Wie das billige Öl die Welt gefährlicher macht

  16 März 2016    Gelesen: 709
Wie das billige Öl die Welt gefährlicher macht
Sinkt der Preis, steigt die Gewalt: Vielen Öl-Mächten fehlt Geld, um Terror, Kriminalität und Aufstände zu bekämpfen. Sie wollen die Verluste ausgleichen – und könnten damit alles noch verschlimmern.
Der Brief, den Joseph Beti Assomo seinen Generälen schickte, in einem Umschlag mit dem Stempel "geheim", klingt beunruhigend: Terroristen seien hier, heißt es darin, sie planten etwas, vielleicht in einem Bus, vielleicht in einem Hotel.

Die islamistische Gruppe Boko Haram, beheimatet im Norden Nigerias, halte sich nun auch in Yaoundé auf, der Hauptstadt Kameruns. Seit das Schreiben des Verteidigungsministers ungewollt an die Öffentlichkeit gelangte, ist Yaoundé in Angst. Soldaten patrouillieren, die Bürger meiden den Nahverkehr, eine Haushaltskonferenz mit den Nachbarstaaten wurde abgesagt – der Ort des Treffens, das "Hilton", sei ein mögliches Anschlagsziel.

Nicht der Islamische Staat, nicht die Taliban, nicht al-Qaida, sondern Boko Haram ist die Gruppe, die im vergangenen Jahr die meisten Menschen tötete. In Nigeria haben die Terroristen mehrere Provinzen destabilisiert, nun tragen sie die Gewalt über die Grenze. Boko Haram expandiert – auch weil Nigeria das Geld für große Gegenschläge fehlt. Dem Staat brechen die Einnahmen weg, seit seine wichtigste Ressource auf den globalen Märkten dramatisch an Wert verlor: das Öl.

Kostet das Öl wenig, droht die Gewalt zu steigen – eine Formel, die nicht nur für Nigeria gilt, sondern für viele Förderländer. In Venezuela gab es Aufstände, als die Regierung, bedroht vom Bankrott, die Benzinpreise erhöhte. Mexiko bekommt Schwierigkeiten, den teuren Krieg gegen die Drogenkartelle zu finanzieren. Die Ölmächte des Nahen Ostens benötigen Petrodollar, um gegen den Islamischen Staat zu kämpfen. Das billige Öl macht den Planeten gefährlicher.

Ruinöser Preiskrieg

"Die Konflikte nehmen zu", sagt Silja-Leena Stawikowski, die für den Versicherungsmakler Aon Risk Solutions politische Gefahren analysiert. "Extremistische Gruppen wie Boko Haram und der IS profitieren davon, wenn Grenzen durchlässig sind und Institutionen schwach." Das sieht auch Ian Bremmer so, der Gründer der Beratungsfirma Eurasia Group. "Das günstige Öl befördert den Terror", sagt er. Der Absturz der Rohstoffpreise hat viele Staaten ausgezehrt. Ihre finanziellen Mittel schrumpfen, um Terroristen zu jagen, Kriminelle einzusperren und soziale Unruhen abzuwenden.

Im Fall des IS gibt es aber auch eine Kehrseite: Die Gruppe hat selbst Bohrtürme unter ihrer Kontrolle und erhält Geld aus der arabischen Welt – tiefe Ölpreise erschweren daher die Terrorfinanzierung.

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120 Dollar müsste das Fass kosten, damit Nigerias Haushalt ausgeglichen ist. Venezuela benötigt 125 Dollar, Mexiko rund 80. In der vergangenen Woche kostete Öl der Sorte Brent um die 40 Dollar. Zu wenig – aber ein Hoffnungsschimmer. Denn zu Beginn des Jahres waren die Preise zeitweise unter 30 Dollar gefallen. Verbraucher leiden darunter, wenn Rohstoffe teurer werden, weil sie dann im Alltag mehr Geld ausgeben müssen, etwa zum Tanken oder Heizen – für die Sicherheit der Welt hingegen ist das eine positive Entwicklung.

Seit Juni 2014 fallen die Preise, weil die Ölmächte ungezügelt fördern, allen voran Saudi-Arabien und die USA. Sie haben sich in einen ruinösen Preiskrieg verstrickt. Niemand will die Quoten als Erster reduzieren, aus Angst, dann Marktanteile zu verlieren. Die Saudis und die Amerikaner können niedrigere Notierungen über einen längeren Zeitraum aushalten – kleinere Produzenten nicht. Venezuela etwa steht vor dem Kollaps. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Land in den nächsten fünf Jahren pleitegeht, liegt bei 99 Prozent.

Im Teufelskreis

Die taumelnden Staaten suchen Ersatz für die entgangenen Einnahmen. Sie entscheiden sich häufig für Steuererhöhungen – und machen es damit nur noch schlimmer. Es ist ein Teufelskreis. "In vielen Ländern dürften höhere Steuern zu weiteren politischen Spannungen führen", sagt Stawikowski, die Aon-Analystin. Weil das Unternehmen Versicherungspolicen an Firmen vermittelt, die in gefährlichen Regionen aktiv sind, beobachtet es die Gefahrenlage sehr genau. Es gibt kaum etwas, das Unternehmen so verabscheuen wie politische Unsicherheiten. Der Ölpreis ist Stawikowski zufolge für Investoren im Irak, in Zentral- und Westafrika, in Libyen, Russland und Venezuela das größte Risiko in diesem Jahr.

Und womöglich auch noch länger. Die Chancen, dass der Ölpreis bald wieder die benötigten Schwellen erreicht, dass er auf 80, 120 oder sogar 125 Dollar steigt, sind gering. Die Kurse dürften niedrig bleiben, trotz aller politischen Initiativen. Saudi-Arabien und Russland haben sich gerade darauf verständigt, die Förderung auf dem Januar-Niveau einzufrieren – ein Rekordwert, aber immerhin. Venezuela redete kürzlich auf den Iran ein, sich dem Deal anzuschließen. Zugleich schlossen amerikanische Ölfirmen den dritten Monat in Folge Bohrtürme, wie aus Daten des Unternehmens Baker Hughes hervorgeht. All das hat den Preis zuletzt steigen lassen.

Auf lange Sicht dürften die Initiativen aber wenig bewirken. Selbst wenn die globale Überproduktion von heute auf morgen gestoppt würde – die hohen Bestände in den Lagern dürften die Preise weiterhin drücken. In Amerika quellen die Tanks fast über. 600 Millionen Barrel kann das Land bevorraten, 517 Millionen davon sind belegt.

Am Ende dieses Jahres könnten die Bestände der westlichen Welt bei 3,6 Milliarden Barrel liegen, wie Daten der Internationalen Energieagentur zeigen – mehr als eine Milliarde höher als noch Ende 2014. Die Experten rechnen damit, dass es bis 2021 dauert, ehe der Überschuss abgebaut ist. Was die Petromächte auch tun, welche Abmachungen ihre Diplomaten auch aushandeln: Gegen die vollen Tanks kommen sie nicht an. Die Tanks bedeuten die Ohnmacht der Politik.

Quelle : welt.de

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