Dieses Wahlergebnis muss ein Wendepunkt sein

  24 Februar 2025    Gelesen: 67
  Dieses Wahlergebnis muss ein Wendepunkt sein

Das Bundestagswahlergebnis hat nicht nur die Zahl der AfD-Mandate fast verdoppelt. Es beschert ihr auch mehr Redezeit, mehr Mitarbeiter, mehr Geld und mehr Einfluss. Was daran so schlimm ist? Sehr viel.

Ob man die AfD gefährlich oder gut findet, hängt vom politischen Standpunkt ab. Die in der AfD verbreitete Vorstellung einer "Remigration" von deutschen Staatsbürgern beispielsweise mag Leuten keine Angst machen, die annehmen, dass sie und ihr Umfeld von Rassismus nicht betroffen wären. Wer glaubt, dass "die Altparteien" das Land in den Untergang führen, wird ohnehin jede Kritik an der AfD als überzogen abtun.

Gefährlich ist die Partei trotzdem. Ökonomen außerhalb der AfD gehen davon aus, dass Populisten in Regierungsverantwortung schlecht für die wirtschaftliche Entwicklung sind. "Die Wirtschaftspolitik der AfD führt in die Katastrophe", sagt DIW-Chef Marcel Fratzscher. Arbeitgeber sehen das ähnlich: "77 Prozent der Unternehmenslenker in Deutschland erkennen im AfD-Erstarken ein Risiko 'für den Bestand der Europäischen Union und des Euros'; lediglich 3,4 Prozent eine Chance", notiert das Institut der deutschen Wirtschaft.

"Faktisch führt eine Regierungsteilnahme von rechtspopulistischen Akteuren zu einer Reformstarre auf den zentralen, relevanten Problemen", erläutert der Politologe Timo Lochocki im Interview mit ntv.de. "Unsere Wirtschaft würde stagnieren, wir würden alle bald deutlich ärmer."

"Verständigung nach Ost und West"

Es ist nicht nur die Wirtschaft. Jeder kann sehen, was Rechtspopulisten machen, wenn sie an der Macht sind: Sie reden, wie US-Vizepräsident J.D. Vance unlängst in München, über Meinungsfreiheit und Demokratie und wickeln zu Hause Gewaltenteilung und Rechtsstaat ab.

Mit der Delegitimierung des Rechtsstaats - eine Voraussetzung, wenn die späteren Attacken erfolgreich sein sollen - ist die AfD jetzt schon beschäftigt: Das, "was Gerichte irgendwie von sich geben", dem könne sie "überhaupt nichts mehr beimessen", sagte AfD-Chefin Alice Weidel kürzlich der "Bild"-Zeitung. Solche Sprüche sind Programm: "Über das ethnonationalistische Konzept hinaus beobachten wir, wie die Partei zu einem fundamentalen Umbau des Staates ansetzt", sagt der Verfassungsrechtler Matthias Goldmann.

Nicht nur Donald Trump und seine autoritäre MAGA-Bewegung sind für die AfD ein Vorbild. Russland ist laut AfD-Wahlprogramm ein Land, mit dem wir "ungestörten Handel" treiben sollten - keines, vor dem man sich schützen muss. AfD-Politiker haben Russland als Wahlbeobachter besucht und dem Kreml dann in russischen Staatsmedien bescheinigt, dass die Wahlen demokratisch gewesen seien. Kein Wunder, dass sowohl Russland als auch Trumps USA sich eine möglichst erfolgreiche AfD wünschen. Weidel formuliert es so: "Wir sind die Partei mit der Verständigung nach Ost und West", sagte sie am Freitag in per Video auf dem Wahlkampfabschluss der sächsischen AfD in Löbau. Sie wählt das Schlechte aus beiden Himmelsrichtungen.

Einbinden und entzaubern? Lieber nicht

Wie umgehen mit dieser Gefahr? Entzauberung durch Regierungsverantwortung halten Experten für ausgeschlossen. "Die internationale Erfahrung widerspricht dieser Annahme", sagt der Politologe Johannes Hillje. In Ländern wie Italien, Österreich oder den Niederlanden sei es nie zu einer Entzauberung gekommen, "im Gegenteil: zu einer Machtsicherung, häufig zu einem Machtausbau der Rechtspopulisten - häufig auf Kosten der Konservativen". Hillje betont: "Ich kenne keinen Fall, wo sich rechtsradikale oder rechtspopulistische Parteien durch eine Beteiligung an der Regierung langfristig entzaubert haben."

Am Wahlabend sagte Weidel Richtung Union: "Unsere Hand ist immer ausgestreckt". Aber sie machte auch klar, was das Ziel ihrer Partei ist: "Wir werden die CDU überholen", sagte sie bei RTL und ntv. Im Quadrell hatte CDU-Chef Friedrich Merz gesagt, die AfD sehe die Union offensichtlich als "Hauptgegner". Da hat er recht. Wo rechtsradikale Parteien dauerhaft Fuß fassen, sehen konservative Parteien häufig kein Land mehr. Deshalb wäre auch eine von der AfD tolerierte Minderheitsregierung aus CDU und CSU nicht nur für Deutschland eine Katastrophe, sondern auch für die Union.

Hillje verweist auf das Beispiel Schweden. Im Stockholmer Reichstag tolerieren die rechtsradikalen Schwedendemokraten seit 2022 eine konservativ-liberale Minderheitsregierung. "Für die Schwedendemokraten ist das Modell vorteilhaft: Die Regierung ist von ihr abhängig, aber schwierige Entscheidungen müssen sie nicht verantworten", so Hillje. Umfragen zeigen, dass die Schwedendemokraten seit 2022 stabil geblieben und derzeit die zweitstärkste Partei in Schweden sind. Die Konservativen von Ministerpräsident Ulf Kristersson folgen auf Platz drei.

Und jetzt?

Wer verhindern will, dass die AfD weiter wächst, muss sich zunächst einmal über die Ursachen ihres Erfolgs im Klaren sein. Da gibt es zahlreiche Gründe. Nicht alle können von der nächsten Bundesregierung abgestellt werden. Denn anders als häufig dargestellt war nicht allein die Ampelregierung schuld am Aufstieg der AfD; dazu haben auch wirtschaftliche Abstiegsängste, Corona mitsamt der damals geführten Impfpflichtdebatte, russische Propaganda sowie amerikanische Algorithmen beigetragen.

Die Ampel ist Geschichte, aber die Probleme, an denen sie gescheitert ist, sind nach der Wahl weiterhin da. In der AfD freut man sich jetzt schon darauf, dass auch die nächste Bundesregierung vorzeitig zerbrechen könnte. Vor zehn Jahren nannte der damalige AfD-Chef Alexander Gauland die Flüchtlingskrise "ein Geschenk", dem die Partei ihren Wiederaufstieg verdanke.

So ist es auch heute. Jede Krise ist ein Segen für die AfD. Die Partei predigt die Apokalypse nicht von ungefähr. Nur im Untergang kann sie erfolgreich sein. Wer das verhindern will, muss der nächsten Bundesregierung so viel Erfolg wie möglich wünschen. Dieses Wahlergebnis muss ein Wendepunkt sein.

Quelle: ntv.de


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