“Der IS ist literarisch uninteressant“

  28 März 2016    Gelesen: 644
“Der IS ist literarisch uninteressant“
Großschriftsteller? Ach was! Der peruanische Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa hat sein Leben und sein Werk der Freiheit gewidmet. Ein Besuch zum 80. Geburtstag in Madrid.
"Waren Paparazzi draußen?" Ganz beiläufig kommt die Frage, irgendwann an diesem Nachmittag, beim formvollendeten Kaffee-Nachschenken, als für ein paar Minuten weder Castro noch George Steiner, weder die Nobelpreiskollegen Günter Grass und V. S. Naipaul noch Spaniens amtierender Premier Mariano Rajoy das Gesprächsthema sind, sondern Mario Vargas Llosas neue Karriere als Held des Boulevards.

Keine Ausgabe der spanischen Hochglanz-Klatschzeitschrift "¡Hola!", die nicht Fotos von "Mario und Isabel" präsentiert: Der seit Langem in Madrid lebende Literaturnobelpreisträger beim Turteln und Yachthafen-Flanieren mit der ehemaligen Werbeikone, 1951 in Manila geborenen, Ex-Frau von Julio Iglesias und Mutter des Popstars Enrique Iglesias.

Wiedersehen mit Don Rigoberto

Letzten Sommer, als Mario Vargas Llosa nach fünfzig Ehejahren die Trennung von seiner Frau Patricia bekannt gegeben hatte, gab es im peruanischen Fernsehen sogar Liveschaltungen, eine Telenovela, kommentiert von katholischen Priestern: Wie wird die lebenskluge Patricia reagieren, wie die längst erwachsenen Söhne? Und er selbst, der bedeutendste lebende lateinamerikanische Romancier, dessen 2013 publizierter Roman den sprechenden Titel "Ein diskreter Held" trug? Das war ein Wiedersehen mit dem kultivierten Erotomanen Don Rigoberto aus dem "Lob der Stiefmutter". Jüngst freilich gab es auch die fulminante Abrechnung mit dem verflachten Kulturbetrieb, auf Deutsch erschienen als "Alles Boulevard".

Mario Vargas Llosa, jetzt weder oberkörperfrei wie auf den von "¡Hola!" geschossenen Strandfotos, jedoch auch nicht in tadellos sitzendem Anzug und Krawatte wie auf den Bildern mit der spanischen Königsfamilie, nestelt am Kragen seines karierten Hemdes, das kaum gealterte, markante Gesicht mit den schneeweißen Augenbrauen ein einziges Großer-Junge-Lächeln. "Nun ja, wenn man ein klein bisschen bekannt ist, suchen eben bestimmte Medien nach Sensationen. Ich hoffe, dass sie sich bald zu langweilen beginnen und dann Neues abgrasen. Gut so, und wenn ich höre, dass heute keine Fotografen draußen vor dem Tor waren …"

Kokettiert er – "ein klein bisschen bekannt"? Freilich war an diesem Nachmittag der deutsche Besucher der Einzige, der draußen Fotos gemacht hatte, in Madrids still-noblem Vorort Puerta de Hierro und entlang der von Botschaften gesäumten, sanft geschwungenen Avenida de Miraflores – diese ironischerweise benannt nach einem Viertel der peruanischen Hauptstadt Lima, Schauplatz zahlreicher Romane Vargas Llosas.

Fragen nach deutschen Freunden

Auf Straßenhöhe zwischen venezolanischer und algerischer Botschaft war plötzlich ein Auto herangesurrt und hatte gehalten, Leute vom Sicherheitsservice, die wissen wollten, ob man womöglich … Aber da hatte sich, dirigiert von welch Unsichtbarem auch immer, bereits das riesige metallene Nachbartor um ein paar Zentimeter geöffnet, und der Besucher konnte das neueste Domizil des Nobelpreisträgers betreten – die Villa der gegenwärtig abwesenden Señora Isabel, wo der von Pinien und Koniferen gerahmte weiße Kieselweg ein wenig an die Anfahrtszene in Hitchcocks "Rebecca" erinnert.

