Zuerst wird "der Bürger" direkt befragt, und zwar von der Bundesregierung. Steht die Volksmeinung fest, wird daraus ein Gesetz gezimmert. Und dann können die gewählten Volksvertreter im Parlament ja mal sehen, ob sie sich noch trauen, gegen die regierungsamtlich ermittelte Volksmeinung zu stimmen.
Hiernach sieht es derzeit beim "Klimaschutzplan 2050" aus, den die Bundesregierung noch vor der Sommerpause zum Gesetz machen will. Sein Ziel ist es, das Verbrennungsprodukt Kohlenstoffdioxid (CO2) bis zur Mitte des Jahrhunderts fast völlig aus dem Leben zu verbannen.
Weil die "Dekarbonisierung" des Landes aber Autofahrern, Hausbesitzern, Mietern und Gewerbetreibenden viel abverlangt – zuerst viel Geld –, setzte die Bundesregierung einen sogenannten Bürgerdialog auf, um vorab schon mal die "Akzeptanz" zu erhöhen. Nach einer telefonischen Zufallsauswahl wurden Ende vergangenen Jahres 472 Bürger ermittelt, die einen "Querschnitt der Bevölkerung" darstellen sollten. Und die durften dann Vorschläge machen.
Selbst Umweltaktivisten wird flau
Die Liste der Bürgerwünsche liegt jetzt bei Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) auf dem Tisch. Es ist ein Katalog klimapolitischer Grausamkeiten geworden, der Wirtschaftsvertretern kalte Schauer über den Rücken jagt: CO2-Steuern, neue Brennstoffsteuern, Ökoabgaben für die Industrien, Tempolimit 120 auf der Autobahn, Sanierungszwang für Hausbesitzer.
Selbst Umweltaktivisten wurde angesichts des Klimaschutz-Furors an der Basis flau im Magen: In einem Brief an Hendricks riefen Greenpeace, WWF und Oxfam dazu auf, mit dem Klimaplan "den Kohleausstieg bis spätestens 2035 gesetzlich zu verankern". Nur: Das Volk will laut Bürgerdialog schon 2020 das Ende aller Braunkohletagebaue und -kraftwerke.
Dient es dem Klimaschutz, wären demnach Zehntausende Arbeitslose in der Lausitz und dem Rheinischen Braunkohlerevier hinzunehmen. Auch die Vorstellung, innerhalb von vier bis sechs Jahren mit Braunkohle und Atomkraft 40 Prozent der deutschen Kraftwerkskapazitäten per Regierungsbefehl auszuknipsen, schreckte im Bürgerdialog niemanden: 38 Kommentare stimmten dafür, zwei enthielten sich, drei waren dagegen.
Scharfe Kritik aus der Wirtschaft
Nun kann man sich ja viel wünschen. Aufgabe der Politik wäre es, das Machbare herauszufiltern. Doch dazu bleibt kaum Zeit: Obwohl der "Klimaschutzplan 2050" einen umfassenden Regelungsanspruch für alle Sektoren der Volkswirtschaft behauptet, soll das Ganze in rund drei Monaten durchs Parlament sein. Wirtschaftsvertreter sehen nicht, wie so schnell aus der Wunschliste rationale Politik werden könnte. Sie selbst seien jedenfalls kaum gefragt worden.
Die im Verband ViK organisierte energieintensive Industrie klagt etwa, dass von 16 eigenen Vorschlägen nur zwei in den Endkatalog aufgenommen wurden – von den Bürgervorschlägen jedoch alle. Der Bundesverband der deutschen Industrie, die Industrie- und Handelskammern sowie Handwerksverbände brachten in einem Brief an Hendricks ihre "Irritation über den Verlauf des Prozesses zum Ausdruck".
Es fehlten bei den Vorschlägen jegliches "Preisschild" und jegliche Folgenabschätzung. Stattdessen drohe das "Zurückfallen in eine Nationalisierung und sogar Regionalisierung der Klimapolitik". Der Verband der Automobilindustrie erklärte, er vermisse bei den Vorschlägen eine "Kosten-Nutzen-Analyse" vor dem Hintergrund, dass "China in drei Wochen so viel CO2 emittiert wie der europäische Pkw-Verkehr in einem ganzen Jahr".
Bundesumweltministerin Hendricks bemühte sich am Samstag, die hochfliegende Erwartungen zu dämpfen: "Ich kann nicht versprechen, dass wir alle Vorschläge übernehmen werden" erklärte sie nach der Besprechung der Vorschläge. "Aber sie geben uns wichtige Hinweise darauf, was gesellschaftlich mehrheitsfähig ist."
Man kenne heute noch nicht alle Klimaschutz-Lösungen für das Jahr 2050. "Darum wollen wir die Gesellschaft auch in Zukunft immer wieder nach guten Ideen und Vorschlägen fragen", so Hendricks: "Der Klimaschutzplan ist ein lernender Prozess."
Tags: