Die Beweislage gegen Donald Trump war lange eine Frage des Zusammenhangs. Hat er am 6. Januar "zur Gewalt gegen die Vereinigten Staaten" angestiftet, zum Sturm auf den Kongress, in dessen Folge fünf Menschen starben? Die Demokraten sind dieser Ansicht, deshalb leiteten sie im Januar ein zweites Amtsenthebungsverfahren gegen ihn ein, als er noch US-Präsident war. Nun hat ihn der Senat entlastet. Für eine Verurteilung stimmten alle 50 Demokraten und sieben Republikaner - das sind immerhin zwei mehr als erwartet worden war. Die nötige Zweidrittelmehrheit von 67 Stimmen wurde jedoch verfehlt.
Dieses zweite Impeachment-Verfahren in 13 Monaten zeigt deutlich, dass diese Prozesse sehr wenig damit zu tun haben, ob jemand tatsächlich etwas getan hat, für das er aus dem Amt entfernt werden müsste. Sondern um politische und persönliche Interessen.
Der republikanische Minderheitsführer Mitch McConnell demonstrierte nach der Abstimmung, in welcher Zwickmühle die Republikaner steckten. Er hatte für "nicht schuldig" gestimmt. Nach dem Freispruch erklärte er dann ungerührt, Trump sei "praktisch und moralisch verantwortlich" für das, was am 6. Januar geschehen sei. McConnell deutete sogar an, dass sich der Ex-Präsident - der nun ein gewöhnlicher Bürger sei - möglicherweise noch vor einem normalen Gericht werde verantworten müssen. Doch die Verfassung sehe nicht vor, dass ein ehemaliger Präsident des Amtes enthoben werden könne. Zahlreiche Juristen sehen dies anders.
Die "smoking gun"
Bis zum Freitagabend war das Impeachment eine relativ geordnete Angelegenheit gewesen. Eine "smoking gun", also der entscheidende Beweis, war nicht in Sicht. Es gab keine offizielle Anweisung zum Aufstand aus dem Weißen Haus. Es gab keine dokumentierte Kommunikation mit den Anführern der Menschenmenge, die am 6. Januar ins Kapitol eindrang, während dort Vizepräsident Mike Pence und die Senatorinnen und Senatoren die Stimmen der Wahlleute auszählten. Trump nahm auch nicht an dem Aufruhr teil oder setzte sich gar an seine Spitze.
Doch dann, am Freitagabend, nachdem sich beide Seiten bereits auf Schlussplädoyers und einen Prozessabschluss am Folgetag eingerichtet hatten, tauchte eine kleine "rauchende Pistole" auf. Die republikanische Abgeordnete Jaime Herrera Beutler berichtete von einem Telefonanruf während der Ausschreitungen: Der Republikaner Kevin McCarthy, Minderheitenführer im Repräsentantenhaus, hatte demnach mit Trump telefoniert, während der Mob noch wütete. Er flehte den Präsident an, die Angreifer öffentlich und nachdrücklich zurückzurufen - sie würden gerade durch die Fenster in sein Büro eindringen. Trump weigerte sich in einem Schreiduell am Telefon. Erst behauptete er, die Antifa sei verantwortlich, dann verspottete er McCarthy.
Wegen der neuen Details sah es am Samstagmorgen zunächst so aus, als wollte die Anklage die Abgeordnete Beutler vorladen. Der Senat stimmte für Zeugenbefragungen, darunter auch mehrere republikanische Senatoren. Die Verteidigung drohte, wenn jetzt alles aufgerollt werden müsse, würde man noch 100 Zeugen unter Eid aussagen lassen. Dabei hatten sich eben diese Anwälte vorher beschwert, dass es kein faires Verfahren gebe. Die Drohung, den Prozess ins gefühlt Unendliche zu ziehen, wirkte offenbar. Beutlers Aussage wurde schriftlich eingeholt, der Senat machte mit den Plädoyers weiter.