Anmutig und beinahe einschüchternd auch das großformatige Ölbild der in eine bordeauxrote Robe gewandeten Hausherrin, das im Bibliothekszimmer hängt, während darunter auf der Ledercouch Vargas Llosa – in Jeans und einfachen Mokassins ohne Socken – den deutschen Titel "Alles Boulevard" zu Fragen nutzt, die ihn interessieren: Sag, wie geht es den Berliner Freunden Peter Schneider und Hans Christoph Buch, hat nach dem Tod von Reich-Ranicki die deutsche Literaturkritik ebenso wie die spanische diesen verhängnisvollen Irrweg in Richtung "Service-Information" genommen und ästhetische Bewertungskriterien über Bord geworfen?

Verehrter Enzensberger

Und der verehrte Enzensberger, der im Vergleich zu Grass doch so intellektuell Quecksilbrige: Wie schade, dass seine Autobiografie "Tumult" noch nicht auf Spanisch übersetzt ist, also sag, was schreibt er zu Kuba, hatte man doch einst die gleichen Illusionen und nachfolgenden Enttäuschungen geteilt. Währenddessen: der sonore Gong einer Wanduhr, die von einem schattenhaft auf- und abtauchenden Hausangestellten angeknipsten Kristalllüster, die nun auch den etwas steifen Prunk der rückwärtigen Räume illuminieren.

Und dennoch, denkt der Besucher beim Anblick dieses zutiefst gelassenen Menschen, es ist ja fast wie einst in Berlin, wo Vargas Llosa große Teile seines in der Dominikanischen Republik spielenden, grandiosen und grausamen "Fest des Ziegenbocks" geschrieben hatte, inzwischen längst im Kanon des lateinamerikanischen "Dikatorenroman"-Genres.

Davon – über Literatur und Gewalt – hatte er damals berichtet, in einem dämmrigen, schlecht gelüfteten Keller-Tagungsraum in Pankow, dorthin gelockt vom Literaturwissenschaftler Richard Herzinger, der freilich bald irritiert sah, dass im Publikum nicht etwa die intellektuelle Elite der Dissidenten saß, sondern jene Banausenfraktion der DDR-Bürgerrechtler, die vom polyglott weltgewandten Gast lediglich Statements zu den Stasi-Akten erwartete.

Gleich zu Beginn hatte die einladende Institution den einstigen peruanischen Präsidentschaftskandidaten Llosa wurstig beschieden, dass sie kein Geld vorrätig habe für ein Taxi zurück von Pankow nach Charlottenburg, Vargas Llosa sich aber an der Rezeption eines bestellen könne. Reagierte der damals noch in London lebende Literaturstar pikiert?

Ideale und Terror

Im Gegenteil. Der hatte sich sofort – wie jetzt, nun in ganz anderem Rahmen – mit Vergnügen in einen Vortrag über die literarische Ausbeute gesellschaftlicher Radikalutopien gestürzt, im Vertrauen darauf, dass sein unprätentiöser Enthusiasmus ebenso packend war wie seine Bücher. Etwa die Romane "Der Krieg am Ende der Welt", "Tod in den Anden" oder "Maytas Geschichte", die vom Scheitern jener ins Terroristische abkippenden Ideale erzählten.

Wer also unter seinen Feinden und Neidern hatte die Mär aufgebracht, dieser Mann sei längst ein abgehobener Snob und eitler "Großschriftsteller"? Vargas Llosa, der im Kanu das Amazonasgebiet durchstreift hatte, um den "Geschichtenerzähler" zu schreiben, der für den Roman "Der Traum des Kelten" im Kongo unterwegs war auf den Spuren des irischen Kolonialismuskritikers Sir Roger Casement. Woher kommt das Ressentiment? Wirklich nur wegen der "¡Hola!"-Bildchen oder eher aufgrund seiner liberalen politischen Position, die Vargas Llosa bei Linken und Rechten gleichermaßen verhasst machte?

Nihilistischer Islamismus

Apropos. Könnte die Hybris des IS den Diktaturenkritiker ebenfalls zu einem Roman reizen? "Eher nicht. Die kommunistischen Regimes oder die linksradikale Guerilla hatte ja das Prinzip der Freiheit und Emanzipation gekidnappt. Das war perfide, massenmörderisch, aber – zynisch gesagt – aus literarischer Perspektive durchaus interessant. Aber welches Faszinosum geht von einem nihilistischen Islamismus aus, der bislang mehr muslimische als andersgläubige Menschenleben gefordert hat, der dem regressiven Ideal eines Kalifats mit Sklaven und institutionalisierter Frauenverachtung huldigt und den Tod anbetet?"

