Nach den verheerenden Erdbeben in der Türkei und Syrien ist die Zahl der Todesopfer auf über 2300 gestiegen. In der Türkei seien 1498 Menschen ums Leben gekommen, teilte der Katastrophenschutzdienst Afad am Nachmittag mit. Mehr als 8500 Menschen seien verletzt worden. Bei den Erschütterungen stürzten allein in der Südosttürkei Tausende Gebäude ein. Auf Videos aus mehreren Städten in dem Gebiet waren teilweise völlig zerstörte Straßenzüge zu sehen.
In Syrien stieg die Zahl der Toten auf mehr als 800. Opfer gab es in den von Damaskus kontrollierten Provinzen und den Gebieten, die unter Kontrolle der Rebellen stehen, aber auch in den von pro-türkischen Kräften kontrollierten Gebieten. Mehr als 2000 Menschen wurden verletzt. Auch in Syrien waren noch viele Menschen unter den Trümmern eingestürzter Gebäude begraben.
In der Nacht hatte ein Beben mit der Stärke 7,7 die Türkei und Syrien erschüttert, es folgten etliche Nachbeben - eines davon mit der Stärke 7,6, wie Afad mitteilte. Beide Beben hatten ihr Epizentrum in der Provinz Kahramanmaras. Die Erschütterungen waren in mehreren regionalen Nachbarländern zu spüren, darunter im Libanon, im Irak sowie in Zypern und Israel. Das dänische geologische Institut teilte mit, die Erschütterungen seien sogar auf Grönland und dem dänischen Festland messbar gewesen.
Über 2800 Gebäude in der Türkei eingestürzt
Im türkischen Fernsehen waren Bilder von Helfern zu sehen, die teilweise mit baren Händen in den Trümmern nach Verschütteten suchten. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sprach vom schwersten Beben seit 1939. Über 2800 Gebäude in der Türkei wurden laut Erdogan zerstört. Das Beben am Morgen sei in zehn Provinzen zu spüren gewesen, sagte Vizepräsident Fuat Oktay. Unter den eingestürzten Gebäuden sei neben Wohnhäusern auch ein Krankenhaus in der Stadt Iskenderun. In Gaziantep stürzte der Zeitung "Hürriyet" zufolge eine historische Burg ein. In der Provinz Malatya wurde eine berühmte Moschee aus dem 13. Jahrhundert zerstört.
Linken-Chefin Janine Wissler, die sich in Diyarbakir mit Vertretern der pro-kurdischen HDP-Opposition getroffen hatte, berichtete: "Ich bin aus dem Schlaf gerissen worden, es war ein sehr, sehr heftiges und langes Beben." Alle seien auf die Straße gerannt, "überall Menschen, teils nur in Sandalen, bei Minusgraden". Ganze Wohnblöcke seien zusammengestürzt.
Scholz und Biden äußern sich
Bundeskanzler Olaf Scholz sprach unterdessen dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sein Beileid aus. "Mit großer Bestürzung habe ich von den vielen Todesopfern und Verletzten durch die Erdbeben in der Region Gaziantep erfahren", schrieb Scholz in einem Kondolenztelegramm.
US-Präsident Joe Biden sagte Hilfe zu. "Ich bin zutiefst traurig über den Verlust an Menschenleben und die Zerstörung durch das Erdbeben in der Türkei und in Syrien", erklärte er via Twitter. "Ich habe mein Team angewiesen, die Situation in Koordination mit der Türkei weiterhin genau zu beobachten und jede notwendige Hilfe zu leisten."
Der russische Präsident Wladimir Putin telefonierte türkischen Medien zufolge mit Erdogan, um sein Mitleid auszudrücken. Dabei soll es auch um Unterstützung bei Rettungsequipment gegangen sein.
66 teils starke Nachbeben
Vielerorts werden weiterhin etliche Menschen unter dem Schutt vermutet. Im Staatssender TRT war zu sehen, wie Menschen bei Schnee in der Stadt Iskenderun aus Trümmern befreit wurden. Auch aus den Städten Gaziantep, Sanliurfa, Osmaniye, Diyarbakir und Adana wurden Bilder gezeigt, auf denen Menschen teilweise in Decken gehüllt abtransportiert wurden.
