffnung auf ein besseres Leben ihre Gesundheit zu riskieren.
Tyson und Jones junior hatten nicht gegeneinander gekämpft, sondern miteinander. Für einen guten Zweck, da Tyson im Vorfeld angekündigt hatte, einen Großteil seiner Börse unter anderem für Bildungsprojekte spenden zu wollen. Aber vor allem gegen ihr Alter, den körperlichen Verfall und das Gefühl, als Ex-Profis nicht mehr gebraucht zu werden.
Es gelang ihnen nur zum Teil. Tysons Bewegungen wirkten für einen 54-Jährigen tatsächlich überraschend geschmeidig und weckten leise Erinnerungen an das Phänomen, das ab Mitte der Achtzigerjahre mit der Urgewalt eines alles verwüstenden Hurrikans durch die Boxwelt gefegt war. Der frühere Schwergewichtsweltmeister deutete die schnellen Pendelbewegungen an, die bis heute niemand so beherrscht wie er, und setzte den einen oder anderen Haken. Die alte Zerstörungsgewalt entwickelte er dabei aber nicht.
Bei Jones junior sah das schon anders aus. Obwohl er drei Jahre jünger ist als Tyson, wirkte er im Ring deutlich älter. Auch der frühere Dominator des Mittelgewichts, der in den Neunzigerjahren und rum um die Jahrtausendwende wegen seines irrwitzigen Tempos und seiner Ringintelligenz schlicht unbesiegbar war, bemühte sich darum, seinen früheren Stil mit der prägnanten »shoulder roll defense« und den tief hängenden Fäusten zu imitieren. Doch was bei Tyson wie eine Reminiszenz an frühere, bessere Tage wirkte, verzerrte sich bei Jones junior zu einer wenig gelungenen Persiflage.
Besonders deutlich wurde der Unterschied zwischen beiden in den Rundenpausen. Während Tyson ruhig wirkte und sich mit seinem Team austauschte, sah man Jones junior an, wie sehr er unter den ungewohnten Anstrengungen litt. Er schnaufte, kniff schmerzverzerrt die Augen zusammen und machte nicht den Eindruck, als wollte er jemals wieder von dem kleinen Hocker aufstehen, auf dem er sich nur eine Minute erholen sollte. Und das schon nach der ersten Runde.
Als sich die Verwirrung um die obsolete Siegerehrung gelegt hatte, gaben die Protagonisten beim Weg zurück in die Kabinen Interviews, um ihre Sicht der Dinge zu schildern. Während Tyson, der das Projekt angestoßen hatte und mit der von ihm gegründeten »Legends Only League« verstetigen will, mit sich und der Welt im Reinen war und seinem Gegner größten Respekt zollte, wirkte Jones junior wie schon im Ring ein wenig deplatziert. Sein erstes Statement war kaum zu verstehen, weil er auch eine Viertelstunde nach Kampfende immer noch nicht wieder bei Atem war. Später gestand er ein, wie sehr ihm Tysons Schläge wehgetan haben. Bei der Frage, ob er so etwas noch einmal machen wolle, verwies der 51-Jährige auf seine Familie, mit der er sich erst besprechen wolle. Tyson schaltete sich sofort ein und sagte: »Natürlich machst Du das wieder, Du hast es noch drauf, Mann.«
Jones junior schluckte kurz und schaltete dann vom einfach nur erschöpften ehemaligen Helden in den Promotion-Modus um. Vielleicht weil ihm bewusst wurde, dass es eine Möglichkeit ist, langfristig Geld zu verdienen. Vielleicht aber auch aus Angst, dass Tyson doch ernstmachen und richtig hinlangen könnte. Insofern wird es wohl nicht bei einem einmaligen Experiment bleiben.
Ob das eine gute oder schlechte Nachricht ist, darf jeder Zuschauer selbst entscheiden.
spiegel
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