Chodschali: Nicht enden wollendes Leid im „Schwarzen Garten“

  25 Februar 2021    Gelesen: 1730
  Chodschali:  Nicht enden wollendes Leid im  „Schwarzen Garten“

Die bewaffneten Auseinandersetzungen in der permanent unruhigen Südkaukasus-Region dauern schon seit Generationen an. Kriege und Okkupationen der indigenen Bevölkerung oder auch ethnische Säuberungen hinterlassen deutliche Spuren in diesem Gebiet.

Konflikte löst man am besten, indem man sie gar nicht erst entstehen lässt.

30 Jahre sind bereits seit dem Zusammenbruch der UdSSR vergangen. Und doch müssen die ehemaligen Sowjetrepubliken immer noch die Folgen der einst nationalen Politik der Sowjetunion ausbaden. Ein anschauliches Beispiel ist die Geschichte des kleinen Dorfes Chodschali, das sich heute in Berg-Karabach unter der Kontrolle russischer Friedenstruppen befindet.

Dieses blutigste Kapitel des ersten dreijährigen Berg-Karabach-Krieges begann in der aserbaidschanischen Ortschaft Chodschali, damals Teil des Autonomiegebiets von Berg-Karabach. Die Kleinstadt Chodschali mit einer Bevölkerung von ca. 6.300 Einwohnern liegt 14 km nordwestlich von Chankendi, der Hauptstadt von Berg-Karabach. Chodschali lag an einem militärisch-strategisch bedeutenden Punkt (an der Schnittstelle zwischen den Städten Chankendi und Askeran) und besaß den einzigen Flughafen in der Region. Im Oktober 1992 belagerten armenische Truppen die Ortschaft. Die Stadt zählte seinerzeit ca. 7000 Einwohner. Das damalige Verbrechen wurde von armenischen Streitkräften begangen. Dies geschah unter Führung armenischer Generäle (der dritte Präsident Armeniens, Serj Sargsyan, war einer von ihnen) und der 366. russischen Einheit, einer Elitetruppe der russischen Armee. Sie marschierten mit modernsten Waffen in die Stadt ein: In dieser Nacht waren 613 Opfer und 487 Schwerverletzte zu beklagen, viele Familien wurden über Nacht ausgelöscht, 230 Kinder verloren ihre Eltern, 1275 Menschen wurden gefangen genommen und brutal gefoltert; 200 Menschen erfroren auf der Flucht, 150 Einwohner blieben vermisst. Danach gestanden die Armenier ein, das Ziel sei die Vernichtung Chodschalis (geschrieben: Xocalı oder auch Khodjaly) gewesen, um freien Zugang zu anderen strategisch wichtigen Regionen wie Eskeren und Chankendi zu erhalten. Als Resultat der ethnischen Säuberung in Berg-Karabach und anderen Gebieten, die von den armenischen Truppen 27 Jahre lang besetzt gewesen waren, wurden etwa eine Million Menschen vertrieben und dazu gezwungen, in Zelten oder Bahnwaggons zu leben. Die Chodschali-Tragödie war bislang das schlimmste Massaker an unschuldigen Zivilisten in der neueren Geschichte des Kaukasus. Daher wird der Name Chodschali von Aserbaidschanern und Angehörigen anderer Völker, die in dieser Region leben, mit Schmerz, Sorge und Brutalität gleichgesetzt. Chodschali stellt das dunkelste Kapitel in der Geschichte des unabhängigen Aserbaidschan dar. Jedes Mal, wenn die Aserbaidschaner weltweit der Tragödie von Chodschali gedenken, wenden sie sich an die internationale Gemeinschaft in der Hoffnung, die armenische Regierung möge vor ein internationales Strafgericht gestellt werden, um sich dort für die begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verantworten.

Was ist eigentlich VÖLKERMORD?

Raphael Lemkin, ein polnisch-jüdischer Jurist, verwendete das altgriechische Wort genos (Rasse, Stamm) und das lateinische cide (töten), um das neue Wort „Völkermord" zu prägen (Oxford: Clarendon Press, 1919). Er notierte das Folgende in Bezug auf Völkermord: "Völkermord richtet sich gegen die nationale Gruppe als Ganzes, und die damit verbundenen Handlungen richten sich gegen Individuen, nicht in ihrer individuellen Eigenschaft, sondern als Mitglieder der nationalen Gruppe." Was ein Völkermord ist und was nicht, entscheidet nicht allein die Zahl der Opfer, sondern die Absicht der Mörder. Damit ist ein Genozid insgesamt erst dann abgeschlossen, wenn die Gruppe bzw. das Volk und seine Kultur, einschließlich seines Kulturerbes (für die Welt) in einer Region vollständig eliminiert wurden. Ein Genozid endet somit nicht bereits mit dem letzten Mord, nicht mit dem letzten Vertriebenen. Er wird nach dem letzten Mord noch so lange fortgesetzt, wie die Zerstörung der Kulturgüter der vertriebenen (ethnischen) Gruppe andauert.

Die Region Südkaukasus liegt in einem sehr komplizierten geopolitischen Raum und ist daher sehr krisenanfällig. Über den Fall des Massakers von Chodschali sind bislang nur wenige Informationen international veröffentlicht worden. Basierend auf der Definition von Völkermord hat Gregory H. Stanton, Präsident von Genocide Watch, zur besseren Verdeutlichung acht Kategorisierungen von Völkermord aufgestellt. Dazu gehören das Töten von Menschen aufgrund ihrer Rasse, die Gleichsetzung der Opfer mit Tieren, eine ausgebildete Armee, die gezielte Vorbereitung einer ethnischen Säuberung, Massentötungen, das Leugnen von Fakten usw. Basierend auf diesen Erkenntnissen und Fakten kann man davon ausgehen, dass die brutalen Handlungen der armenischen Streitkräfte gegen die Völkermordkonvention verstoßen, die in den Römischen Statuten von 1948 festgehalten ist. Unten stellt der Autor in einer Tabelle dar, wie die Fälle von Chodschali und Srebrenica miteinander verglichen wurden. Auch wenn es nicht allgemein als Völkermord anerkannt ist, haben mehrere Länder und Organisationen dieses Ereignis als Völkermord klassifiziert, wie unter den Quellen angegeben wird.

Die Gerechtigkeit ist wie das Licht: Man weiß nicht, was es ist, aber man merkt, wenn es fehlt.

Im September 2020 flammte der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan wieder auf, und ein erbitterter Krieg um die umkämpfte separatistische Region Berg-Karabach brach aus. Berg-Karabach und 7 umliegende Gebiete konnten wieder an Aserbaidschan angegliedert werden. Laut dem Völkerrecht und gemäß den international anerkannten Grenzen ist Karabach als Teil Aserbaidschans zu betrachten. Doch wenn die beiden Länder eine Lösung in dieser Frage finden wollen, müssen sie sich zu ihrer Rolle in dem bewaffneten Konflikt bekennen. Das Massaker von Chodschali wird nicht einfach aus der Geschichte verschwinden, so sehr man auch versucht, es zu verdrängen oder wegzudiskutieren. Nur wenn man Verantwortung übernimmt, und zugibt, dass die Besatzungstruppen grausame Taten an unschuldigen Zivilisten begangen haben, kann echter Frieden und Versöhnung zwischen beiden Nationen beginnen.

Die Angehörigen der in Chodschali getöteten unschuldigen und unbewaffneten Menschen haben Gerechtigkeit verdient. Es geht nicht um Bestrafung, sondern darum, Recht zu sprechen, um ähnliche Tragödien auf der ganzen Welt in Zukunft zu verhindern.

Adil Schamiyev


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