Laut dem Innenministerium wurden Rettungsteams aus dem ganzen Land zusammengezogen. Man habe die Alarmstufe vier ausgerufen und damit auch um internationale Hilfe gebeten. Die Katastrophenschutzbehörde AFAD meldete 66 teils starke Nachbeben. Erdogan schrieb auf Twitter, "wir hoffen, dass wir diese Katastrophe gemeinsam in kürzester Zeit und mit möglichst geringem Schaden überstehen".
Stärkstes Beben in Syrien seit Jahrzehnten
Auch in Syrien stürzten laut Sana in zahlreichen Städten Gebäude ein. Fotos zeigten, wie Rettungsteams Menschen auf Tragbahren wegtrugen. Der Leiter des Nationalen Erdbebenzentrums Raed Ahmed sagte laut Sana, das Beben am Morgen sei das stärkste in Syrien seit 1995 gewesen. "Wir reagieren mit allem, was wir können, um diejenigen zu retten, die unter den Trümmern liegen", sagte der Leiter der Rettungsorganisation Weißhelme, Raed Al Saleh.
Zahlreiche Länder sicherten Hilfe zu. Sogar die Ukraine erklärte sich bereit, Rettungskräfte in die Türkei zu schicken. "Eine große Zahl von Rettungskräften" könne bei der Bewältigung der Krise helfen, erklärte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba bei Twitter. "Wir arbeiten eng mit der türkischen Seite zusammen, um ihren Einsatz zu koordinieren." Auch Griechenland erklärte sich trotz der schweren Spannungen mit der Türkei umgehend bereit, Rettungsmannschaften in das Erdbebengebiet im Nachbarland zu schicken. "Griechenland wird sofort helfen", kündigte der griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis an.
Zehn Rettungsteams aus EU
Von ihren übrigen NATO-Partnern bekommt die Türkei ebenfalls Hilfe. Alliierte seien dabei, Unterstützung zu mobilisieren, schrieb NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Morgen bei Twitter. Er selbst sei in Kontakt mit Erdogan und Außenminister Mevlut Cavusoglu. Die Türkei bat ihre NATO-Partner um medizinische Nothilfeteams, notfallmedizinische Ausrüstung sowie Such- und Rettungsteams, die auch unter schweren Bedingungen arbeiten können.
Auch Finnland und Schweden sprachen der Türkei ihre Anteilnahme aus. Trotz der türkischen Blockade der NATO-Anträge ihrer Länder schickten sowohl der finnische Präsident Sauli Niinistö als auch der schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson Beileidsbekundungen an Erdogan, wie sie über Twitter mitteilten.
Die Europäische Union entsendet Rettungsteams in die Türkei. Nach Angaben eines Sprechers der EU-Kommission wurden bis zum Mittag mehr als zehn Such- und Rettungsteams mobilisiert, um die Ersthelfer vor Ort zu unterstützen. Sie kommen aus Bulgarien, Kroatien, Frankreich, Griechenland, den Niederlanden, Polen, Rumänien, Ungarn, Malta und Tschechien. Italien, Spanien und die Slowakei stehen zudem bereit, um ebenfalls Rettungsteams zu schicken. Deutschlands Innenministerin Nancy Faeser kündigte erste Soforthilfen durch das Technische Hilfswerk an. Dazu gehören "Camps mit Notunterkünften und Wasseraufbereitungs-Einheiten", wie Faeser mitteilte.
Geologie: Warum trifft es die Türkei?
Im Libanon, in Israel und auf Zypern war das Beben ebenfalls zu spüren. In den libanesischen Städten Beirut und Tripoli flohen die Menschen am Morgen aus Angst vor einem Einsturz aus ihren Wohnhäusern, wie Augenzeugen berichteten. Auch am Mittag bebte in dem Land erneut die Erde.
Die Türkei ist immer wieder von schweren Erdbeben betroffen. Dort grenzen zwei der größten Kontinentalplatten aneinander: die afrikanische und die eurasische. Der größte Teil der türkischen Bevölkerung lebt faktisch in ständiger Erdbebengefahr. Bei einem der folgenschwersten Beben der vergangenen Jahre kamen im Oktober 2020 in Izmir mehr als 100 Menschen ums Leben.
1999 wurde die Türkei von einer der schwersten Naturkatastrophen in ihrer Geschichte getroffen: Ein Beben der Stärke 7,4 in der Region um die nordwestliche Industriestadt Izmit kostete mehr als 17.000 Menschen das Leben. Für die größte türkische Stadt Istanbul erwarten Experten in naher Zukunft ebenfalls ein starkes Beben.
Quelle: ntv.de, mpe/dpa/AFP/rts
Tags: