Jordanien: Das Wüstenkönigreich kann nicht mehr

  12 April 2016    Gelesen: 563
Jordanien: Das Wüstenkönigreich kann nicht mehr
1,26 Millionen Syrer hat Jordanien aufgenommen. Doch die Stimmung hat sich längst gewendet, die Sorge um Jobs und Sicherheit dominiert. Für Tausende Syrer hat das dramatische Folgen.
Es ist noch nicht lange her, da drängte sich hier dichter Verkehr. Lkw und Touristenbusse rollten auf der Autobahn, die Jordaniens Steinwüste gen Norden durchschneidet, ins grünere Syrien. Heute ist die Straße wie leer gefegt, die Grenze dicht. Schon ein paar Kilometer davor blockiert ein erster Checkpoint die Weiterfahrt. An manchen Tagen hört man hier den Krieg in Syrien. Noch vor dem Checkpoint zweigt eine Straße ab, eine Halle und Container tauchen auf: Das Areal in Raba`a al-Sarhan ist das Herzstück der jordanischen Asylpolitik und ein Beleg dafür, dass das Land die Flüchtlingskrise nun vor allem als Sicherheitskrise versteht. Darauf deutet schon der Gepäckscanner am Eingang hin. Für Journalisten war das Areal bisher Sperrgebiet. „Die Presse“ erhielt nun Zutritt zu der Anlage, in der alle neu ankommenden Flüchtlinge registriert und „gescreent“ werden, wie es Neudeutsch heißt. Im Schnitt kommen jetzt 100 Syrer pro Tag an. Es waren schon mehr, viel mehr.

Die Zahl der Menschen im Land ist seit 2013 nach Regierungsangaben von 6,5 Millionen auf 9,5 Millionen angeschwollen. 630.000 davon sind Irakis und 1,26 Millionen Syrer, die Hälfte davon registriert. Wobei 800.000 weitere Syrer Jordanien schon wieder verlassen haben: 700.000 sollen mit dem Ziel Europa in die Türkei oder nach Libyen aufgebrochen sein. 100.000 gingen zurück in die Heimat. Sie ziehen das Risiko in Syrien dem Flüchtlingslager vor, wo sie oft jahrelang von der Hand in den Mund leben. Denn die Regierung will die Flüchtlinge in den Camps und damit unter Kontrolle halten: das Primat der Sicherheitspolitik. Deshalb tummeln sich in Raba`a al-Sarhan Polizei und Militärs. Und deshalb gibt es in der Registrierungshalle eine Zwischenwand, hinter der die ankommenden Syrer vom Geheimdienst befragt werden.

Ein paar Terroristen hätten sie hier schon herausgefischt, sagt ein hagerer Mann vom Geheimdienst. Wie? „Wir haben unsere Fragen. Keine Details.“ Auch Iris-Scans werden hier erstellt, um Flüchtlinge jederzeit identifizieren zu können. Nach der Versorgung der Flüchtlinge in den Containern der Hilfsorganisationen werden sie in Bussen in ihre neue „Heimat“ gebracht, etwa nach Zaatari, das zweitgrößte Flüchtlingslager der Welt.



„Sie nehmen uns die Jobs weg“

Längst haben in Jordanien Misstrauen und Argwohn die Hilfsbereitschaft gegenüber den syrischen „Brüdern“ abgelöst. Wer mit Jordaniern über Flüchtlinge spricht, hört oft diesen einen Satz: „Sie nehmen uns die Jobs weg!“ Ahmed sieht das auch so. Der 24-Jährige arbeitet für 250 jordanische Dinar (rund 310 Euro) im Monat in einer Cafeteria als Kellner. Er und sein Cousin seien die letzte Jordanier dort. „Der Rest sind Syrer. Sie machen den Job für 150 Dinar.“ Denn die Syrer bekämen von den NGOs Geld und könnten es sich deshalb leisten, unter dem Mindestlohn zu arbeiten. Das ist nur die halbe Wahrheit: Der Arbeitsmarkt ist für Syrer offiziell großteils geschlossen, was die Schattenwirtschaft befeuert. Kinderarbeit inklusive.

Und das spüren die Jordanier. Denn das glitzernde West-Amman mit seinen protzigen Hotels und sündteuren Juwelierläden verstellt den Blick darauf, dass im Königreich die Armut grassiert. Die Weltwirtschaftskrise hat das Land schwer getroffen. Man hängt am Tropf der USA. Zumal Jordanien kein Öl hat wie die Nachbarn und kaum Wasserreserven. Die Infrastruktur ist, vorsichtig formuliert, ausbaufähig. Und zuletzt ist auch der Tourismus eingebrochen. Die Kriege in Syrien und dem Irak haben die ganze Region in Verruf gebracht – auch Jordanien, das noch immer stabil ist und in das sich seit jeher die Nachbarn flüchten: Zuerst kamen die Palästinenser aus dem Westen, die heute die Mehrheit im Staat stellen, dann die Iraker aus dem Osten und nun die Syrer aus dem Norden.

Im Vorjahr aber machte das Königreich die Grenzen zu Syrien dicht. In einem militärischen Sperrgebiet an der Grenze, an den Übergängen Rukban und Hadalat, sind nun mindestens 26.000 Flüchtlinge gestrandet. Es gibt in diesem lebensfeindlichen Stück Wüste, eingegrenzt von zwei Sandwällen, kein Wasser, keinen Strom, keine Kanalisation. Die nächste Stadt ist Dutzende Kilometer entfernt. Der Weg der Hilfsorganisationen führt über unpräparierte Wüstenpisten. Angeblich breiten sich Krankheiten wie Hepatitis aus. Ein paar Dutzend Gestrandete lässt Jordanien pro Tag ins Land. Mehr nicht. Wiederum gibt es Sicherheitsbedenken, zumal viele der Flüchtlinge aus IS-Gebieten kommen.

Die 38-jährige Rehab al-K. saß im Sommer auch für Tage in der Wüste fest, bevor sie in das Flüchtlingslager in Zarqa gebracht wurde. Ihr Bruder Mohammad hat die Witwe dann verbotenerweise in seine Wohnung in Amman geholt. Die Frau ist nun ein U-Boot in Jordanien, so wie ihre Kinder, die deshalb nicht zur Schule gehen dürfen. „Zweimal haben wir versucht, nach Europa zu gelangen“, sagt ihr Bruder – zuerst legal, über einen Antrag auf Resettlement, dann illegal. Sie scheiterten an der türkische Grenze, wo Syrer seit Jänner – aufgrund des Deals mit der EU – ein Visum brauchen. Mohammed will nun unbedingt ein Visum für „Nemsa“, wie er sagt. „Nemsa“, so heißt Österreich auf Arabisch.

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