Erste Fahrt im neuen Renault Espace - aus Van wird SUV

  05 Juni 2023    Gelesen: 589
 Erste Fahrt im neuen Renault Espace - aus Van wird SUV

Jahrzehntelang war der europäische Van-Begründer Renault Espace die gehobene Familienkutsche schlechthin mit satter Ausstattung, feinen Motoren, einem Schuss Futurismus und Platz ohne Ende. Und jetzt? Ist der Espace einfach ein schnöder Van. Na ja, aber lesen Sie mal selbst.

Eigentlich weiß man gar nicht so richtig, wer überhaupt traurig sein soll darüber, dass die Van-Tradition langsam endet. Mal ehrlich, richtige Sehnsuchtsautos waren die Großraumlimousinen ja eh nicht und offenbar scheinen die Leute SUV inzwischen viel besser zu finden. Sonst würden sämtliche Hersteller ja nicht zig Modelle verkaufen - und das auch noch mit beachtlichem Erfolg.Günstig, ebenso alltagstauglich

Also goodbye, old Espace, es lebe der neue Espace. Und dass sich der 1984 als europäischer Segment-Begründer erschienene Renault dringend neu erfinden musste, hat man ja schon am gerade auslaufenden Modell gesehen, das mit seiner betont flachen Form schon seit Jahren nicht mehr auf der Suche nach dem letzten Quäntchen Nutzwert war. Dessen Vorgänger wiederum konnte einfach mal mit 1000 Liter (3050 Liter) mehr Gepäckraumvolumen aufwarten.

Die Aufnahmefähigkeit von Ladegut wurde abermals etwas heruntergefahren, inzwischen sind es maximal 1818 Liter - gut, damit kann man noch leben. Schon ein bisschen schade ist, dass der Espace diesen gewissen Raumschiff-Charakter verloren hat, mit dem auch immer etwas Futuristisches einherging. Vor allem die betont großzügigen Glasflächen der ersten Generation waren legendär und irgendwie auch cool.

Und nun? Klar, ein bisschen LED-Lichtspiel hier, etwas Sicke im Blech dort - aber der neue Espace ist ein Normalo-Auto, das auch trotz adretter Front mit extravaganten Tagfahrlichtern im Straßenverkehr untergehen wird. Er ist ja im Grunde ein Austral mit langem Radstand - es gibt auch keine optische Differenzierung. Dass er jetzt kompakter daherkommt, ist angesichts voller Straßen vielleicht keine schlechte Sache. Seine Fahrer dürften dank 14 Zentimeter (4,72 Meter) kürzerer Karosse gegenüber dem Vorgänger besser in der Stadt klarkommen und das 3,5 Zentimeter niedrigere Dach zahlt grundsätzlich auf das Umweltkonto ein. Weniger Luftwiderstand und so, Sie wissen. Außerdem ist der neue Espace mit 1,7 Tonnen Leergewicht bis zu 215 Kilogramm leichter, wie man im Datenblatt leicht nachlesen kann.

Und da die Renault-Manager aber dennoch viel Raum versprechen, starte ich meine Bestandsaufnahme aus dem Fond heraus. Ich rücke einen Teil der kommod gepolsterten hinteren Sitzbank ein bisschen zurecht (dieses selten gewordene, aber clevere Feature ist hier zu finden), genieße die Beinfreiheit. Man stößt weder mit Knien noch Kopf wirklich an. Geht also klar als Familien- und Reiseauto? Logisch, zumal ein gerüttelt Maß an USB-C-Anschlüssen (die sichern den Stromnachschub) in Tateinheit mit entsprechenden Endgeräten für Kurzweil bürgen. In der dritten Reihe, die es auf Wunsch gibt, geht der Tenor dann eher in Richtung Nutz- statt Freizeitwert. Hier müssen sich Erwachsene durchschnittlicher Statur jedenfalls einschränken, aber das ist auch völlig in Ordnung angesichts der Fahrzeuggröße.

Also besser mal schnell in die erste Reihe hüpfen, wo sich sowohl Fahrer wie Beifahrer auch ohne externe Elektronikgimmicks nicht langweilen. Und obwohl der große Zentraltouchscreen leicht zum Fahrer geneigt ist, wie das BMW einst erfand, kann man ihn vom rechten Platz aus gut erreichen. Und so kann der Beifahrer ein bisschen vorarbeiten, denn Renault hat ganz schön aufgerüstet bei den Menüstrukturen, die durchaus komplex sind. Dafür aber arbeitet das inzwischen aus dem Hause Google stammende Navigationssystem tadellos. Intuitive Bedienung und blitzschnelle Routenberechnung sind die eine Sache, die mittlerweile wirklich sehr brauchbare Sprachbedienung die andere. Und da wären ja noch die verbliebenen physischen Tasten für die Klimaanlage, um das Abtauchen in die Menütiefen zu vermeiden. Ein großes Staufach in der Mitte mit einem zwar etwas sperrigen Griff nimmt jede Menge Kleinkram auf.

