“Haben Sie etwas gegen Flüchtlinge?“ – “Ja, Pistolen“

  17 März 2016    Gelesen: 920
“Haben Sie etwas gegen Flüchtlinge?“ – “Ja, Pistolen“
Neonazi-Propaganda, Rassismus, Hitlergrüße: In 230 Fällen werden Bundeswehrsoldaten rechtsextremer Handlungen verdächtigt. Die Linke glaubt: Wegen Personalmangels duldet die Truppe Neonazis bei sich.
Nostorf-Horst in Mecklenburg-Vorpommern – im September 2015 wurde hier mithilfe der Bundeswehr eine vorläufige Unterkunft für Flüchtlinge eingerichtet. Um ihre Hilfe besser zu koordinieren, nutzten die Soldaten eine WhatsApp-Chatgruppe. Dort tauchte am 13. November 2015 um 20.12 Uhr folgender fiktiver Dialog auf, den einer von ihnen gepostet hatte:

"Was halten Sie von Flüchtlingen?" – "Abstand."

"Ich wollte wissen, wie Sie Flüchtlingen gegenüberstehen?" – "Mit dem Gewehr im Anschlag."

"Haben Sie etwas gegen Flüchtlinge?" – "Ja, Pistolen, Maschinengewehre, Handgranaten."

"Mein Gott! Machen Sie sich denn gar nichts aus den armen Menschen?!" – "Doch natürlich. Handtaschen, Portemonnaies, Stiefel."

Der Soldat, der die Chatnachricht verfasst hatte, wurde unmittelbar aus der Flüchtlingsunterkunft abkommandiert. Sein Vorgesetzter beantragte zunächst nur einen siebentägigen Disziplinararrest. Das zuständige Truppendienstgericht lehnte dies allerdings ab. Stattdessen erhielt der Soldat eine Geldstrafe und wurde zwei Monate später aus der Bundeswehr entlassen.

Der Fall ist einer von 230 rechtsextremistischen Verdachtsfällen innerhalb der Bundeswehr, die der Militärische Abschirmdienst (MAD) aktuell bearbeitet. Das geht aus einer Antwort des Verteidigungsministeriums auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (Linke) hervor, die der "Welt" vorliegt.

Demnach gab es im Jahr 2015 insgesamt 149 neue Hinweise auf Rechtsextremisten, Rassisten und Antisemiten im deutschen Militär. Im laufenden Jahr 2016 gab es bereits 22 Vorkommnisse. Die übrigen Verdachtsfälle stammen noch aus den Jahren davor; sie befinden sich weiter in Bearbeitung.

Es geht dabei mehrheitlich um Propagandadelikte, rassistische Beleidigungen, das Zeigen des sogenannten Hitlergrußes, Verschicken von Fotos mit neonazistischen Inhalten oder volksverhetzende Äußerungen bei Facebook oder in Handychats.

Dienst nur in vier Fällen vorzeitig beendet

Insgesamt mussten im vergangenen Jahr allerdings nur 19 Soldaten aufgrund solcher Vorgänge vorzeitig ihren Dienst bei der Bundeswehr beenden. Nur in vier Fällen will der MAD tatsächlich Rechtsextremisten in der Truppe identifiziert haben.

Dabei handelt es sich um einen NPD-Funktionär, einen zivilen Wachmann, der ebenfalls Mitglied der NPD ist, einen Zeitsoldaten mit einer rechtsextremistischen Tätowierung und einen freiwilligen Wehrdienstleistenden, der gleichzeitig Mitglied in einer rechtsextremen Kameradschaft war. Sie wurden nach Angaben des Verteidigungsministeriums inzwischen aus dem Dienst entlassen oder in den vorzeitigen Ruhestand versetzt.

In anderen Fällen konnten Soldaten nach Disziplinarstrafen und Bußgeldzahlungen ihren Dienst fortführen. Bei einigen Soldaten wurden die Ermittlungen aber auch an die jeweilig zuständige Staatsanwaltschaft übergeben.

Linke: Nazis werden wegen Personalmangel toleriert

Aus Sicht der Bundestagsabgeordneten Jelpke rächt sich hier eine Personalpolitik der Bundeswehr, die angesichts des großen Personalmangels teils Zugeständnisse bei den Rekruten mache: "Es darf nicht sein, dass die Bundeswehr ihre Nachwuchsprobleme dadurch löst, dass sie Nazis in ihren Reihen duldet und ihnen gar Zugang zu Waffen gewährt", kritisiert die Linke-Politikerin. Bei der Bekämpfung von Rechtsextremisten in der Truppe dürften keine Abstriche gemacht werden.

Es sei absolut unverantwortlich, kritisiert Jelpke weiter, dass Soldaten, "die ,Gedankenspiele` über das ,Jagen von Negern` anstellen und Parolen wie ,Neger abschlachten` rufen, auch weiterhin im Rahmen von Ausbildungen Zugriff auf Schusswaffen" hätten.

Schon heute herrscht bei der Bundeswehr ein großer Fachkräftemangel. Laut Plan der Bundesregierung soll die Belegschaft trotzdem bis 2017 von derzeit 178.000 auf 185.000 anwachsen.

Der MAD darf seit dem Aussetzen der Wehrpflicht im Jahr 2011 keine Bundeswehrbewerber vor ihrer Einstellung auf extremistische Bezüge überprüfen. Eine Gesetzesänderung soll dies künftig ermöglichen. Mit dem geplanten "Soldateneinstellungsüberprüfungsgesetz" sollen Bundeswehranwärter nach Informationen der "Welt" bald schon routinemäßig in den Datenbanken von Verfassungsschutz und Polizei abgefragt werden.

Quelle : welt.de

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