Wer sich kurz die vulgärerkenntnistheoretische Brille aufsetzt und "Stimmung heute" googelt, erhält in Sekunden den Grundriss einer düster-vernieselten Kurzgeschichte aus der deutschen Gegenwart: Es herrsche eine schlechte Stimmung in der Weltwirtschaft, ist da zu lesen, der Außenhandel Chinas vermiese die Stimmung, die AfD profitiere allgemein von der Stimmung auf der Straße, beim "Bachelor" sei die Stimmung gedrückt, brodelnd allerdings die im Bielefelder Fußballstadion.
Wer sich dazu die vulgärtherapeutische Strickjacke überwirft und das Land auf die Analysecouch legt, "Wie geht es Ihnen heute?", hört von Irritiertheit, Vertrauensverlust, Unsicherheit: aus der Anamnese tritt eine dünnhäutige Gestalt inmitten einer komplexen Phase identitärer Umstrukturierung hervor.
Gehorcht Pegida der DIN-Norm?
Die Frage, was und wie die Stimmung hierzulande sei, scheint drängend, aber schräg. Hängt die Antwort nicht allein davon ab, wer gefragt wird, wie und in welchem Moment, bei einer der üblichen Meinungsforschungsumfragen und Sympathiewertermittlungen? Die Stimmung eines dreiundfünfzigjährigen Sachbearbeiters aus Paderborn, der in sein Eibrot beißt, wird eine andere sein als die eines siebzehnjährigen Flüchtlings, der die Nacht auf einer klammen Matratze verbracht hat. Kann sich aus solchen Stichprobenpartikeln subjektiver, momentbedingter Stimmen ein Gesamtbild fügen, und zeichnet das verlässlich so etwas wie einen nationalen Gemütsausdruck?
""
Nein, offenbar genügt das stethoskopartige Abhorchen unserer Befindlichkeit nicht, um aus dem, was um uns herum passiert, Bedeutung und Sinn abzuleiten. Die letzten Tage und Wochen sind kaum in eine stringente Erzählung zu fassen, eher in ein von Amplituden an den Rändern verwischt-verwackeltes Bild.
Das liegt nicht daran, dass zu viel Unbekanntes und Unverständliches gleichzeitig geschehen würde, wie es das Zeit-Motiv der Moderne erzählt, sondern weil die Macht von Stimmungen und ihren unklaren Umschwungbewegungen – seit Pegida, seit Köln – spürbarer wird, wir ihnen aber nicht mit bundesprüfermäßigem DIN-Maß beikommen können.
Stimmung ist kein Feng-Shui
In dieses Erklärbarkeitsparadox der Wirklichkeit hinein trifft ein Argument, das wie das Wort zur Stunde scheint: Stimmungen müssten als zentrales Phänomen unserer Gegenwart wissenschaftlich untersucht werden, erläutert der Soziologe Heinz Bude in seinem neuen Buch "Das Gefühl der Welt". Es ist schon an und für sich auffällig, dass sich ein Soziologe eines Begriffes annimmt, der lange zu verwabert für wissenschaftliche Präzisionsansprüche schien.
In der ästhetischen Theorie ist die Lage heute anders, seitdem vor etwa zehn Jahren, im Zuge des "emotional turn", der Wiederentdeckung der Emotionen und der Überschneidungen zwischen Geistes- und Neurowissenschaften, "Stimmung" wieder ins Blickfeld rückte.
Bude nun setzt im Ton milde renitenter Herausforderung an, bis heute sei Stimmung für die meisten eher verbunden mit Feng-Shui, Farbkonzepten und postmoderner Wohlfühl-Ästhetik, um dann die Geschichte der Idee nachzuzeichnen: Stimmung bezog sich, als der Ausdruck im sechzehnten Jahrhundert aufkam, erst auf die Festlegung der Tonhöhe eines Instruments, später, im achtzehnten Jahrhundert, wanderte sie in die Philosophie als eine Tönung des Gemütszustands: Stimmung meint immer innen und außen; Stimmungen sind nicht intentional, sie überkommen einen, anders als Gefühle, auch anlasslos; ein heller Frühlingsmorgen kann einen wehmütig stimmen genauso wie die dumpfen Gitarren von Velvet Underground euphorisch.
Deutschland probt den Aufbruch
In der Literatur sind Musik und Wetter die Träger von Stimmungen; Jean-Paul Sartres "Ekel" wäre keine literarische Zustandsbeschreibung des Existenzialismus und seiner kühlen Erwartung ans Leben, gäbe es nicht die letzten Sätze des Romans über das regenfeuchte Holz und den Song, den in der Ferne der Wind schwach verstreut, über Bouville.
Aber was bedeutet die Idee für unsere Wirklichkeit – kann man Stimmungen als Formen der Erfahrung fassen, in denen uns die Welt überhaupt erst zugänglich und verständlich wird? Bude diagnostiziert eine Gereiztheit, die nun erst angesichts der Flüchtlingskrise hervorbreche, ebendiese Stimmung sei der Hintergrund für plötzlich hochschießende "soziale Bewegungen des Misstrauens", die sich betrogen fühlten und sich in ihrer Ablehnung des Establishments zusammenschlössen, um sich kollektiv beständig selbst zu bestätigen – allein in ihrer Stimmung, nicht etwa in Argumenten.
Niemand kann nicht irgendwie gestimmt sein, auch das stellt Bude heraus, es ist der Zustand, in dem man sich durch die Welt bewegt. Bezeichnenderweise aber gibt es diese Verbindung von Innerlichkeit und Außenatmosphäre nur im deutschen Begriff der Stimmung; die verwandten im Englischen, Französischen oder Italienischen brauchen mindestens zwei unterschiedliche Wörter, um annähernd dasselbe zu meinen.
"Der Stimmung kann man im Deutschen nicht entkommen", heißt es bei Bude. Und damit wirkt "deutsche Stimmung" nicht mehr wie die Überschrift zu einem düsteren Problemfall, sondern, zum ersten Mal seit Wochen, wieder wie ein Aufbruch.
Quelle : welt.de
Tags: