In Saporischschja werden Jodtabletten verteilt

  31 Auqust 2022    Gelesen: 498
  In Saporischschja werden Jodtabletten verteilt

Die Menschen im ukrainischen Saporischschja bereiten sich auf das Schlimmste vor: Seit Tagen werden an örtlichen Schulen Jodtabletten ausgegeben - für den Ernstfall. In die Angst vor der nuklearen Katastrophe mischt sich aber auch Hoffnung: Ein Team von Atomexperten ist bereits unterwegs.

Kateryna hat die Atomkatastrophe von Tschernobyl 1986 überlebt. Bis heute hat die 68-jährige Rentnerin Probleme mit der Schilddrüse. Jetzt bereitet sie sich mit den anderen Einwohnern der südukrainischen Stadt Saporischschja auf ein mögliches Unglück im nahegelegenen Atomkraftwerk vor, dem größten Europas. Während weltweit auf die Ankunft des Expertenteams der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in der Anlage erwartet wird, stehen die Menschen in Saporischschja für Jodtabletten an.

Die Gegend um das Kraftwerk ist in den vergangenen Wochen wiederholt beschossen worden, wofür Russland und die Ukraine sich gegenseitig die Schuld geben. Die IAEA-Mission soll unter Leitung von Behördenchef Rafael Grossi in den kommenden Tagen den Zustand des sechs Reaktoren umfassenden AKW überprüfen. Ein Autokonvoi der IAEA soll am Morgen von Kiew in Richtung Saporischschja aufgebrochen sein. Grossi hatte Anfang August vor der "sehr realen Gefahr einer nuklearen Katastrophe" gewarnt.

Kateryna hat zusammen mit dutzenden anderen Anwohnern ihre Jodtabletten in einer Schule abgeholt. Sie sollen die Gesundheitsrisiken der Strahlung im Falle einer Katastrophe abschwächen. "Die Bedrohung war sehr groß, aber wir haben überlebt", erinnert sich Kateryna an die Atomkatastrophe von Tschernobyl. "Jetzt haben wir sechs Reaktoren, nicht einen", gibt sie zu bedenken. Die Stadt Saporischschja liegt etwa 50 Kilometer Luftlinie von dem gleichnamigen Atomkraftwerk entfernt und ist seit Anfang März von russischen Truppen besetzt. In der Gegend gibt es anhaltende Kampfhandlungen.

Risiko von Schilddrüsenkrebs erhöht

Zusätzlich zum Beschuss des Kraftwerks wirft Kiew Moskau vor, die Anlage zur Lagerung schwerer Waffen zu nutzen und um die 500 Soldaten dort stationiert zu haben. Der Kreml beharrt jedoch darauf, lediglich Sicherheitspersonal vor Ort zu haben. Vergangene Woche wurde das Kraftwerk erstmals in seinem 40-jährigen Bestehen kurzzeitig vom ukrainischen Stromnetz getrennt, nachdem die letzte funktionierende Starkstromleitung beschossen wurde. Die ukrainische Atombehörde Energoatom warnte, es bestehe die Gefahr, dass "radioaktive Substanzen freigesetzt werden".

Sollte es zu einem ernsten Zwischenfall in dem Kernkraftwerk kommen, würden radioaktive Stoffe in die Atmosphäre gelangen, darunter radioaktives Jod. Beim Einatmen kann es das Risiko für Schilddrüsenkrebs erhöhen - ein Effekt, der nach Tschernobyl vielfach beobachtet wurde. Die Einnahme von Tabletten mit nicht-radioaktivem Jod soll verhindern, dass sich das radioaktive Jod in der Schilddrüse anreichert, so dass es auf natürlichem Weg über den Urin ausgeschieden wird.

Auch 1500 Kinder erhalten Jodtabletten

Um das Atomkraftwerk Saporischschja haben rund 13 Schulen Tabletten ausgegeben. Ärzten zufolge sollen sie an alle Menschen verteilt werden, die in einem Radius von 50 Kilometern um die Anlage leben. Bisher haben offiziellen Angaben zufolge mehr als 5000 Einwohner der Stadt Saporischschja ihre Tabletten abgeholt, darunter mehr als 1500 Kinder. Elena Karpenko, Krankenschwester am Kinderkrankenhaus von Saporischschja, erklärt: "Die Tablette wird bei Gefahr genommen, wenn Alarm gegeben wird."

Am Wochenende haben Rettungsdienste in Saporischschja Evakuierungen sowie das Dekontaminieren von radioaktivem Staub geübt. Die Stadt hat inzwischen einen Vorrat von zwei Tonnen einer speziellen Dekontaminierungslösung angelegt. Im Katastrophenfall werden zwei Sirenen ertönen, um die Einwohner zu warnen: Einem ersten Alarm folgt 24 Stunden später ein zweiter.

Der örtliche Gesundheitsvorsteher Taras Tyschtschenko erklärt den zeitlichen Abstand: "Vielleicht erreicht die radioaktive Wolke nicht den Bereich, wo Menschen sind." Zum Zeitpunkt des zweiten Alarms sei "eindeutig, wie weit die radioaktive Wolke sich ausgebreitet hat", führte er fort. Bis dahin lägen alle Informationen über sichere Gebiete und Evakuierungsstandorte vor.

Quelle: ntv.de, Marina Moiseyenko, AFP


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