Nord Stream 2 durch kleine Sprengladung explodiert

  21 Juni 2023    Gelesen: 669
  Nord Stream 2 durch kleine Sprengladung explodiert

Eine internationale Medienrecherche unter Beteiligung von RTL zeigt, dass am zerstörten Strang der Ostseepipeline Nord Stream 2 nur vergleichsweise geringe Schäden entstanden sind. Dies deutet auf einen kleinen Sprengsatz von wenigen Kilogramm hin.

Ein internationales Journalistenteam von RTL, dem dänischen Fernsehsender TV2, der dänischen Zeitung "Ekstra Bladet" und der französischen Tageszeitung "Libération" hat exklusive Filmaufnahmen der zerstörten Nord-Stream-2-Pipeline bekommen. Darauf lässt sich erkennen, dass die Explosion des Strangs A von Nord Stream 2 einen weit geringeren Schaden angerichtet hat als die etwas später erfolgte Explosion der Nord-Stream-1-Pipeline achtzig Kilometer nördlich. Bislang waren Experten davon ausgegangen, dass erhebliche Mengen an Sprengstoff für die Explosion der Pipelines verantwortlich gewesen sein müssen.

Eine Tauchdrohne des norwegischen Unternehmens Blueye hat die Explosionsstelle vor der Küste Bornholms abgetaucht und die Zerstörung der Nord-Stream-2-Pipeline dokumentiert. Demnach ist die Röhre nur an einer Stelle unterbrochen. Der nördliche Teil ragt etwa fünf Meter über dem Meeresboden in die Höhe. Der südliche Teil liegt noch nahezu unverändert auf dem Grund der Ostsee.

Spuren weisen auf eine Hohlladung

Eine Explosion aufgrund von mehreren hundert Kilogramm Sprengstoff ist damit so gut wie auszuschließen. "Dafür hätten wir überall kaputten Beton, zerkratztes Metall, Brandspuren und zerborstene Röhren finden müssen, was wir nicht haben", sagt der dänische Geheimdienstexperte Oliver Alexander, der die Recherche begleitet hat. "Hier sieht es eher nach einer Präzisionssprengung aus."

Sprengstoff-Experten, denen die kooperierenden Journalisten die Filmaufnahmen vorlegten, gehen von einer sogenannten Hohlladung aus, also einer Sprengladung, die so geformt ist, dass sie die Wirkung der Sprengstoffenergie bündelt und deshalb mit weniger Sprengstoff auskommt. "Für mich sieht das ganz klar nach einer Hohlladung aus", sagt der dänische Ex-Militär Niels Kamp. "Da haben riesige Kräfte gewirkt, die sehr fokussiert waren. Das war ein kleiner Sprengsatz." Auch ein französischer ehemaliger Minentaucher, der anonym bleiben will, legt sich fest: "Es wurde sicher keine große Sprengladung verwendet, sondern eher eine kleine von wenigen Kilogramm", sagt er. "Das, was ich erkennen kann, sieht sehr stark nach einer Hohlladung aus." Ein solcher Sprengsatz kann viel einfacher in circa 80 Metern Tiefe angebracht werden als mehrere Hundert Kilogramm Sprengstoff. Damit wäre auch die Machbarkeit für eine kleinere Kommandoeinheit eher gegeben.

Jüngste Berichte wiesen in Richtung Ukraine

Die beiden Nord-Stream-Pipelines waren in der Nacht vom 25. auf den 26. September 2022 mit mehreren Explosionen beschädigt worden. Zu diesem Zeitpunkt wurde durch Nord Stream 1 schon kein Gas mehr nach Deutschland geliefert; die Pipeline war von der russischen Seite stillgelegt worden: Nach einer Wartungspause im Sommer 2022 verhängte Moskau einen Lieferstopp. Nord Stream 2 war zwar bereits mit Gas befüllt, ging aber nie in Betrieb.

Beide Pipelines bestehen aus jeweils zwei Strängen. Bei Nord Stream 1 wurden beide Rohrleitungen beschädigt, bei Nord Stream 2 nur Strang B. Bis heute ist unklar, wer für die Anschläge verantwortlich ist. Es gibt dazu unterschiedliche, sich widersprechende Berichte: Laut "Washington Post" soll der US-Geheimdienst CIA im Juni 2022 von einem angeblichen Plan der Ukraine für einen solchen Anschlag erfahren haben. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wies eine Beteiligung seiner Regierung an den Sabotage-Aktionen zurück.

Deutsche Ermittler haben angeblich Spur nach Polen

Nach einem Bericht des "Wall Street Journal" haben deutsche Ermittler Hinweise, wonach ein mutmaßliches Sabotageteam Polen als Einsatzbasis genutzt haben könnte. Die Zeitung berief sich auf die Auswertung von Daten der Segeljacht "Andromeda", die früheren Berichten zufolge für die Anschläge genutzt worden sein soll. Der Artikel des "Wall Street Journal" wurde von Polen dementiert.

Die "Andromeda" war im März von der ARD und der Wochenzeitung "Die Zeit" als das Schiff dargestellt worden, von dem aus ein sechsköpfiges Kommando die Anschläge verübt habe. Auch dieser Darstellung zufolge "führen Spuren in Richtung Ukraine".

"Westen hat kein Interesse, Russland verantwortlich zu machen"

Der Besuch eines RTL/ntv-Teams auf der "Andromeda" zeigte allerdings, dass es einige Fragen rund um das Szenario eines Anschlags von der Segeljacht aus gibt. Der dänische Militäranalyst Anders Puck Nielsen sagte ntv.de im März, aus seiner Sicht sei die wahrscheinlichste Version, dass Russland für die Anschläge verantwortlich ist. Ein Motiv dafür könnte sein, "die Verwundbarkeit Europas zu demonstrieren". Mit Blick auf Medienberichte, in denen von Spuren Richtung Ukraine die Rede ist, sagte Puck Nielsen, er gehe davon aus, "dass die westlichen Länder im Moment kein großes Interesse daran haben, Russland für die Nord-Stream-Anschläge verantwortlich zu machen".

Investigativjournalisten von nordischen Sendern berichteten im Mai, dass vor den Explosionen mehrere russische Marineschiffe in der Nähe des späteren Anschlagsortes unterwegs gewesen seien. Demnach hielten sich die russischen Schiffe stunden- und einmal sogar einen ganzen Tag lang in den Gebieten auf, in denen es später zu den Explosionen kam.

Quelle: ntv.de


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