Das würde der Fall von Rakka bedeuten

  02 April 2016    Gelesen: 822
Das würde der Fall von Rakka bedeuten
Mehr als zwei Jahre scheint die syrische Hauptstadt des IS uneinnehmbar. Nun marschieren gleich mehrere Armeen auf Rakka zu. Es wäre naiv anzunehmen, dass die Terrormiliz sich nicht auf den Verlust ihrer Hochburg vorbereitet hätte.
Der Fall der IS-Hochburg Rakka soll bevorstehen. Nicht heute oder morgen, doch von mindestens zwei Seiten sollen jetzt Truppen auf dem Weg sein: Von Norden kurdische Einheiten, von Südwesten her die syrische Regierungsarmee. Gleichzeitig planen Russland und die USA offenbar gemeinsam gegen den Islamischen Staat in Rakka zu kämpfen. Das meldete die russische Nachrichtenagentur Interfax. Eine solche gemeinsame Militäraktion wäre beispiellos.

Schon lange ist klar, dass Rakka eine Schlüsselrolle bei der Bezwingung des Islamischen Staates spielt. Erstmals war konkret die Rede davon, als Russland im Herbst vergangenen Jahres in den Syrienkrieg eintrat. Doch dann hatten die Russen an der Seite der Regierungsarmee offenbar erst einmal andere Prioritäten als den Kampf gegen den IS.

Nach der Rückeroberung Palmyras am vergangenen Wochenende kündigte die Armee von Präsident Baschar al-Assad an, nun tatsächlich Rakka ins Visier zu nehmen. Unterstützt werden dürfte sie wiederum von der russischen Luftwaffe, die auch jetzt schon regelmäßig Angriffe auf Rakka fliegt. Aktivisten berichten dabei immer wieder von zivilen Opfern.

Rakka steht für Willkür und Verbote des IS

Die einst eher unbedeutende syrische Provinzstadt Rakka ist wie Mossul im Irak zum Symbol geworden für Grausamkeit und Größenwahn des Islamischen Staates (IS). Die Dschihadisten hatten die Stadt bereits infiltriert, als die Terrormiliz es noch gar nicht zu internationalen Schlagzeilen gebracht hatte. In Rakka wurde das im Sommer 2014 ausgerufene Kalifat des IS Wirklichkeit, ein neuer Staat entstand dort mit eigener Armee, Geheimdienst, Gerichten, Schulen und Wirtschaft.

Doch von alldem weiß man bis heute nur Vages. Der IS hat seine Hauptstadt weitgehend abgeschottet. Nur was vom IS explizit für die Welt außerhalb inszeniert ist, soll hinausdringen. Doch ganz geklappt hat das nicht. Heimlich produzierte Videos vom Alltagsleben, Berichte von Taxifahrern und anderen, die relativ unbehelligt in die Stadt hinein- und wieder herauskommen, bestimmen das Bild der IS-Hauptstadt. Demnach herrschen Willkür und Verbote allenthalben. Frauen wurden aus dem öffentlichen Leben weitgehend verbannt. Im Wochentakt erlassen selbsternannte religiöse Führer irre Dekrete.

Hinzu kommen die Schilderungen ehemaliger IS-Kämpfer, denen die Flucht gelungen ist. Von ihnen weiß man, dass die rosigen Zeiten der Terrormiliz sich dem Ende zuneigen. Solchen Berichten zufolge verdient ein Söldner beim IS zwischen 100 und 1000 US-Dollar pro Monat. Längst kann die IS-Führung diese Löhne nicht mehr zahlen, auch bei den Zusatzleistungen für die Kämpfer wird gespart. Die Kronzeugenberichte zeugen von einem wirtschaftlichen und moralischen Niedergang des Kalifats. Nicht wenige Söldner, die anfangs hinter der Idee standen, haben sich angewidert abgewandt. Doch nur einem kleinen Teil gelingt die Flucht – mögliche Deserteure werden beim IS sofort umgebracht.

Was bleibt dem IS, wenn er kein Land mehr hat?

Man kann davon ausgehen, dass der IS bereits mit einem möglichen Verlust Rakkas rechnet. Die Aktivistengruppe "Raqqa is being slaughtered silently" meldete, die letzten verbliebenen christlichen Familien – etwa hundert Personen sollen es sein – würden nun daran gehindert, die Stadt zu verlassen. Bevor der IS kam, waren Tausende Christen aus der Stadt geflohen. Die Aktivisten vermuten, die Christen und Armenier sollten als menschliche Schutzschilde eingesetzt werden.

Würde Rakka vom IS befreit, wäre das ein schwerer Schlag für die Terrormiliz. Noch herber fiele der Schlag aus, wenn auch Mossul im Irak den Dschihadisten entrissen würde. Manche Beobachter vermuten, dass die Strategie dann vermehrt zu Anschlägen im Ausland drehen könnte. Als erstes Indiz dafür wurden die Attentate in Paris und Brüssel gesehen. Andere erwidern, Attentate im Ausland hätten schon immer zu den Plänen des IS gehört, unabhängig von den Expansionsplänen im Nahen Osten, die nun zu einem Ende gekommen zu sein scheinen.

Wie der IS mit so geschrumpftem Territorium weiter existieren würde, ist also schwer vorauszusehen. Sicher scheint, dass die Zurückdrängung des IS durchaus indirekt Auswirkungen auf andere Staaten haben wird. Immer mehr Kämpfer aus dem europäischen Ausland etwa kehren in ihre Heimatländer zurück und könnten Anschläge verüben – eine Gefahr, die lange bekannt ist, nun jedoch nicht nur wegen Brüssel neue Dringlichkeit erlangt hat. Entsprechende Drohungen gibt es zuhauf, erst in dieser Woche tauchten Bildmontagen auf, in denen auch Deutschland gedroht wurde. Sie wirkten allerdings reichlich dilettantisch.

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