Das mit dem Vertrauen ist immer so eine Sache. Wird es einmal ernsthaft verletzt, kann es nur schwer und bedachtsam - oder gar nie mehr - wiederaufgebaut werden. Damit konfrontiert sieht sich auch die ARD-Talkrunde bei Anne Will. Denn das Vertrauen der Bürger in das Corona-Management der Politik liegt dieser Tage am Boden. Obwohl - oder gerade weil - Angela Merkel unter der Woche in einem ARD-Interview sagte, es sei "im Großen und Ganzen nichts schiefgelaufen" mit der Impfstoff-Beschaffung in Deutschland. Doch das Ignorieren von Wissenschaftlern, die früh auf harte Maßnahmen gedrängt hatten, das elende Hangeln von Lockdown-Verlängerung zu Lockdown-Verlängerung, das Gewurschtel von Bund und Ländern mit- und gegeneinander, das Fehlen eines klaren Plans gegen die Mutation B.1.1.7, die hohe Todesrate und eben der Impf-Stotterstart verleiten mehr als die Hälfte der Bundesbürger dazu, die Politik als überfordert zu betrachten.
Weitsicht in der Pandemie-Politik? Fehlanzeige! Cornelia Betsch bringt es direkt zu Beginn der Sendung knallhart auf den Punkt: "Jede andere Strategie ist besser als die jetzige", sagt die Professorin für Gesundheitskommunikation an der Universität Erfurt, die die Cosmo-Studie leitet, ein wöchentlicher Umfrage-Gradmesser für die psychische Lage der deutschen Bevölkerung in der Corona-Krise. Die Bemühungen der Politik seien keine wirkliche "langfristige Strategie" und "nicht effektiv genug", besonders bezüglich Impfungen. Darunter leide das Vertrauen der Gesellschaft in die Pandemie-Maßnahmen, das von März 2020 bis jetzt von etwa 60 auf 40 Prozent gefallen sei. Besonders Menschen, "die eigentlich die Regeln befürworteten, vertrauen jetzt nicht mehr".
Die Stimmung kippt, Deutschland ist am Limit. Das Problem daran: "Vertrauen ist der Dreh- und Angelpunkt für Verhalten", sagt Betsch. Die Professorin erkennt in ihren Umfragen eine ansteigende Pandemiemüdigkeit und zunehmende Belastung der Bürgerinnen und Bürger. "Das hat Zündstoff", urteilt sie, im ersten Lockdown hätten sich beispielsweise mehr Menschen an die Regeln gehalten als jetzt. Was muss also jetzt passieren, will Anne Will wissen. Denn eine gemeinsame, klare und weitsichtige Linie scheint auch nach einem Jahr Corona noch immer kompliziert für die Politik, wie auch die Talkrunde zeigt. Das Durcheinander in den Bundesländern sorgt immer wieder für Vertrauensverlust, beispielsweise so geschehen beim Beherbergungsverbot. Um dem zu kontern, bräuchte es laut Betsch endlich eine bundeseinheitliche Strategie, die alle Ministerpräsidenten mittragen.
Dafür plädiert auch Manuela Schwesig. "Ich würde nicht empfehlen, dass wir alles öffnen, wenn wir eine Inzidenz von unter 50 erreicht haben", sagt die SPD-Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern. Es gebe aber Möglichkeiten, Dinge Schritt für Schritt zu öffnen. "Wir müssen einen Perspektivplan erstellen, und zwar einheitlich und anhand von Inzidenzen, und nicht einfach den Lockdown noch mal verlängern." Dann müsse immer regional entschieden werden, was wann gelockert werden könne. Der aktuelle Lockdown, der bis zum 14. Februar gilt, soll wohl bis Ende des Monats verlängert werden. Über den neuen Plan wird bei den Bund-Länder-Beratungen am Mittwoch gesprochen. Cosmo-Studienleiterin Betsch kritisiert: "Der Ende des Lockdown sollte eher an bestimmte Fallzahlen als an ein bestimmtes Datum geknüpft werden." Das würde auch der Motivation der Bevölkerung helfen.
Spahn hält Stresstest für bestanden
CDU-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der nur in einem Einzelinterview mit der Talkmasterin spricht, erklärt seinen Plan für die unmittelbare Zukunft wie folgt: "Wir müssen die Infektionszahlen so gering halten, dass wir Infektionsketten nachverfolgen können. Das wird bis zum nächsten Sonntag noch nicht erreicht sein. Ich würde abwarten, bis wir deutlich unter der Inzidenz von 50 sind und dann erst lockern." Die Strategie der Bundesregierung sei ohnehin von Anfang an - und noch immer - die Fallzahlen runterzubringen, um eine zu starke Belastung des Gesundheitssystems zu vermeiden. "Das ist uns gelungen, anders als anderen Ländern", meint der Gesundheitsminister. "Es gab starke Belastungen, aber keine Überlastungen. Das System hat den Stresstest bestanden." Schade, dass die Talkrunde keine Krankenpfleger geladen hatte, die Spahn sicherlich eine deutlich andere Sichtweise mitgeteilt hätten. Dass Krisen durch schlechte Kommunikation und fehlende Offenheit noch schlimmer werden, scheint weder bei Merkel noch ihrem Gesundheitsminister richtig angekommen zu sein.
