Wir recyceln unseren Müll: Papier, Kunststoff und Glas. Warum kann man eigentlich nicht auch Atommüll recyceln? Also nicht nur aufbereiten, wie es bereits seit Langem geschieht, sondern unschädlich machen? Kann man, also rein theoretisch. Und das eröffnet völlig neue Perspektiven. Einige Politiker träumen bereits davon, mithilfe von Recycling-Methoden Atomkraftwerke in Deutschland wieder zum Laufen zu bringen. Denn das Thema Endlagerung wäre dann weniger problematisch.
Aber wie soll das funktionieren, Atommüll zu recyceln? Schließlich handelt es sich um mit das Gefährlichste, was es an Stoffen auf der Erde gibt. Die abgebrannten Brennelemente enthalten Uran, Plutonium und weitere schwere Elemente, sogenannte Transurane. Dazu kommen noch die Spaltprodukte, die zum Teil sehr lange strahlen. Dieser Atommüll ist hochradioaktiv, produziert Hitze und ist giftig. Die einzige bisher umgesetzte Lösung ist daher: tief in der Erde verschaffen.
Und es ist nicht gerade wenig Atommüll. Allein Deutschland muss rund 10.000 Tonnen einlagern. Das entspricht einem Volumen von 20.000 Kubikmetern - vier Fußballfelder, die einen Meter hoch mit Atommüll bedeckt sind. In dem Atommüll schlummern neben Uran auch mehr als 100 Tonnen des hochradioaktiven und extrem giftigen Elements Plutonium. Zudem gibt es weitere strahlende Elemente mit langer Halbwertzeit, weshalb ein Endlager in Deutschland für über eine Million Jahre ausgelegt werden sein muss.
Wie Blei zu Gold verwandeln
Aber so könnte es funktionieren, Atommüll seinen Schrecken zu nehmen: Die Idee dabei ist, die hoch radioaktiven Transurane einfach in andere Elemente zu verwandeln, die weniger lange strahlen und weniger giftig sind. Ein bisschen wie der unerfüllte Traum der Alchimisten des Mittelalters, aus Blei Gold zu machen. Dank der modernen Physik war es ab den 1960er Jahren tatsächlich möglich, Elemente umzuwandeln. Das Verfahren wird Transmutation genannt.
Um das zum Recycling von Atommüll einzusetzen, ist eine vorherige Trennung notwendig, die sogenannte Partitionierung. Dadurch werden die besonders problematischen Transurane vom Rest der Atommülls abgeschieden, um diese dann durch Transmutation zu verwandeln. Das ganze bisher nur auf dem Papier existierende Verfahren wird daher Partitionierung und Transmutation (P&T) genannt.
Wie funktioniert das? Um aus diesen Elemente andere zu machen, werden schnelle Neutronen benötigt. Das sind subatomare Teilchen, welche große Atomkerne wie Transurane zerschießen können. Dadurch zerfallen diese in weniger strahlende Elemente, Elemente mit geringerer Halbwertzeit oder sogar stabile Elemente. Durch den Beschuss mit Neutronen könnte man etwa Plutonium-239 mit einer Halbwertzeit von 24.000 Jahren in das stabile Ruthenium 104 und das kurzlebige Cäsium-134 umwandeln.
Beschleuniger bevorzugte Konzept
Wo man die Neutronen herbekommt? Ein theoretisches Konzept ist der sogenannte Flüssigsalzreaktor. Ein Kernreaktor, bei dem verschieden Brennstoffe in einer flüssigen Salzschmelze aufgelöst werden. Auch die Transurane könnte man dort hineingeben, sie würden in der Theorie zu weniger gefährlichen Elementen verwandelt. Allerdings ist unklar, ob Flüssigsalzreaktoren überhaupt sicher gebaut und betrieben werden können. Das heute bevorzugte Konzept für die Transmutation sind daher Beschleuniger.
Bei der bisher nur im Labor erprobten Transmutation durch Beschleuniger wird zunächst ein Strahl aus Protonen erzeugt, der auf schwere Elemente trifft. Dabei werden die benötigten Neutronen freigesetzt, welche die Atomkerne der langlebigen Transurane spalten. Zudem wird dabei Energie freigesetzt, welche zum Betrieb der Anlage genutzt werden könnte.
Klingt erstmal gut. Wäre P&T also eine Alternative zur Endlagerung von Atommüll? "Das mit Sicherheit nicht", sagt Klaus-Jürgen Röhlig vom Institut für Endlagerforschung in Clausthal gegenüber ntv.de. Denn es bliebe auch nach der Behandlung Atommüll übrig, der über einen langen Zeitraum eingelagert werden müsste: Radioaktive Stoffe, die sehr lange strahlen. "Jod-129 etwa hat eine Halbwertzeit von fast 16 Millionen Jahren." Diese Substanzen könnte man theoretisch zwar auch durch Transmutation umwandeln, allerdings werde dazu bisher nur wenig geforscht, so Röhlig.
Ein weiterer Nachteil der Beschleuniger-Transmutation: Es entstehen zusätzlich neue Abfälle, sogenannte schwach- bis mittelradioaktive Abfälle. "Das klingt erst mal harmloser als die hochaktiven, ist es aber nicht, denn sie können auch sehr giftig sein", sagt Röhlig. Auch für diese Abfälle würde ein Endlager benötigt.
Weniger Platz für Endlager nötig
Dennoch hat P&T einen positiven Effekt auf die Endlagerung: Neben Radioaktivität und Giftigkeit wird auch die Wärmeproduktion des Atommülls deutlich reduziert. "Klingt die Wärme durch Transmutation schneller ab, benötigt man weniger Platz im Endlager", so Röhlig. Denn abgekühlter Atommüll kann enger gelagert werden als heißer. "Das hätte Kostenvorteile, aber auch Sicherheitsvorteile." Der Haken: Der Atommüll müsste zuvor 100 Jahre oder mehr auf der Erdoberfläche zum Auskühlen zwischengelagert werden, bevor dieser Effekt zum Tragen kommt und die Wärmeproduktion ausreichend zurückgegangen ist.
Und eines der größten Probleme bei der Transmutation durch Beschleuniger: Es gibt es bisher keine Anlage weltweit, die einsatzbereit wäre. Und das dürfte wohl noch eine Weile so bleiben: "Eine solche komplexe Technologie in den industriefähigen Maßstab zu bringen, dauert sehr lange", sagt Röhlig. Zwar wird in Belgien in der Stadt Mol an dem Demonstrationsreaktor MYRRHA gebaut. Der jedoch soll erst in den 2030er Jahren in Betrieb gehen.
Bis die Transmutation schließlich im industriellen Maßstab einsatzbereit ist, so Röhlig, werde noch weitere Zeit vergehen: "Bereits in den 1990er Jahren hieß es, es dauere noch 30 Jahre, bis die Technologie ausgereift sei. Heute sind es immer noch 30 Jahre. Es ist also ein bisschen so wie bei der Kernfusion." Die Forschung zur P&T verschlinge zudem viel Geld. Am Ende dürfte es teurer werden, als einfach ein Endlager für den Atommüll einzurichten, sagt der Experte.
Quelle: ntv.de
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