Nach einer akuten Covid-Erkrankung gehen anhaltende Störungen des Geruchssinns einer Studie zufolge auf Immunprozesse zurück und nicht auf den eigentlichen Auslöser, das Coronavirus. Hinweise darauf geben Analysen von Proben aus der Riechschleimhaut Betroffener. Dort entdeckten US-Forscher Entzündungsprozesse, die auch in Abwesenheit des Erregers Sars-CoV-2 noch andauerten und mit einem Rückgang der Riechzellen einhergingen.
"Diese gründliche Studie gibt Hinweise darauf, dass persistierende Riechstörungen mit Entzündungen der Riechschleimhaut einhergehen", sagt der HNO-Mediziner Thomas Hummel vom Universitätsklinikum Dresden, der nicht an der Arbeit beteiligt war. "Das wurde so bisher noch nicht gezeigt." Auch Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), spricht von einer "sehr wertvollen Erkenntnis".
Riechstörungen zählten zu den häufigsten Symptomen einer Covid-19-Erkrankung, schreibt das Team um Bradley Goldstein von der Duke University in Durham im US-Bundesstaat North Carolina. Dies werde allgemein darauf zurückgeführt, dass das Coronavirus die Riechschleimhaut direkt beeinflusst. Dieses 3 bis 5 Quadratzentimeter kleine Areal liegt tief in der Nasenhöhle im oberen Nasengang zu beiden Seiten der Nasenscheidewand und enthält etwa 10 Millionen Riechzellen sowie auch Stütz- und Stammzellen.
Riechzellen nicht infiziert
Diverse frühere Studien - unter anderem des Frankfurter Max-Planck-Instituts für Neurogenetik - hatten belegt, dass das Coronavirus in der Schleimhaut nicht die eigentlichen Riechzellen infiziert, sondern die benachbarten Stützzellen, die die Riechzellen etwa mit Nährstoffen versorgen. "Es wird angenommen, dass bei den meisten Patienten mit Covid-bedingtem Riechverlust nach dem Verschwinden des Virus die normalen Reparaturprozesse die Population der Stützzellen (und der zufällig beschädigten Nervenzellen) ersetzen und ihre Funktion wiederherstellen", schreibt die Gruppe um Goldstein im Fachblatt "Science Translational Medicine".
Offen war jedoch bisher, was bei jenen Menschen passiert, bei denen die Riechstörungen länger andauern - oft mehrere Monate, mitunter sogar Jahre. Dafür gab es bisher unterschiedliche Erklärungen, etwa dass eine Schädigung der Schleimhaut auch der Population von Stammzellen zusetzt, die die Zellen der Riechschleimhaut ersetzen sollen.
Um die Frage zu klären, analysierte das Team Schleimhautproben von 24 Menschen, 9 davon mit länger andauerndem Geruchsverlust, nach einer Covid-Erkrankung. Bei der Untersuchung stießen die Forscher unter anderem auf T-Zellen, die mit Entzündungsreaktionen einhergehen. Solche Entzündungsprozesse dauerten auch dann noch an, wenn der Erreger Sars-CoV-2 nicht mehr im Gewebe nachweisbar war. Zudem enthielt das Gewebe auffällig wenige Riechzellen - möglicherweise fiel ihre Zahl als Folge der andauernden Entzündungsreaktion.
Wechselwirkungen zwischen Immunzellen und Schleimhaut
Wechselwirkungen zwischen Immunzellen und der Schleimhaut könnten eventuell zu funktionellen Veränderungen der Stütz- und Riechzellen führen, schreibt die Gruppe. Diese Reaktion unterscheide sich von jenem mit schweren Entzündungen einhergehenden Immunprozess, der während einer akuten Corona-Infektion ablaufe, heißt es weiter. Die Forschenden räumen jedoch ein, dass ihre Schlussfolgerungen nur auf einer kleinen Anzahl von Proben der Riechschleimhaut beruhen.
Das bemängelt auch der Dresdener HNO-Mediziner Hummel. "Ich hätte mir eine größere Fallzahl gewünscht." Damit hätte man auch etwaige Einflüsse weiterer Faktoren prüfen können, etwa des Alters. Denn bei älteren Menschen dauerten Riechstörungen tendenziell länger an, so Hummel. Gleichwohl hält DGN-Generalsekretär Berlit die Folgerungen für plausibel. "Das kann man aus den Daten schon gut schlussfolgern."
Die Autoren betonen, ihre Studie liefere Hinweise auf Behandlungsoptionen. So könne man etwa entzündungsfördernde Immunzellen in dem Areal gezielt hemmen. Da die Riechschleimhaut in der Nase von außen gut zugänglich sei, könne man Medikamente gezielt in dieses Areal einbringen.
Medikamente könnten Abhilfe schaffen
Der Experte Hummel merkt an, die Studie liefere Anhaltspunkte dafür, dass antientzündliche Medikamente wie etwa Steroide oder aber plättchenreiches Plasma Riechstörungen bessern könnten. Bisher sei die Erfolgsrate solcher Therapien zwar bescheiden, möglicherweise eigneten sie sich aber für bestimmte Gruppen von Patienten.
Berlit verweist auf eine kürzlich im Fachjournal "BMC Medicine" veröffentlichte Doppelblind-Studie aus den Niederlanden. Demnach brachten Tabletten mit dem Kortisonpräparat Prednisolon bei Menschen, die schon mehr als vier Wochen lang Riechstörungen hatten, keine Besserung. Angesichts der neuen Erkenntnisse hält Berlit es für sinnvoll, nun eine direkte Anwendung von Kortison auf der Riechschleimhaut zu überprüfen.
Generell, so betont der Neurologe, sei die Chance für eine Rückkehr des Riechens innerhalb eines Jahres sehr groß. Es gebe jedoch bislang keine medikamentöse Therapie mit nachgewiesener Wirksamkeit, helfen könne allerdings ein regelmäßiges Riechtraining.
Im Sommer 2021 hatten französische Forscher im Fachblatt "Jama Open Network" Zahlen veröffentlicht, wie lange Riechstörungen anhalten können. Demnach hatten rund 84 Prozent der von Geruchsverlust betroffenen 51 Teilnehmer ihren Geruchssinn nach vier Monaten vollständig zurück. Bis zum Ende der Studie nach zwölf Monaten war das Riechvermögen bei 96 Prozent der Probanden wieder hergestellt.
Quelle: ntv.de, Walter Willems, dpa
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