Immerhin erkennt Spahn auf Wills Nachfrage auch die Pandemiemüdigkeit in der Bevölkerung. "Das Virus ist aber nicht müde, sondern nimmt noch mal Anlauf mit den Mutationen", sagt er. "Deshalb dürfen wir auch nicht müde werden." Sein CDU-Kollege Ralph Brinkhaus pflichtet ihm bei. "Wir müssen jetzt ehrlich sein: Die nächsten Wochen werden noch mal hart", sagt der Unionsfraktionsvorsitzende im Bundestag. Zwar will er raus "aus dieser Scheibchenweise", also aus den ständigen Lockdown-Verlängerungen, aber schließlich meint er dann doch: Noch mal Lockdown wäre besser als jetzt zu lockern.
Sahra Wagenknecht will zwar "nicht das Virus ignorieren und pauschal aussteigen", aber für sie sei "nach einem Jahr nicht mehr zu begründen, dass man ganze Berufsgruppen ohne konkrete Datenlage in den Ruin treibt". Die Linke-Bundestagsabgeordnete möchte raus aus dem Lockdown mit zielgenaueren Maßnahmen, "die jene schützen, die besonders betroffen sind", zum Beispiel Bewohnerinnen und Bewohner von Alten- und Pflegeheime. Die Gastronomie etwa sollte aber wieder öffnen dürfen.
Kein Impfstoff, kein Vertrauen
Das Vertrauen in die Corona-Maßnahmen schwindet, das erkennt die ARD-Talkrunde unisono an. Wie er aber das Vertrauen der Gesellschaft zurückgewinnen will, weiß Gesundheitsminister Spahn nicht genau. Manuela Schwesig hat dafür einen Einfall: "Impfstoff wäre jetzt die Waffe für einen Motivationsschub", sagt die Ministerpräsidentin, nur um direkt darauf die Bundesregierung für die Probleme bei der Impfstoffbeschaffung anzugreifen. "Die Bundesregierung sollte genug Impfstoff besorgen, aber nun gibt es nicht genug davon, wir können Risikogruppen nicht schützen und die drohende Mutation kommt jetzt noch dazu", prangert die Ministerpräsidentin an.
Hätte man volle Impfzentren und eine reibungslose Abwicklung, würden die Deutschen sehen, dass es vorangeht, dann würde das Durchhalten einfacher fallen, so Schwesig. Hat man aber nicht. "Die Bundespolitiker bekommen wohl nicht mit, wie es vor Ort aussieht." Eine klare Spitze auf die Bundeskanzlerin und ihr "es ist nichts schiefgelaufen". Spahn findet dagegen die "Entscheidung richtig, dass die EU für uns alle entschieden hat." Manche Dinge bräuchten zwar länger, wenn man mit 26 anderen Ländern abstimme. "Aber wenn wir zusammen stehen, sind wir stärker", so der Gesundheitsminister. Er will die Impfungen nun mit einer neuen Verordnung beschleunigen.
Professorin Betsch erklärt abschließend, dass ein Motivationspush nicht bedeute, dass die Leute direkt Lockerungen bräuchten. Aber eben einfach zu erhaltene Impfungen, einheitliche und klare Regeln und eine Veränderung der Zielsetzung. Belohnungen könnten Belastungen reduzieren, auch mit einem Wettbewerb unter Regionen könnte man arbeiten. "Aber neue Kommunikation von der Regierung nach unten reicht nicht, sondern man muss die Gesellschaft mit einbinden", glaubt sie.
Gemeinsam Ziele braucht es. Dass die Gesellschaft aber immer wieder eher vor den Kopf gestoßen als eingebunden wird, ist weder der Talkrunde noch der Politik bewusst. Vertrauen schwindet auch, wenn nun der Hallenser Oberbürgermeister Bernd Wiegand das Reizthema überhaupt nicht wahrhaben will und sich bei der Impfung vordrängelt. Wenn etwa der Fußballrekordmeister FC Bayern mitten in einer Pandemie ins menschenrechtsmissachtende Katar für einen völlig unbedeutenden Pokal fliegt, während Schulen, Kitas, Einzelhandel oder Gastronomie geschlossen bleiben und Privatpersonen auf ihre Reisen verzichten sollen. Oder eben, wenn der Gesundheitsminister meint, das Gesundheitssystem samt Personal sei nicht überlastet.
Quelle: ntv.de
Tags: