"Es gibt ein Muster, das sich hier abzeichnet"

  26 Mai 2022    Gelesen: 488
  "Es gibt ein Muster, das sich hier abzeichnet"

Der aktuelle Ausbruch der Affenpocken zeigt bisher Ungewohntes: Erstmals stecken sich auch Menschen außerhalb Afrikas mit dem Virus an. Hat der Erreger sich womöglich verändert und besser an den Menschen angepasst? Schließlich sind Affenpocken seit den späten 1950er Jahren bekannt, doch bisher blieben sie in Afrika. Wird sich das nun ändern? Über die Gefahren einer scheiternden Eindämmung des Virus und den gefährlichen Trend zu tierischen Erregern spricht ntv.de mit dem Virologen und Zoonose-Experten Thomas Mettenleiter.

ntv.de: Herr Mettenleiter, die gemeldeten Affenpocken-Fälle weltweit mehren sich. Handelt es sich um einen neuen, gefährlichen Erreger, oder bekommt er lediglich mehr Aufmerksamkeit, weil die Menschheit nach der Corona-Pandemie sensibilisiert ist?

Thomas Mettenleiter: Affenpocken sind nichts Neues, dieses Pockenvirus ist seit 1958 bekannt. Die weitaus meisten Ausbrüche und Übersprünge auf den Menschen finden in Afrika statt, wo auch das natürliche Reservoir vermutlich in Nagetieren oder Hörnchenarten existiert. Allein in der Demokratischen Republik Kongo sind in den letzten Monaten über tausend solcher Fälle bekannt geworden. Neu ist aber, dass es auch außerhalb von Afrika zu Infektionsketten kommt. Es gab zwar schon kleinere Ausbrüche, 2003 zum Beispiel in den USA. Aber dass es jetzt diese Ausmaße angenommen hat, auch über unterschiedliche Kontinente hinweg, ist schon eine neuartige Situation. Offensichtlich hat es diesmal einen Menschen getroffen, der den Erreger aus Afrika wahrscheinlich in das Vereinigte Königreich gebracht hat, wo das Virus dann in eine bestimmte Population gelangte, die ihm jetzt eine leichtere Ausbreitung erlaubt.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat gesagt, es gäbe zwei mögliche Erklärungen für das neue Verbreitungsmuster. Eine sei, dass das Affenpocken-Virus womöglich besser an den Menschen angepasst sei. Sehen Sie Hinweise dafür?

Wir haben bisher nach meinem Wissen keine Hinweise darauf, dass sich in dem Virus genetische Veränderungen ereignet haben, die auf eine Anpassung an den Menschen schließen lassen. Aber solche Anpassungsvorgänge kommen bei diesen Erregern natürlich vor. Und je länger er in einer neuen Wirtspopulation zirkuliert, desto häufiger kommt es auch zu zufälligen genetischen Veränderungen, also Mutationen, die dann zu einem Anpassungsprozess führen könnten.

Wenn der aktuelle Ausbruch nicht unter Kontrolle gebracht wird, erhöht sich also die Wahrscheinlichkeit, dass das Affenpocken-Virus noch besser übertragbar wird?

Ja, das ist ein denkbares Szenario. Nicht das einzige denkbare, aber es ist sicherlich eines, das plausibel ist.

Könnte sich das Affenpocken-Virus auch so verändern, dass es sich wie Sars-CoV-2 per Aerosole über die Luft von Mensch zu Mensch überträgt? Derzeit geht man ja noch davon aus, dass für eine Übertragung enger körperlicher Kontakt notwendig ist, Kontakt mit Körperflüssigkeiten oder mit den typischen Hauterscheinungen.

Es kann durchaus sein, dass auch bei diesen Pockenviren eine Selektion auf bessere Übertragbarkeit über die Luft stattfindet. Allerdings beginnt die Ausscheidung dieser Viren mit dem Auftreten von Symptomen. Bei diesen Symptomen muss es sich zwar nicht gleich um Pusteln handeln, die den ganzen Körper bedecken, es können auch schon sehr kleine Läsionen sein. Aber auf jeden Fall gibt es eine klinische Ausprägung. Der besonders gefährdete Personenkreis sollte also ganz besonders auf solche Veränderungen achten. Und wenn so etwas auftritt, auch im Falle von Unsicherheiten, sollte man lieber den Arzt aufsuchen.

Als besonders gefährdet gelten derzeit Männer, die Sex mit anderen Männern hatten?

Ja, so sieht es im Moment aus. Das muss natürlich nicht so bleiben. Der Erreger könnte sich auch andere Wege suchen.

Karl Lauterbach hatte als andere mögliche Erklärung für den aktuellen Ausbruch ins Spiel gebracht, dass Menschen womöglich empfänglicher für das Virus geworden sind.

Auch da sehe ich momentan keine wirklichen Hinweise für. Etwa, dass sich Populationen auf einer grundsätzlichen genetischen Art und Weise verändert hätten. Was sich verändert hat, ist, dass sich der Erreger offensichtlich eine bestimmte Population erschlossen hat, die ihm die Ausbreitung erleichtert.

Als weiterer Faktor für eine leichtere Ausbreitung wurde bereits die Impfung gegen menschliche Pocken ins Spiel gebracht. Die schützt zwar gut gegen Affenpocken, lief aber in den 1980er Jahren aus. Sind jüngere Menschen, die nie gegen Pocken geimpft wurden, gefährdeter?