Viel Infotainment im neuen Espace

Aus der Fahrerperspektive tut sich neben dem Straßengeschehen auch noch ein TFT-Bildschirm auf, wo ganz schön viel los ist. Bordcomputer-Infos, Grafiken und natürlich das Tempo werden auf unterschiedlichen Arten dargeboten - so viel Spielerei gönnt Renault seinen Fahrern also. Zu steuern ist er ganz einfach mit dem "View"-Knopf auf dem Lenkrad. Apropos Lenkradtasten: Das Steuerrad ist voll davon, hier werden beispielsweise Sprachbedienung und der aktive Tempomat aktiviert, was ebenfalls recht intuitiv funktioniert. Gegen 700 Euro Aufpreis lässt sich die umfangreiche Infotainment-Landschaft um ein vollwertiges Head-up-Display ergänzen.

Also Platz hat der zum SUV mutierte Espace trotz kompakter Abmessungen im Vergleich zum Vorgänger schonmal. On-Board-Technologie ebenso. Doch was steckt unter dem Blech? Ein einziger lieferbarer Antriebsstrang mit 199 PS. Der besteht wesentlich aus einem 1,2 Liter großen Dreizylinder-Benziner mit Turboaufladung und 131 PS sowie einem 68 PS starken Stromer als zweites Haupttriebwerk. Moment mal, wie bitte? Dreizylinder in dieser Klasse? Das lässt hellhörig werden und macht Neugierde auf eine Ausfahrt. Also Motor starten und los. Lauscher auf und konzentrieren. Aber: akustisch keine Spur von der Minderzahl an Zylindern. Jedenfalls nicht bei geschlossenen Türen. Der Verbrenner arbeitet vielmehr unauffällig, wenn er überhaupt mal arbeitet.

Denn gar nicht so selten ruht er und überlässt die Fortbewegung dem drehmomentstarken (205 Newtonmeter) Stromer. Der ist damit ähnlich zugkräftig wie der Verbrenner mit 230 Newtonmetern. Angefahren wird immer elektrisch. Das Zusammenspiel der beiden Antriebsmaschinen erfolgt über das sogenannte Multimodegetriebe - einer Kreuzung aus Vier- und Zweiganggetriebe, aus denen sich insgesamt 15 Übersetzungskombinationen ergeben. Als Steuereinheit dient ein dritter Elektromotor mit 25 PS, der die Schaltvorgänge unter anderem glattschleift. Und glatt fühlt sich der Antriebsstrang in der Tat an. Es gibt weder Ruckelei noch Zugkraftunterbrechungen, manchmal allerdings mechanische Geräusche - es arbeitet also etwas.

Der Renault Espace ist ein kommoder Cruiser

Und unter voller Last wird der Espace denn auch recht munter, sprintet binnen 8,8 Sekunden auf 100 km/h. Allerdings ist bei 174 Sachen Schluss, reicht aber auch in dieser Fahrzeugkategorie. Lärm macht der Dreizylinder indes auch im hohen Drehzahlbereich nicht. Man muss schon die Haube bei laufendem Motor im Stand öffnen, um den Benziner knurren zu hören. Ein Sportler wird aus dem praktischen Renault natürlich nicht. Dazu ist das Fahrwerk zu undefiniert (bügelt aber dafür die Schlaglöcher gebeutelter Ruckelpisten ordentlich aus) und die Lenkung liefert zu wenig Rückmeldung.

In dieses Bild passt auch das synthetische Bremsgefühl (das aber gar nicht unangenehm ist). Die Bremse ist bei Hybridmodellen allerdings oft einfach nur leicht und wenig exakt, weil sie "by wire" funktioniert, damit das System flexibel zwischen Rekuperation, also der Bremswirkung durch die Rückgewinnung von Bewegungsenergie, und Reibbremse wechseln kann. Und zu rekuperieren gibt es beim Renault durchaus etwas, denn die Batterie speichert 1,7 kWh. Genug Energie, um elektrisch und damit leise aus dem nächtlichen Wohngebiet zu fahren oder umgekehrt.

Einen Hauch von Hightech ist übrigens auch dem Espace vergönnt: Die bei Renault schon seit längerer Zeit zum Einsatz kommende Hinterachslenkung lässt den Espace ab der sportiven Ausstattungslinie "Esprit Alpine" theoretisch etwas satter durch kurvige Passagen laufen. Wie gut die gegen 900 Euro Aufpreis erhältlichen Matrix-LED-Scheinwerfer sind, wird sich in späteren Tests noch herausstellen müssen.

Noch einmal zurück zum Alpine Esprit: Ein bisschen Sportlichkeit möchte Renault potenziellen Espace-Kunden dann doch nicht vorenthalten, wenn sie das möchten. Alcantara-Lenkrad, Aluminiumpedale, Alcantara-Dekorelemente mit ausdrucksstarken blauen Nähten sowie sportliche Sitze mit ebenfalls alcantarabezogenen Wangen geben der Innenarchitektur Pep. Auf Wunsch darf der Alpine Esprit auch äußerlich extrovertiert an den Start rollen mit dem satinierten (matten) Lack "Dolomit-Grau" - kostet dann 1200 Euro extra. Eleganter ist jedoch "Nacht-Blau". Schön, wenn man die Wahl hat. Und die hat man ab 43.500 Euro. In diesem Preis sind sämtliche Assistenten, elektrisch betätigte Heckklappe, LED-Scheinwerfer, Navi, Parkpiepser, Rückfahrkamera und schlüsselloses Schließsystem bereits enthalten.

Quelle: ntv.de


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