Deutschland: Der Feind in meiner Schule

  16 September 2015    Gelesen: 800
Deutschland: Der Feind in meiner Schule
Zehntausende Kinder werden jede Woche von Mitschülern gemobbt, die Ängste, Leiden und oft aussichtslosen Kämpfe von jungen Menschen und zeigt Wege aus der Isolation auf.

Die Melodie des Refrains stammt vom Gute-Laune-Hit „Africa“ der Band Toto. Aber die albernen Micky-Maus-Stimmen trällern Böses. „Du bist und bleibst das alte Arschgesicht“, jaulen sie. Der folgende Sprechgesang hat verheerendes Kaliber. „Hier zu überleben wird für dich ziemlich schwer – ich rate dir, gib dein Leben lieber her“, rappt eine Stimme im Kanack-Slang. „Geh in den Wald, und nimm dir ein Strick – lass dich einfach fallen, und brich dir dein Genick“, presst der Möchtegern-Macho heraus und droht für den Fall des Widerspruchs: „... dann nehm ich meine Knarre, leg den Lauf an deine Stirn – drücke einfach ab und jag ne Kugel in dein Gehirn.“

Dutzende Mitschüler hatten den Hass-Rap gegen den Schüler Peter R. Mitte Februar beim Internet-Portal MySpace gehört, auf Handys heruntergeladen und an Klassenkameraden weitergeleitet. Der 17-jährige Adressat des Songs selbst allerdings war ahnungslos, als er an jenem Montag in die Berliner Johann-Georg-Halske-Oberschule kam. Er bemerkte wohl, dass mehr als sonst über ihn getuschelt wurde. „Kriegst du noch was mit?“, pflaumte ihn schließlich ein Mitschüler an und erzählte ihm von der Todesdrohung im Internet. Erst zu Hause hörte Peter das Machwerk zusammen mit den Eltern. Seit jenem 16. Februar traute sich der Junge nicht mehr in die Realschule.

Jeder fünfte Schüler berichtet von Schlägen

An Deutschlands Schulen werden täglich Tausende Jungen und Mädchen von Klassenkameraden geschnitten, gehänselt, geschlagen sowie persönlich oder über Mobiltelefone und Internet-Portale beschimpft, gedemütigt, bedroht. Mobbing (aus dem Englischen, bedeutet: sich gegen Einzelne zusammenrotten) ist an Schulen „ein ernst zu nehmendes Problem“, lautet das Ergebnis einer Studie, die Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) Mitte März vorstellte. In seinem Auftrag hatte das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen 44 610 Fünfzehnjährige zu ihren Erfahrungen als Opfer und Täter von Gewalt befragt. 43 Prozent gaben an, von ihren Mitschülern gehänselt zu werden. Jeder fünfte berichtete von Schlägen.

Deutschland liegt weltweit an der Spitze

Eine deprimierende Erkenntnis erlangte Wolfgang Melzer, Professor für Schulpädagogik an der TU Dresden. Er gehört zu einer Forschergruppe, die für die Weltgesundheitsorganisation den Einfluss von Schule auf den Gesundheitszustand von 20 000 Kindern in Deutschland untersucht hat. „Was Mobbing betrifft, liegen wir im internationalen Ranking an der Spitze.“

Ausgrenzung und Keile gab es unter Schülern immer schon. Was Experten aber heute unter dem Anglizismus Mobbing zusammenfassen, ist mehr als simple Prügelei. Kinder und Jugendliche haben die alten Ränkespiele perfektioniert und zum Psychoterror pervertiert. „Das zeigt eine Form der Verrohung dieser Generation“, konstatiert Reinhold Jäger, Psychologe und Professor am Zepf in Landau. Der Münchner Kinder- und Jugendpsychiater Franz Joseph Freisleder beklagt eine „mangelnde Rücksicht unter den Schülern“. Viele hätten „scheinbar jede Hemmschwelle, anderen Leid zuzufügen, verloren“. Mobbing meint den „vorsätzlichen heimtückischen Angriff auf das soziale Ansehen und die seelische Gesundheit der Zielperson“. So definiert die „Berlin-Brandenburger Anti-Mobbing-Fibel“ für Lehrkräfte den Tatbestand. Er ist erfüllt, wenn das Opfer allein einem oder mehreren Gegnern ausgeliefert ist, wenn es über Wochen und Monate regelmäßig drangsaliert wird und das Martyrium aus eigener Kraft nicht beenden kann.

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