Die direkten Vorfahren der Menschheit sind einer Studie zufolge vor etwa 900.000 Jahren zu fast 99 Prozent ausgestorben. Damals - lange vor dem Entstehen des modernen Menschen Homo sapiens - hätten sich nur noch knapp 1300 Individuen fortgepflanzt, schreibt eine internationale Forschungsgruppe im Fachblatt "Science". Diese Krise habe etwa 117.000 Jahre angedauert und die Menschheit an den Rand des Aussterbens gebracht, berichtet die Gruppe unter Verweis auf ihre Kalkulationen. Ursache der Dezimierung seien wahrscheinlich Klimaveränderungen gewesen.
Das Team um Wangjie Hu von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Shanghai stützt seine Kalkulationen auf die Analyse der Genome von 3154 heutigen Menschen verschiedener Herkunft. Mit einem neuen, komplexen Verfahren zur Analyse genetischer Varianten wollen die Forscher frühere Populationsgrößen ermittelt haben.
Genetischer Flaschenhals
Demnach schrumpfte die Menschheit - also die Ahnen des Homo sapiens, der erst vor 300.000 Jahren entstand - bis vor etwa 930.000 Jahren von einer Bevölkerungsgröße von zuvor knapp 100.000 Individuen um 98,7 Prozent. Danach hätten sich nur etwa 1280 Individuen fortgepflanzt, heißt es. Dabei sei ein großer Teil der genetischen Vielfalt verloren gegangen. Der sogenannte genetische Flaschenhals dauerte etwa 117.000 Jahre an, bis vor etwa 813.000 Jahren. Danach habe sich die Population sehr schnell wieder erholt, schreibt die Gruppe. Sie spekuliert, dies könnte mit der Kontrolle von Feuer verbunden gewesen sein.
Das Team geht davon aus, dass der Populationsschwund den Homo heidelbergensis betraf, aus dem sich später neben dem Homo sapiens auch der Neandertaler und der Denisova-Mensch entwickelten. Konsens ist das jedoch keineswegs. In einem "Science"-Kommentar schreiben die Londoner Experten Nick Ashton vom British Museum und Chris Stringer vom Natural History Museum, dass der letzte gemeinsame Ahne von Homo sapiens, Neandertaler und Denisova-Menschen schon vor mehr als einer Million Jahren gelebt haben könnte. Dafür kämen mehrere Arten infrage.
Als Bestätigung für den festgestellten drastischen Bevölkerungsschwund deutet das Forschungsteam um Hu auch den Umstand, dass es aus jener Phase nur wenige fossile Funde von Menschen gebe. "Dieser heftige Flaschenhals könnte die extreme Seltenheit homininer Fossilien in Afrika und Eurasien vor 950.000 bis vor 650.000 Jahren erklären", schreibt die Gruppe. Der damals schon in Asien verbreitete Homo erectus sei offenbar nicht betroffen gewesen, heißt es.
Als Ursache des Bevölkerungsschwunds vermutet das Team klimatische Veränderungen. Vor etwa 900.000 Jahren hätten sich Vergletscherungen verstärkt und seien dauerhafter geworden. Dies sei mit einem Abfall der Meerestemperaturen, einer langen Trockenheit und Umwälzungen der Fauna in Afrika und Eurasien einhergegangen, heißt es weiter.
Quelle: ntv.de, Walter Willems, dpa
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