Also ein neuer Totalitarismus, während der greise Fidel Castro, der einst Vargas Llosa öffentlich als "gusano" (Wurm) bezeichnete, nun im Fernsehen anschauen muss, wie in Havannas Straßen Barack Obama bejubelt wird, während hier in der unmittelbaren Nachbarschaft, in der nahe gelegenen Botschaft von Venezuela, gerade der triste Schlussakt des autoritären Chávez-Maduro-Systems zur Aufführung gelangt? "Auf längere Sicht war und bin ich immer optimistisch, dass Freiheit sich durchsetzen wird. Aber ich habe mir nie Illusionen darüber gemacht, dass auch der Hydra der Menschenschinder immer wieder neue Köpfe wachsen. Sie werden nicht gewinnen, aber bis dahin können sie unzähligen Menschen Leid zufügen, was uns ein weiteres Mal verpflichtet, nicht vom Individuellen zu abstrahieren, niemals."

Und doch hatte man Vargas Llosa, der auch jetzt beim Gespräch niemals die Stimme erhebt oder bedeutungsvolle Mimik auffährt, in den letzten Jahrzehnten vorgeworfen, ein "neoliberaler Marktideologe" zu sein. War die internationale Finanzkrise von 2008 auch für ihn ein Schock gewesen? "Aber natürlich! Wobei ich, im Sinne von Adam Smith, Friedman und Hayek, doch eher ein `klassischer Liberaler` bin, der den Markt jenem Gesetz untergeordnet sehen will, das die internationalen Märkte und Großbanken offensichtlich nicht genügend respektieren. Wobei ich jedoch dem starken Staat als Allheilmittel misstraue, da er ja oft nur ein korrupter Mitspieler ist. Nein, aus der Gesellschaft heraus muss friedlicher Widerstand entstehen."

Sympathien für Ciudadanos

Gerade deshalb sympathisiert Vargas Llosa, längst auch spanischer Staatsbürger, weder mit den Konservativen noch mit der linkspopulistischen Podemos-Partei, sondern setzt seine Hoffnung in die sozialliberalen Zentristen der Ciudadanos und ihrer Nulltoleranz gegenüber dem Korruptionsübel. Und keine Lust, am Schreckbild einer angeblich von Immigranten, Minderheiten und politisch Korrekten kujonierten Gesellschaft zu pinseln.

"Wenn heute angebliche Zwänge beklagt werden … Nun, ich erinnere mich an den Präsidentschaftswahlkampf von 1990, als die damalige Regierungspartei meines Heimatlandes sogenannte Experten ins Fernsehstudio befahl, um sie Passagen aus meinem Roman `Lob der Stiefmutter` vortragen und rhetorisch fragen zu lassen, ob dieser Mario Vargas Llosa nicht im Grunde ein Perverser sei?"

Zum Abschied ein Scherz

Sein Lachen ist eher ein Kichern, wie abgeschaut dem kleinen Alfonsito, der einst seine Stiefmutter zu bezirzen trachtete. "Und nehmen Sie nur die Geschichte der Homosexuellen! Als ich Anfang der Sechzigerjahre zum ersten Mal nach London kam, galten diese noch als Kriminelle. Während Spanien unter einem Franco dahindümpelte, der dann noch bis zu seinem letzten Atemzug politische Gegner exekutieren ließ. Was hat sich seitdem alles zum Guten verändert!" Und sagt auch das ganz ruhig, keine Spur von großväterlicher Bräsigkeit.

Ein freier Mensch, denkt der Besucher, alles andere als ein Glamour-Greis. Zum Abschied noch ein Scherz, ironischer Sieg der Erinnerung an Pankow: "Soll ich ein Taxi rufen, aber welche Institution übernimmt die Kosten?" Übermütiges Gelächter, danach ein Blick zur Standuhr: Der bei Fragen nach seinem Privatleben sehr diskrete Held erwartet die Rückkehr von Señora Isabel.

Quelle : welt.de

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