Das ist richtig. Nachdem die natürlichen Menschen-Pocken 1980 ausgerottet waren, sind die Impfungen eingestellt worden. Das begünstigt sicherlich die Ausbreitung eines verwandten Virus, wie des Affenpocken-Virus. Die Bevölkerungsgruppen, die noch einen Impfschutz gegen die klassischen Pocken haben, sind sicherlich zumindest zum Teil geschützt gegen die Affenpocken.

Die Affenpocken sind eine Zoonose, also eine Krankheit, die ihren Ursprung in Tieren hat und auf den Menschen übergesprungen ist. Sie als Zoonose-Experte warnen immer wieder vor den Gefahren solcher tierischen Erreger. Diese scheinen in den vergangenen Jahren häufiger für Probleme zu sorgen - Zikafieber, Mers und Sars zählen zu den Zoonosen, auch bei Covid-19 besteht die Möglichkeit, dass es sich um eine Zoonose handelt. Bestätigt der aktuelle Affenpocken-Ausbruch einen gefährlichen Trend?

In der Tat gibt es ein Muster, das sich hier abzeichnet. Es existiert ein natürliches Reservoir und es gibt einen Übersprung auf den Menschen, wobei wir bei den Affenpocken nicht genau wissen, wie und wo das stattgefunden hat. Aber wenn sich ein Erreger einmal ein neues Reservoir erschlossen hat, ist es wichtig, die Infektionsketten möglichst schnell zu unterbrechen. Wenn das nicht gelingt, kommt es zu solchen Ausbreitungsszenarien, wie wir es bei Sars-CoV-2 gesehen haben. Allerdings bin ich bei den Affenpocken optimistisch, dass die Infektionsketten unterbrochen werden können, weil es relativ klar ist, wie die Übertragung stattfindet. Und es ist auch relativ klar, was dagegen gemacht werden kann. Und im Notfall hilft bei den Affenpocken eine Ringimpfung mit Impfstoffen, die ja bereits vorhanden sind. Auch eine therapeutische Intervention steht bereits zur Verfügung. Beides hat bei Sars-CoV-2 eine Zeit lang gedauert. Von daher ist es derzeit ein deutlich besseres Szenario.

Was begünstigt den Übersprung auf den Menschen?

Es gibt dabei ganz unterschiedliche Faktoren und kein generelles Muster. Natürlich ist der Kontakt zu Wildtier-Reservoiren eine wichtige Grenzfläche. Denn der Erreger muss erst mal die Chance haben, von dort auf den Menschen überzuspringen. Das passiert sehr häufig über Nutztiere oder Haustiere, die näheren Kontakt zum Menschen haben, was eine Übertragung wahrscheinlicher macht. Aber es spielen auch die Globalisierung, der globale Handel und der globale Reiseverkehr eine Rolle. Die Pest hat im Mittelalter Monate gebraucht, um aus Asien nach Europa zu kommen, SARS-CoV-2 hat das in wenigen Wochen geschafft. Dazu kommen die Urbanisierung und das Vordringen des Menschen in Ökosysteme, die er bisher nicht oder zumindest nicht in diesem Ausmaß betreten hat. Der jeweilige Beitrag dieser verschiedenen Komponenten kann aber ganz unterschiedlich sein.

Wie viele Erreger schlummern noch in Wildtieren?

Nach groben Schätzungen geht man von mehreren 100.000 bis zu über einer Million Erreger aus, die noch unerkannt in Säugetieren schlummern. Es gelingt uns bis heute aber noch nicht, anhand genetischer Sequenzen abzuschätzen, wie viele davon wirklich zoonotisches Potenzial haben. Da sind wir noch ganz am Anfang. Aber ich glaube, die erwähnten Beispiele zeigen, dass es nicht nur neue Erreger sind, die Probleme machen, sondern durchaus auch bekannte Erreger, wie eben die Affenpocken.

Stehen wir am Beginn eines Zeitalters der Epidemien und Pandemien?

Das klingt ein bisschen alarmistisch. Epidemien und Pandemien sind Teil der Menschheitsgeschichte. Sobald die Populationsgröße ein bestimmtes Limit überschritten hat, kann es zu so etwas kommen. Durch das derzeitige Bevölkerungswachstum, wir gehen auf acht Milliarden Menschen zu, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Übersprüngen von Erregern kommt. Aus Sicht der Erreger gibt es im Moment fast nichts Besseres als die menschliche Population, denn sie ist hochmobil und hat die Eigenschaft, sich in Zentren zusammenzuballen. Bei Ameisen nennt man es Ameisenhaufen, bei Menschen Städte oder Metropolen. Covid-19 war nicht die erste Pandemie und wird definitiv auch nicht die letzte gewesen sein. Ob Pandemien aufgrund der genannten Faktoren nun häufiger werden, darüber wird diskutiert.

Sehen Sie die Menschheit denn institutionell, etwa mit Blick auf die WHO, und medizinisch gut vorbereitet auf weitere Pandemien?

Es ist immer die Frage, wie man gut vorbereitet definiert. Ich hoffe, dass wir besser vorbereitet sind, als wir das noch vor einigen Jahren waren. Und dass auch die Aufmerksamkeit höher ist. Ob das ausreicht, um in Zukunft eine beginnende Epidemie oder Pandemie zu stoppen? Das hängt meiner Meinung nach wesentlich nicht nur von der Reaktionsfähigkeit und der Infrastruktur auf der menschlichen Seite ab, sondern auch von den Eigenschaften des Erregers.

Mit Thomas Mettenleiter sprach Kai Stoppel.

Quelle: ntv.de


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