Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat deutliche Kritik an den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten geübt. Gleichzeitig forderte er konsequente und bundeseinheitliche Maßnahmen. "Es braucht einen Lockdown, um die aktuelle Welle zu brechen und dauerhaft und stabil unter 100 zu kommen", so Spahn. Das könne "eine Brücke bauen in eine Phase, um dann testgestützt mehr zu öffnen". Erst deutlich unter einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 sei es möglich, mit Hilfe von Tests zu öffnen, "um dann mit dem Impfen im Sommer den entscheidenden Unterschied zu machen".
Der Gesundheitsminister zeigte kein Verständnis für die Uneinigkeit der Bundesländer. "Wenn manche schon die Einschätzung der Lage nicht teilen, dann wird es natürlich schwierig", sagte er mit Blick auf die Ministerpräsidentenkonferenz, die eigentlich für Montag geplant war, nun aber voraussichtlich nicht stattfinden wird.
Eine kurze Rücksprache am Montag anstelle der MPK werde nicht reichen, sagte Spahn unter Anspielung auf eine entsprechende Äußerung von Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller (SPD). Er könne sich über manche Meinungsäußerung "nur wundern", fügte der CDU-Politiker hinzu. "Ich empfehle uns allen, den Parteienstreit - Wahljahr hin oder her - herunterzufahren und uns auf das Wesentliche zu konzentrieren, die Bekämpfung der Pandemie", so Spahn.
Mehr Macht für Bund "mögliche Option"
In der Diskussion um mehr Befugnisse für den Bund sagte Spahn, im Zweifel sei er immer für die schnellstmögliche Variante - das wäre ein einheitliches Handeln der Länder. Wenn das nicht gehe, sei eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes "eine mögliche Option". Damit könne dem Bund erstmals in der Pandemie das Recht gegeben werden, Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung einzuführen. "Das wäre eine fundamentale Änderung", sagte Spahn, aber es sei angesichts der aktuellen Situation "eine zu diskutierende Option".
Deutlich wandte Spahn sich gegen den Eindruck, die Zahlen seien nicht so dramatisch. "Die Zahlen, die wir heute sehen, spiegeln höchstwahrscheinlich nicht das wahre Infektionsgeschehen wider." Diese Zahlen sollten das politische Handeln daher nicht leiten. "Die Ärztinnen und Ärzte, die Pflegekräfte, sie schlagen zu Recht Alarm." Wenn die Entwicklung so weitergehe, drohe eine Überlastung des Gesundheitssystems. "Wir müssen die dritte Welle brechen, und zwar möglichst rasch." Es gebe schon wieder fast 4500 Patienten auf Intensivstationen. "Wenn es so weitergeht, sind es zu viele für unser Gesundheitssystem."
In den Betrieben müsse es zum Alltag gehören, dass Beschäftigte zwei Mal pro Woche getestet werden. Zur Not müsse es auch Ausgangsbeschränkungen geben. "Das sind noch mal schwere Wochen", so der CDU-Politiker. "Umso mehr ist ein entschlossenes und gemeinsames Handeln wichtig."
"Die Intensivstationen füllen sich rasant"
Der Chef des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, ergänzte in derselben Pressekonferenz: "Wir können diese Welle nicht mehr verhindern, aber meine Hoffnung ist, dass sie wir zumindest abflachen können, um die Folgen zu vermindern."
Wegen der Osterfeiertage erwartet Wieler erst ab Mitte nächster Woche wieder verlässliche Infektionszahlen. Das bedeute aber nicht, dass der aktuelle Stand der Pandemie unklar sei. Entscheidend sei die Situation in den Krankenhäusern. Dort sei die Lage "sehr, sehr ernst". Immer mehr Menschen müssten wegen Covid-19 behandelt werden. "Die Intensivstationen füllen sich rasant." Es sei absehbar, dass die Krankenhäuser und Intensivstationen in den kommenden Wochen massiv belastet sein werden. "Wir alle haben die Pflicht, das zu verhindern."
Wenn die Mobilität nicht stärker eingeschränkt werde, "dann werden die Zahlen steigen und dann werden viele Menschen ihr Leben verlieren in unserem Land". Auf die Frage, was der aktuelle Verzicht auf politisches Eingreifen durch Absage der MPK bedeute, betonte Wieler: "Jeder Tag, den wir später handeln, verlieren wir Menschenleben."
Inzwischen hätten 14,7 Prozent der Deutschen eine Erstimpfung und fast 6 Prozent den vollständigen Schutz erhalten, sagte Spahn. Er bekräftigte, dass alle, die die zweite Impfdosis erhalten hätten, zwei Wochen später so behandelt würden, als hätten sie gerade einen Test gemacht. Beim Reisen könne die Testpflicht für vollständig Geimpfte weitgehend entfallen. Zudem kündigte Spahn an, nächste Woche würden auch der Bundestagsärztin Astrazeneca-Impfdosen zur Verfügung gestellt, um über 60-jährige Abgeordnete zu impfen.
Quelle: ntv.de, hvo/rts/dpa/AFP
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