“I am the German President.“

  07 Oktober 2015    Gelesen: 617
“I am the German President.“
Seit den 90er Jahren war kein Bundespräsident mehr zu Besuch in den USA. Joachim Gauck, zu Hause Freiheits-Präsident genannt, besucht nun jene Orte, an denen der Traum der Unabhängigkeit geboren wurde. Wer glaubt, dass dies schon alles ist, der irrt.

Joachim Gauck steht auf den Stufen des Lincoln Memorials, der weiße Tempelbau im Herzen von Washington strahlt in der Oktobersonne. Gerade haben ein afroamerikanischer Bürgerrechtler und zwei Mitarbeiter der Nationalparkverwaltung Gauck durch das Denkmal geführt, in dem eine Marmorstatue des legendären US-Präsidenten Abraham Lincoln thront. Neugierig begutachten südkoreanische Touristen den Bundespräsidenten und seine Entourage, sie scheinen nicht zu wissen, wen sie da vor sich haben. Gauck geht auf sie zu: "I am the German President."

Der deutsche Präsident. Wäre Gauck nicht von Secret-Service-Agenten umgeben, würde er in der US-Hauptstadt wohl kaum auffallen. Das Gesicht der Bundesrepublik in der Weltpolitik ist Kanzlerin Angela Merkel, der Besuch des Bundespräsidenten verläuft weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit in den USA. Doch für Gauck geht mit der Reise ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung. Bei all seiner Bewunderung für die Freiheitsideale der Vereinigten Staaten übt der Bundespräsident aber auch Kritik an den NSA-Spähprogrammen, dem laxen Waffenrecht, der Todesstrafe.

Am Geburtsort der US-Demokratie

Am heutigen Mittwoch ist Gauck bei US-Präsident Barack Obama zu Gast, der erste Empfang für einen Bundespräsidenten im Weißen Haus seit den 90er Jahren. Für ihn gehe damit ein "Lebenstraum" in Erfüllung, verriet Gauck. Den Ton für seinen Besuch gab er bereits am Dienstag in einer Rede an der Universität von Pennsylvania in Philadelphia vor, als er die transatlantische Partnerschaft als "das essenzielle strategische Bündnis unserer Tage" beschwor.

Immer wieder baut Gauck seine eigene Biografie ein, wenn er über die Vereinigten Staaten spricht. "Gerade als Mensch, der im sowjetischen Machtbereich aufgewachsen ist, habe ich mich auf Amerikas Willen zur Verteidigung der Freiheit immer verlassen", sagte er an der Universität von Pennsylvania. Die erste Station seiner Reise hatte der Bundespräsident mit Bedacht gewählt: Philadelphia gilt als Geburtsort der US-Demokratie, hier erarbeiteten die Gründerväter des Landes die Unabhängigkeitserklärung und die Verfassung.

Bei einer Feier zum 25. Jahrestag der Wiedervereinigung in der deutschen Botschaft in Washington erzählte der Bundespräsident dann, wie die US-Verfassung während der Umbruchzeit nach dem Fall der Mauer in seiner Heimatstadt Rostock als Inspiration für den Neubeginn herangezogen worden sei. Während seiner ersten USA-Reise in den 90er Jahren habe er das Originaldokument dann im Nationalarchiv in Washington bestaunt.

Scharfe Kritik am NSA

Gauck hat aber auch ein feines Gespür dafür, wenn die USA ihrem eigenen moralischen Anspruch nicht gerecht werden. Der Bundespräsident beklagte den "Angriff auf die Privatsphäre" deutscher Bürger durch den US-Geheimdienst NSA und rief die Vereinigten Staaten auf, "verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen". Als Pastor in der DDR war Gauck selbst Ziel von Ausspähungen, als späterer Chef der Stasi-Unterlagenbehörde leitete er die Aufarbeitung des Spitzelsystems.

"Manchen amerikanischen Standpunkt teilen viele Deutsche nicht. Nicht das kaum eingeschränkte Recht auf Waffenbesitz, nicht die Todesstrafe, nicht die Toleranz gegenüber extremer Armut", sagte der Bundespräsident in Philadelphia. Auch die brutalen Verhöre von Terrorverdächtigen und das Gefangenenlager Guantánamo zählte er auf.

Am Ende überwiegt bei Gauck aber die Dankbarkeit gegenüber den Vereinigten Staaten - für den Kampf gegen das Dritte Reich, für den Wiederaufbau von Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, für die Unterstützung bei der deutschen Einheit. Besorgt äußerte er sich über das zunehmend negative Amerika-Bild in Deutschland und wies seinen Landsleuten eine Mitverantwortung für Verstimmungen im transatlantischen Verhältnis zu: "Ich kann nachvollziehen, dass sich mancher Amerikaner fragt, warum wir Deutschen, statt uns zu erregen, nicht selbst mehr tun zur Abwehr des Terrorismus."

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