Potpourri der Rechtfertigungen
In den Tagen zuvor hatten die Ankläger zunächst Trumps Rede vor dem Gewaltausbruch, seine Tweets sowie seine wochenlange Weigerung, die Wahlniederlage anzuerkennen, als Belege angeführt. Sie zeigten den zeitlichen Kontext, als von Trump herbeigeführten Höhepunkt eines mit allen Bandagen geführten Wahl- und Nachwahlkampfes; eines überdrehten Landes und eines Mannes, der die Gefahr nicht erkannte, bewusst damit spielte oder einfach ignorierte. Es war ein verzweifelter Versuch der Demokraten, irgendwie doch in die Köpfe der republikanischen Senatoren durchzudringen. Einige von ihnen zeigten sich beeindruckt von der Präsentation.
Die Verteidiger reagierten darauf in weniger als vier Stunden und legten ihre Finger in ein paar - kleinere - Wunden. Sie rieben ein argumentatives Potpourri hinein, aus dem sich jeder Senator seine Rechtfertigung für ein "nicht schuldig" herausgreifen konnte: Trump sei unschuldig, dies sei kein fairer Prozess, die Demokraten seien Manipulatoren von Beweismaterial, die Meinungsfreiheit sei von linker "Cancel Culture" bedroht, alles sei auf den "Hass" und "die große Lüge" der Demokraten zurückzuführen - und ohnehin sei die ganze Veranstaltung verfassungswidrig.
Trumps Anwälte zeichneten den 6. Januar als unabhängiges Ereignis nach, das nichts mit ihrem Mandanten zu tun hatte: "Man kann zu nichts anstiften, was ohnehin geschehen wäre", sagte einer seiner Verteidiger. Die Aussagen der Randalierer legen etwas anderes nahe. Viele sagten, sie hätten Trumps Worte als Anweisung verstanden und nur den Willen des Präsidenten ausgeführt. Der Hauptankläger, der demokratische Abgeordnete Jamie Raskin, folgerte: "Er hätte die Gewalt stoppen können, aber er hat es nicht getan. Der blutige Aufstand hätte ohne Präsident Trump nicht stattgefunden."
Kämpfen, kämpfen, kämpfen
Die Republikaner wehrten sich auch mit dem Vorwurf der Doppelmoral. Die Demokraten hatten detailliert gezeigt, wie Trump immer wieder von "Lügen" sprach, von "Wahlbetrug", vom "Kämpfen", davon, nicht aufzugeben bis zum Schluss. Die Republikaner ließen als Antwort einen dröhnend langen Zusammenschnitt davon auf die Leinwand werfen, wie Demokraten davon sprechen, gegen Trump zu "kämpfen" und ihn des Amtes zu entheben. Sie zeigten die gewaltsame Seite der Anti-Rassismus-Proteste von Black Lives Matter und kombinierten sie mit unterstützenden Aussagen hochrangiger Demokraten.
Diese Gleichsetzung ist reichlich absurd: Die einen lehnten sich gegen offensichtlichen und belegbaren systemischen Rassismus auf - dafür hatten Demokraten Verständnis gezeigt. Die Eindringlinge im Kapitol wollten eine juristisch bestätigte Niederlage mit einem Staatsstreich in einen Sieg verwandeln. Den Unterschied dürften auch die meisten Republikaner sehen. Aber es geht bei diesem politischen Prozess nicht wirklich um Schuld, sondern darum, sich nicht die politische Zukunft zu verbauen, indem man sich von Trump lossagt.
Senator Bill Cassidy aus Louisiana etwa stimmte überraschend für die Durchführung des Impeachment und am Ende auch für die Verurteilung. Dafür wurde er von seiner lokalen Basis aufs Schärfste öffentlich verurteilt. Er vertrete nicht mehr die Menschen dieses Staates oder der republikanischen Partei, schrieben sie: "Er ist eine Schande."
Und Minderheitsführer McCarthy war zwar nach dem Sturm aufs Kapitol und seinem Telefonat sauer und bezichtigte Trump, verantwortlich für die Gewalt zu sein. Doch schon Ende Januar flog er zu Trump nach Mar-a-Lago, um sich mit ihm zu versöhnen. Der Ex-Präsident ist zu wichtig für ihn und seine Parteikollegen. Trump kündigte nach McCarthys Besuch an, die Republikaner bei den Kongresswahlen 2022 zu unterstützen. Es fragt sich nur, welche Kandidaten.
Quelle: ntv.de
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