Wie Flüchtlinge im Nahen Osten Deutschland sehen

  21 März 2016    Gelesen: 741
Wie Flüchtlinge im Nahen Osten Deutschland sehen
Grimme-Preisträger Constantin Schreiber hat im Libanon sein Buch "Marhaba, Flüchtling!" auf Arabisch vorgestellt. Bei seiner Lesung im Flüchtlingslager wird klar, welch verklärtes Bild die Menschen dort von Deutschland haben.
Fatima, aus Syrien, lebt seit einem Jahr in einem Flüchtlingslager im Libanon. Sie wurde auf der Flucht verletzt und sitzt in einem rostigen, klapperigen Rollstuhl. "Möchtest Du nach Deutschland?" frage ich. "Ja", antwortet Fatima. "Warum?". "Jeder bekommt dort einen elektrischen Rollstuhl." "Woher weißt du das?". "Das hat mir mein Cousin am Telefon erzählt." Ein Dialog von sehr vielen, wie ich sie im Flüchtlingslager al Audi in der Bekaa-Ebene des Libanon geführt habe. Al Audi ist eines der besseren Lager im Land, deshalb durften wir überhaupt als Journalisten dorthin. In anderen Gegenden, in anderen Lagern, etwa weiter nördlich direkt an der Grenze zu Syrien, sind die hygienischen Verhältnisse viel schlechter, viel mehr Menschen leben dort auf engstem Raum zusammen.

Die ersten, die nach al Audi kamen, konnten sogar einige der Container beziehen, die dort aufgestellt wurden. Mahma hat an ihrem Container ein Handtuch angebracht. Es ist schwarz-rot-gold und darauf steht "Deutschland". "In letzter Zeit gab es immer wieder Demonstrationen gegen Flüchtlinge in Deutschland. Hast du davon gehört?" frage ich sie. "Nein. Aber ich bekomme auch nicht viel mit. Manchmal telefonieren ich, aber einen Fernseher habe ich hier zum Beispiel ja gar nicht."
"Das ist nicht Deutschland"

Das Telefon ist für die meisten Menschen hier Informationsquelle und Verbindung zur Welt da draußen, außerhalb des Camps. Gespräche mit Freunden und Familie, die es irgendwie schon geschafft haben nach Europa, erzählen davon, wie es denn nun ist in Deutschland. Doch manche Informationen schaffen es nicht bis in den Libanon.

Ich treffe Ahmed, der mit seinen beiden Kindern gerade auf dem Weg zum Suq ist, zum Marktplatz. So nennen sie den kleinen zubetonierten Ort im Zentrum des Lagers, um den herum sich in kleinen Wellblechhütten Cafes und Läden gruppieren. Ich zeige ihm ein Video auf meinem iPad. "Das sind Vorfälle in einer deutschen Stadt, die Clausnitz heißt", erkläre ich ihm. Ahmed entgegnet mir: "Das ist nicht Deutschland!" "Woher weißt du das?“ will ich wissen. "In Deutschland ist es ganz anders, das habe ich gehört", behauptet er felsenfest.
Die Menschen im Libanon lassen sich nicht beirren

Der Unterschied zwischen dem, was wir an Eindrücken aus Europa mitbringen und den Vorstellungen vor Ort könnten unterschiedlicher kaum sein. Deutschlands Ruf steht fest: Die deutsche Regierung heißt Flüchtlinge willkommen. Sie werden gut versorgt, die Menschen in Deutschland stehen hinter diesem Kurs. Demonstrationen? "Überall auf der Welt gibt es Menschen, die gegen etwas sind. Aber das ist doch eine winzige Minderheit in Deutschland." Ist die Antwort.
Aber wie kann es sein, dass Flüchtlinge, die bei uns leben, ganz offensichtlich in ihren Anrufen nicht von den Schattenseiten erzählen, die das Leben in Deutschland für viele von ihnen bereit hält? Keine Arbeit, Massenunterkünfte, wachsende Ablehnung von Seiten einiger Deutscher, das Wetter. Wir - das heißt das Kamerateam, das mit mir in dem Camp war, und ich - haben lange über die Gründe diskutiert. Meine Erklärung ist, dass, wer sein Leben riskiert hat, das Geld seiner ganzen Familie aufgebracht und sein altes Leben für immer hinter sich gelassen hat, sich und anderen nicht eingestehen will, dass es ein schlechtes Geschäft war. Dass es das alles nicht wert war. Dass nicht alles besser ist.

Und so verbreiten sich Sagen über Deutschland, die mit der Realität nicht mehr viel zu tun haben. Es wird sehr schwer sein, das Bild, das viele Tausend Menschen in den Flüchtlingslagern im Nahen Osten von Deutschland haben, zu ändern. Die Selfies der Kanzlerin, die unglaubliche Hilfsbereitschaft im vergangenen Jahr, die deutsche Politik, die in arabischen Medien "Bawab maftuha" - "offene Tore" - genannt wird. Das alles hat eine tragische Wirkung entfaltet. Leila, 78 Jahre alt, wollte schon einmal über das Meer nach Deutschland. Doch dann kam der Winter, die Überfahrt wurde noch gefährlicher als ohnehin schon. Leila wartet auf den Frühling, um es dann noch einmal zu versuchen. "Ist denn der Tod besser als das Leben?" frage ich sie und meine die Gefahren bei der Reise über das Meer. "Ja", sagt Leila, "manchmal ist der Tod besser als das Leben". Weil sie denkt, in Deutschland würde alles besser.

Quelle : bild.de

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